Sonntag, Januar 19

An ihrem Neujahrstreffen ist Herbert Kickl als wahrscheinlicher neuer Bundeskanzler in einer neuen Rolle und verzichtet auf allzu scharfe Provokationen. Derweil gewinnt die FPÖ auch im Burgenland.

Es herrscht immer Volksfeststimmung an Veranstaltungen der FPÖ, aber die Erfolgswelle, auf der die Partei gerade surft, hat am Samstagmorgen Massen nach Vösendorf südlich von Wien strömen lassen. Die pyramidenförmige Eventhalle eines Hotels ist mit rund 3000 Funktionären und Sympathisanten voll. Freie Sitzplätze gibt es nur, weil einige in der langen Schlange vor der Bar warten, Hunderte müssen stehen. Auf den Festbänken liegen rot-weiss-rote Papierfähnchen und Kickl-Schilder bereit, die eifrig geschwenkt werden, als der Parteichef zu den Klängen von «Simply the Best» in den Saal einzieht.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Herbert Kickl wird bereits als «zukünftiger Bundeskanzler» vorgestellt, dabei haben die Koalitionsverhandlungen mit der konservativen ÖVP gerade erst richtig begonnen. «Österreich ehrlich regieren» steht als Motto gross über der Bühne. Mit ihrem traditionellen Neujahrstreffen läutet die FPÖ die politische Saison eigentlich jeweils ein. In diesen ersten zwei Wochen des Jahres haben sich die Ereignisse aber überschlagen. Nach dem Scheitern eines Dreierbündnisses ohne die FPÖ hat der Wahlsieger Kickl doch noch den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten und steht an der Schwelle zum Kanzleramt.

Kickl dämpft die Erwartungen der Basis

Der Auftritt des Parteichefs, den hier alle nur «den Herbert» nennen, gerät denn auch zur Machtdemonstration. 2025 habe phantastisch begonnen, findet er. Mit einem Knaller sei die «Zuckerl»-Koalition in die Luft geflogen und die Brandmauer in sich zusammengekracht – wie ein freiheitliches Neujahrskonzert sei das für ihn gewesen. Die «Systemparteien» hinterliessen einen Scherbenhaufen mit einem milliardenschweren Budgetloch, sie hätten das Land an die Wand gefahren. Nach Jahren der Manipulation, Ausgrenzung, Verletzung und Spaltung brauche es nun eine neue Ära des Regierens, in der Ehrlichkeit im Zentrum der Politik stehe.

Kickl skizziert «fünf gute Jahre» mit einem Best-of seiner Wahlkampfversprechen und verzichtet nicht auf die übliche Häme gegen die EU, die Medien, die Marxisten und «Murksisten» der politischen Konkurrenz. Dennoch ist auffallend, dass der FPÖ-Chef allzu scharfe Provokationen unterlässt. Als Signal an Bedenkenträger im Ausland erklärt er, kein Freiheitlicher wolle aus der EU austreten. Man wolle, dass sie in eine neue Phase der Selbstbesinnung eintrete. Es gebe auch keine Russland-Nähe der FPÖ, sondern eine Neutralitäts-Nähe.

Der Kurswechsel werde nicht von heute auf morgen erfolgen, so dämpft Kickl die Erwartungen der Basis, und es werde ein intensives Ringen. Keine leichte Sache sei dieses «Regierungsverhandlungsprojekt». Ein Meilenstein sei aber schon gelungen, indem man in nur drei Tagen 6,4 Milliarden Euro «zusammengekratzt» habe, um ein EU-Defizitverfahren vorerst abzuwenden, sagt er in Anspielung auf die Sparvorschläge, die die Verhandler einige Tage zuvor nach Brüssel geschickt hatten.

Ausführlich erklärt Kickl die Notwendigkeit der Einschnitte, die an seiner Basis nicht nur auf Begeisterung stossen werden. Mit Umsicht werde gespart, betont er, aber es gelte, einen EU-Aufpasser für die österreichische Haushaltskasse zu verhindern. Nun sei der Brandherd gelöscht, meint er – ein «gigantischer Erfolg» noch vor Regierungsantritt.

Tatsächlich einigten sich die beiden Verhandlungsparteien in nur drei Tagen auf den Pfad zur Konsolidierung des Budgets, worüber sich ÖVP, Sozialdemokraten und Liberale in den vergangenen Wochen derart zerstritten hatten, dass das gemeinsame Projekt scheiterte. Die Konservativen verkaufen das nun ebenfalls als Errungenschaft, und Beobachter werten es als Signal, dass eine blau-schwarze Koalition bald stehen könnte. Kickl verzichtet in Vösendorf auch auf Angriffe auf den möglichen Bündnispartner, die in den vergangenen Monaten noch zu seinem Standardrepertoire gehört hatten.

In Gesprächen mit FPÖ-Anhängern in der Eventhalle fallen erstaunlich wenig negative Worte über die ÖVP, obwohl diese Kickl monatelang als untragbares Sicherheitsrisiko bezeichnet hatte, mit dem eine Zusammenarbeit ausgeschlossen sei. Anders ist die Stimmung offenbar an der konservativen Basis, in der es seit der Kehrtwende der Partei rumort. Auch in der gemeinsamen europäischen Fraktion EVP wurde bei einer Sitzung Kritik geäussert, insbesondere von der CDU in Deutschland. Der langjährige Europaabgeordnete der ÖVP Lukas Mandl findet deshalb, man müsse als Alternative auch eine Minderheitsregierung erwägen. Er kenne in der Partei niemanden, der Kickl gegenüber nicht kritisch sei, sagte Mandl den «Oberösterreichischen Nachrichten».

«Eigentlich müssten wir aus der EU austreten»

Nicht hilfreich für das Verhältnis war ein von französischen Journalisten heimlich aufgenommenes Video eines FPÖ-Stammtischs in Wien, das «Der Standard» dieser Tage publizierte. Zwei Parlamentarier bezeichnen bei dem Anlass Flüchtlinge als «Gesindel» und finden, aus der EU müsse man eigentlich austreten, auch wenn das «keine echte Option» sei. Die ÖVP sei in einem jämmerlichen Zustand und gehöre mit einem Regierungsverbot ausgestattet, lästern sie.

Die Konservativen zeigten sich von den Aussagen befremdet und hielten erneut fest, dass es mit ihnen keinen «Öxit» geben werde. Dass das Thema zu einem Stolperstein in den Verhandlungen werden könnte, ist nach den Aussagen Kickls am Samstag aber nicht zu erwarten.

Ein erster Stimmungstest nach den Turbulenzen der vergangenen zwei Wochen fand derweil im Burgenland, dem kleinsten und östlichsten Bundesland, statt. Die ÖVP verlor bei der Landtagswahl am Sonntag zwar über 8 Prozentpunkte, angesichts ihrer erschütterten Glaubwürdigkeit hatte sie aber noch grössere Verluste befürchtet.

Grosse Siegerin ist die FPÖ, die auch hier die Konservativen überholte und ihren Wähleranteil auf 23 Prozent mehr als verdoppelte. Allerdings hatte sie gehofft, mit dem prominenten ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer den sozialdemokratischen Landeshauptmann Hans Peter Doskozil stürzen zu können, wofür der Zugewinn nicht ausreicht. Die blaue Welle, von der Kickl in Vösendorf sprach, schwappt zwar weiterhin über das Land. Aber im Burgenland bleibt sie machtpolitisch ohne echte Folgen.

Exit mobile version