Im Herbst könnte das Volk über die Abschaffung des Eigenmietwerts abstimmen. Die Folgen – und wieso es dann in vielen Fällen attraktiver wäre, die Hypothek abzuzahlen.
Der Eigenmietwert ist eine Schweizer Besonderheit. Bezahlen muss ihn, wer hierzulande in seinem Eigenheim wohnt. Das Bundesgericht schreibt vor, dass der Eigenmietwert mindestens 60 Prozent der Marktmiete betragen muss, die für ein vergleichbares Mietobjekt fällig würde. Dafür dürfen Wohneigentümer in der Steuererklärung Hypothekarzinsen und Unterhaltskosten vom steuerbaren Einkommen abziehen.
Eingeführt wurde der Eigenmietwert bereits im Jahr 1934 als Krisenabgabe, um zur Gesundung der Bundesfinanzen beizutragen. Seitdem gab es immer wieder Versuche, ihn abzuschaffen – ohne Erfolg. Nun gibt es einen neuen Anlauf.
Nach langem Ringen haben sich Nationalrat und Ständerat im Dezember vergangenen Jahres auf eine Abschaffung des Eigenmietwerts geeinigt. Nun müssen Volk und Stände noch zustimmen. Mit einer Volksabstimmung ist frühestens im Herbst zu rechnen. Die Referendumsfrist läuft am 19. April ab.
Würde die Vorlage angenommen, käme dies einem kompletten Systemwechsel gleich. Dies zeigen ihre wichtigsten Punkte:
- Der Eigenmietwert würde für Erst- und Zweitwohnsitze abgeschafft. Wohneigentümer, die ihre Immobilie selbst bewohnen, müssten den Eigenmietwert nicht mehr versteuern.
- Dafür könnten sie in Zukunft keine Unterhaltsabzüge in der Steuererklärung mehr angeben.
- Energiespar- und Umweltschutzmassnahmen könnten auf Bundesebene ebenfalls nicht mehr von den Steuern abgezogen werden. Kantone könnten solche Abzüge aber weiterhin gewähren.
- Bei selbstgenutztem Wohneigentum ist auch kein Schuldzinsabzug in der Steuererklärung mehr möglich. Wer vermietete Liegenschaften besitzt, kann diese «quotal-restriktiv» geltend machen. Das bedeutet, dass man die Schuldzinsen in der Höhe des Anteils der vermieteten Immobilien am Gesamtvermögen angeben kann.
- Für Ersterwerber von Wohneigentum würde ein zeitlich befristeter Schuldzinsabzug eingeführt. Im ersten Jahr läge dieser für Verheiratete bei 10 000 Franken, für Alleinstehende bei 5000 Franken. Über zehn Jahre hinweg würde er linear auf null sinken.
- Tourismuskantonen und -gemeinden würden durch die Abschaffung des Eigenmietwerts hohe Steuerausfälle drohen. Als Kompensation dafür könnten sie durch eine neue Verfassungsbestimmung in Zukunft eine Objektsteuer auf Ferienwohnungen erheben.
Wer von der Abschaffung profitieren würde – und wer nicht
«Aufgrund der niedrigen Zinsen würden bei einer Abschaffung des Eigenmietwerts die meisten Wohneigentümer profitieren und Steuern sparen», sagt Karl Flubacher vom Finanzdienstleister VZ Vermögenszentrum. Allerdings hätte die Abschaffung des Eigenmietwerts unterschiedliche Auswirkungen auf die verschiedenen Gruppen von Wohneigentümern.
Neuerwerber würden profitieren: Aufgrund des genannten hohen Ersterwerberabzugs würden Neuerwerber-Ehepaare aus Sicht von Fredy Hasenmaile, Chefökonom bei Raiffeisen Schweiz, am stärksten entlastet. Sie würden hohe Einkommenssteuer-Ersparnisse erreichen.
Viele Rentner könnten Steuerlast reduzieren: Ausserdem würden Haushalte mit tiefer Verschuldung stark von dem Systemwechsel profitieren, darunter dürften viele Rentnerehepaare sein. «Viele Rentner wohnen in einer älteren Immobilie, haben ihre Hypothek bereits stark amortisiert und planen keine allzu grossen Unterhaltsarbeiten», sagt Lukas Vogt, Chef des Hypothekenvermittlers Moneypark. Im derzeitigen System können solche Haushalte nicht allzu grosse Steuerabzüge geltend machen – folglich ist es für sie auch nicht so schlimm, wenn diese Möglichkeiten wegfallen. Laut Vogt könnten manche dieser Haushalte bei einem Systemwechsel ihre Steuerlast wohl um einen Viertel reduzieren.
Nachteile für Eigentümer von sanierungsbedürftigen Immobilien: Wer eine sanierungsbedürftige Immobilie besitzt, dürfte indessen bei einer Annahme der Vorlage am wenigsten entlastet werden. Schliesslich können Unterhaltskosten und werterhaltende Sanierungsarbeiten dann nicht mehr steuerlich geltend gemacht werden. «Im derzeitigen System kann man bei einer alten Immobilie steuerlich besser optimieren als bei einer neuen», sagt Florian Schubiger, Mitgründer der Vergleichsplattform Hypotheke.ch. Aus diesem Grund geht er davon aus, dass ältere, sanierungsbedürftige Liegenschaften bei der Abschaffung des Eigenmietwerts an Wert verlieren dürften.
Das Baugewerbe wäre ein Verlierer
Würde die Vorlage umgesetzt, dürfte dies folglich auch das Baugewerbe zu spüren bekommen, da die Zahl der Aufträge zurückgehen dürfte. «Viele Leute machen beispielsweise nur deshalb eine neue Küche, weil sie dies vom steuerbaren Einkommen abziehen können», sagt Schubiger. Würde die Vorlage angenommen, dürfte es indessen in den Jahren vor dem Systemwechsel zu einem Boom in der Handwerksbranche kommen – einem «Renovationsboom». Viele Wohneigentümer dürften dann Sanierungsarbeiten vornehmen, um noch Steuern zu sparen.
Da man als Immobilieneigentümer die Unterhaltskosten für die Liegenschaft vom steuerbaren Einkommen abziehen kann, ist es attraktiv, die Liegenschaft in Schuss zu halten. Davon profitieren indirekt Berufsgruppen wie Bauhandwerker.
Wenn der steuerliche Anreiz zum Unterhalt von Immobilien wegfalle, könne sich der Bauzustand in der Schweiz schleichend verschlechtern, erwartet Vogt. «Die Devise ‹Verlottern lassen und dann neu bauen› könnte unter Wohneigentümern mehr Nachahmer finden», sagt auch Hasenmaile.
Nachteile für Banken – Hypothekarvolumen könnte sinken
Auch die Finanzbranche gehört zu den Profiteuren des Eigenmietwerts. Das Hypothekarvolumen in der Schweiz könnte sich indessen bei der Abschaffung reduzieren, da viele Wohneigentümer dann einen grösseren Anreiz hätten, ihre Hypotheken zu amortisieren. «Für viele Banken sind das schlechte Nachrichten, da das Zinsdifferenzgeschäft für sie mit Abstand die wichtigste Einnahmequelle ist», sagt Schubiger. «Wenn Eigenheimbesitzer ihre Hypotheken stärker amortisieren, verlieren die Banken eigentlich sogar zwei Geschäfte», sagt Flubacher: bei den Hypotheken und den Geldern, die derzeit bei ihnen angelegt sind und die die Eigenheimbesitzer dann zur Amortisation verwenden würden.
Auch der Bund und die Kantone dürften der Abschaffung des Eigenmietwerts mit gemischten Gefühlen gegenüberstehen. Der Fiskus müsste über Jahre hinweg mit geringeren Einnahmen in Milliardenhöhe rechnen, so Hasenmaile. Es brauche ein Zinsniveau von rund 3 Prozent, damit sich Steuerentlastungen und Steuerbelastungen grob die Waage hielten. Die Eidgenössische Steuerverwaltung rechne bei einem Zinsniveau von 1,5 Prozent mit fiskalischen Mindereinnahmen von fast 1,7 Milliarden Franken pro Jahr.
Der Raiffeisen-Schweiz-Chefökonom geht in seiner Analyse auch davon aus, dass Wohneigentümer, die neben ihrem Eigenheim auch Renditeliegenschaften besitzen, ihre Liegenschaften verstärkt vom Privatvermögen in zur Steuervermeidung neu gegründete Gesellschaften wie Immobilienaktiengesellschaften überführen würden. So könnten sie sicherstellen, dass sie nach der quotal-restriktiven Methode weiterhin möglichst viele Schulden von den Steuern abziehen könnten. Wer auf seinen Renditeobjekten noch Belehnungsreserven habe, könne seine bisherige Hypothek auf dem Eigenheim auf die Renditeobjekte im Firmenvermögen verschieben. So liessen sich die Schuldzinsen auch nach dem Systemwechsel vollständig abziehen.
Uneinigkeit über die Chancen bei der Abstimmung
Viele Beobachter gehen davon aus, dass die Vorlage an der Urne abgelehnt wird. Dazu gehört auch Schubiger. Oft erhielten komplizierte Abstimmungsvorlagen in frühen Phasen Zustimmung in der Bevölkerung. Wenn es dann aber auf die Zielgerade gehe, sinke diese. «Zudem hat die Vorlage viele Gegner in der Politik sowie in der Finanz- und der Handwerkerbranche.» Auch Flubacher hält es eher für unwahrscheinlich, dass das Volk die Vorlage annimmt.
Hasenmaile sieht indessen durchaus gewisse Chancen, dass das Volk der Vorlage zustimmt. Die meisten Wohneigentümer würden von der Vorlage profitieren, sagt er. Bereits im Jahr 2012 war eine Vorlage, die die Rentner vom Eigenmietwert befreien sollte, nur knapp in einer Volksabstimmung gescheitert. Wohneigentümer seien in der Schweiz eine Minderheit mit einem Anteil von rund 36 Prozent an der Gesamtbevölkerung. An der stimmberechtigten Wohnbevölkerung hätten sie allerdings einen Anteil von 43 Prozent – und sie gingen überdurchschnittlich oft an die Urne.
Zudem dürfte auch eine nicht zu vernachlässigende Minderheit der Mieter für den Systemwechsel stimmen – vor allem diejenigen, die selbst einmal Wohneigentümer werden möchten. Gerade für Neuerwerber habe die Vorlage schliesslich einige Vorteile. Das erforderliche Ständemehr stuft Hasenmaile als «überwindbare Hürde» ein.
Wann sich die Amortisation der Hypothek lohnen würde
Käme es tatsächlich zur Abschaffung des Eigenmietwerts, dürften sich viele Immobilienbesitzer die Frage stellen, wie sie mit ihrer Hypothek umgehen sollen. «Bei einer Abschaffung des Eigenmietwerts würde es in vielen Fällen attraktiver, die Hypothek abzuzahlen», sagt Flubacher. Schliesslich gäbe es dann deutlich weniger Steuerabzugsmöglichkeiten.
Allerdings sollten Wohneigentümer dies individuell und genau prüfen – beispielsweise anhand der folgenden Punkte.
- Geld ist in der Immobilie gebunden: Zahlt man die Hypothek ab, so bleibt das Geld für die Amortisation im Haus gebunden. Der Hausbesitzer erwirtschaftet damit keine Rendite. Laut Flubacher nimmt der Ertrag auf das Vermögen nach der Amortisation oft deutlich ab – und oft seien Vermögenserträge höher als die Hypothekarzinsen. Viele Immobilienbesitzer wollten auch ihre Kinder unterstützen, wofür ebenfalls liquide Mittel nötig seien.
- Bleibt genug für den Ruhestand? Viele Immobilienbesitzer hätten bereits viel Geld in ihre Liegenschaft investiert, sagt der VZ-Vertreter. Bevor man sich entschliesse, die Hypothek noch stärker abzuzahlen, solle man durchrechnen, ob man genügend Mittel für den Ruhestand beisammenhabe.
- Aufstockung der Hypothek im Alter oft schwierig: Dabei solle man sich auch bewusst sein, dass eine Aufstockung der Hypothek im Alter, mit der man wieder liquide Mittel freisetzen könnte, oftmals schwierig sein dürfte. Es ist keineswegs sicher, dass man beispielsweise im Alter von 75 Jahren noch eine Hypothek von der Bank bekommt.
Sanierungen nicht auf die lange Bank schieben
Handlungsbedarf für Wohneigentümer sehen die Experten derzeit indessen nur in geringerer Form. Schliesslich ist die Abschaffung des Eigenmietwerts noch nicht endgültig entschieden – und könnte scheitern.
Wer heute eine ältere Liegenschaft habe und plane, diese zu sanieren, sollte allenfalls nicht zu lange warten, sagt Hasenmaile. Schliesslich dürfte es zu einem Run auf Handwerker kommen, wenn die Vorlage angenommen wird. «Möglicherweise kann man heute mit den Handwerkern bereits etwas vorausplanen und allfällige Sanierungen durchdenken», sagt er.