Mittwoch, Februar 26

Stefan Rehder, Gründer der Münchner Investment-Boutique Value Intelligence Advisors, hält die Börsenschwergewichte für gefährlich überbewertet. Er sucht deshalb nach Qualität in vernachlässigten Werten, von denen es derzeit viele gibt.

Stefan Rehder macht sich Sorgen. Nach jahrelanger Hausse unterscheide fast niemand mehr zwischen Wert und Preis einer Anlage. Deshalb versammle sich fast das gesamte Anlagekapital in einigen wenigen Mega Caps, die der Gründer der Münchner Investment-Boutique Value Intelligence Advisors inzwischen für gefährlich überbewertet erachtet. «Dieser sorglose Umgang mit den Bewertungen wird zu dauerhaften Kapitalverlusten führen», warnt Rehder im Gespräch.

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Druck auf die Bewertungen erwartet er von strukturell höheren Zinsen. Er fürchtet, dass die Zinshoffnungen der letzten zwei Jahre, die zu einem erneuten Aufbäumen der «Glorreichen Sieben» geführt hat, enttäuscht werden. «Der Zinstrend hat gedreht», ist er überzeugt. Nach vierzig Jahren mit stetig sinkenden Zinsen stehe nun ein längerer Aufwärtstrend an, getrieben durch eine hartnäckig hohe Inflation und ein Überangebot an Staatsanleihen.

Allerdings habe die hohe Konzentration auf wenige Indexschwergewichte auch ihr Gutes. «Abseits des Mainstreams finden sich teils absurd günstige Gelegenheiten, weil fast niemand in der grossen Mehrzahl der Aktien investiert ist.» Das gelte sogar für Profiteure der künstlichen Intelligenz (KI). Dazu zählt Rehder Produzenten von Speicherchips, die dank der Quantensprünge, die ab diesem Jahr von KI-Agenten erwartet werden, ausgezeichnete Wachstumsaussichten aufweisen würden.

Im Gespräch erläutert Rehder, wo er weitere günstige KI-Wetten findet, warum er beim Schweizer Schokoladenhersteller Barry Callebaut eingestiegen ist und den Nahrungsmittelmulti Nestlé meidet. Zudem erklärt er, weshalb er nicht nur in Gold, sondern neu auch in Platin investiert hat.

Herr Rehder, die Börsen haben bewegte Wochen hinter sich. Wie beurteilen Sie das Umfeld?

Uns bereitet Sorge, dass fast niemand mehr zwischen Wert und Preis einer Anlage unterscheidet. Das billige Geld der vergangenen Jahrzehnte hat fast sämtliche Vermögenswerte in die Höhe getrieben. Mehr als 50% der Investoren investieren passiv, und vom Rest richten sich rund 90% nach dem Momentum aus. Deshalb versammelt sich praktisch das gesamte Kapital in einigen wenigen Indexschwergewichten, die inzwischen gefährlich überbewertet sind. Dieser sorglose Umgang mit der Bewertung wird zu dauerhaften Kapitalverlusten führen.

Was macht Sie da so sicher?

Seitdem die US-Notenbank Mitte September die Zinsen gesenkt hat, sind die Renditen lang laufender Staatsanleihen gestiegen. Das ist höchst unüblich, im Normalfall sinken sie, wenn das Fed die Geldpolitik lockert. Dem Markt scheint zu dämmern, dass die Inflation hartnäckiger sein könnte als erwartet und dass das in Friedenszeiten rekordhohe Budgetdefizit zur Belastung wird. Über die letzten zwei Jahre wurde das Überangebot an Treasuries von den Banken absorbiert, die ihre bei der US-Notenbank Fed liegenden Reverse Repos – das sind Geldmarktanlagen der Geschäftsbanken bei der Zentralbank – in kurz laufende Staatsanleihen umgeschichtet haben. Inzwischen ist der Bestand an Reverse Repos von 2,5 Bio. auf 78 Mrd. $ gefallen, diese Finanzierungsquelle wird also demnächst versiegen. Gleichzeitig müssen die USA in den nächsten zwei Jahren rund 30% ihrer Staatsschulden refinanzieren.

Was heisst das?

Dass der Zinstrend gedreht hat, zumindest am langen Ende. Die Zinsen bewegen sich in extrem langen Zyklen von rund dreissig bis vierzig Jahren. Der Abwärtstrend, der in den frühen Achtzigerjahren begonnen hat, dürfte mit dem Tiefst von 2021 abgeschlossen worden sein. Seither steigen die Zinsen. Damit dürften auch viele der Trends, die von den niedrigen Zinsen begünstigt wurden, rückabgewickelt werden. Dazu zählt die Hausse in vielen Vermögenswerten. Deshalb denken wir, dass die Zeit der Illusion vom anstrengungslosen Wohlstand, die nach Jahren des Aufwärtstrends ohne nennenswerte Korrekturen auch an den Börsen Einzug gehalten hat, vorbei ist.

Was macht Sie so sicher, dass die Zinsen nicht wieder sinken werden?

Wir fürchten, dass das Inflationsproblem nicht gelöst ist. Immense Infrastrukturinvestitionen, militärische Aufrüstung oder die Deglobalisierung wirken inflationär. Obwohl sich die Teuerung zurückgebildet hat, verharrt sie schon seit Monaten deutlich über dem Fed-Inflationsziel von 2% und ist jüngst gar gestiegen. Damit nimmt die Gefahr zu, dass es wie in den Siebzigerjahren wegen verfrühter Zinssenkungen zu einer neuerlichen Teuerungswelle kommt, die mit Zinserhöhungen bekämpft werden müsste, was die Wirtschaft abwürgen würde. Die Gefahr einer Stagflation, also einer stagnierenden Konjunktur bei gleichzeitig steigenden Preisen, ist nicht gebannt.

Hat sich durch die Wahl von Donald Trump diesbezüglich etwas geändert?

Donald Trump steht für einen fundamentalen Wandel. Er orientiert sich an der Wirtschaftspolitik des 19. Jahrhunderts, als sich die USA durch hohe Zölle und Aufrüstung von Europa emanzipierten. Dieser zunehmende Protektionismus dürfte ziemlich sicher inflationär wirken und weltweit mehr Verlierer als Gewinner schaffen. Zudem kommt mit dem vom schottischen Ökonomen Russell Napier geprägten Begriff des Nationalkapitalismus womöglich eine neue globale monetäre Ordnung zum Tragen.

Was beinhaltet diese neue monetäre Ordnung?

Trump könnte das Fed entmachten und dessen Rolle auf das Bereitstellen von Liquidität für die Wirtschaft beschränken. Um den Zinsanstieg zu begrenzen, sind neben der Einführung einer Zinskurvenkontrolle, die die Zinsen über das Laufzeitenspektrum deckelt, ein Treasury-Kaufzwang oder zumindest starke Kaufanreize für institutionelle und private Investoren denkbar. Um Treasuries erwerben zu können, müssten andere Vermögenswerte abgestossen werden. Wegen ihres hohen Gewichts in vielen Portfolios kämen die hoch bewerteten Mega Caps so zusätzlich unter Druck.

Zu diesen Mega Caps zählen Namen wie Alphabet und Microsoft, die zu den besten Unternehmen der Welt gehören und auch künftig wachsen werden. Auch die Bewertung scheint nicht völlig von den Fundamentaldaten entkoppelt.

Ja, ein Unternehmen wie Microsoft kann auch künftig 15% wachsen, nur käme die Bewertung trotzdem unter Druck, falls die Zinsen tatsächlich steigen sollten. Eine Rendite des freien Cashflows von 2%, wie sie Microsoft derzeit aufweist, ist einfach nicht attraktiv, wenn Treasuries 5% oder mehr abwerfen. Als wir Microsoft 2011 kauften, betrug die Cashflowrendite über 12%, da war das Unternehmen nicht so davon abhängig, dass optimistische Wachstumsannahmen die Bewertung nachhaltig rechtfertigen. Zudem kann heutzutage das Wachstum der Vergangenheit bei vielen Unternehmen nicht einfach in die Zukunft extrapoliert werden. Bei vielen ehemaligen Gewinnmaschinen wie der US-Kaffeehauskette Starbucks oder dem Schweizer Nahrungsmittelmulti Nestlé ist der Gewinnmotor nachhaltig ins Stottern geraten.

Ist das nicht nur eine temporäre Schwäche?

Das glauben wir nicht. Viele Qualitätsunternehmen haben ihre Preissetzungsmacht in den guten Zeiten überreizt, was künftige Preiserhöhungen schwierig macht. Es drohen im Gegenteil sogar Preisnachlässe. McDonald’s musste kürzlich das 5-$-Menü wieder einführen, weil sich viele Familien die teureren Menüs nicht mehr leisten können. Oder nehmen Sie Novo Nordisk: Der Preis für das Blutzucker- und Abnehmpräparat Ozempic ist in den USA zehnmal so hoch wie in Europa. Da liegt die Versuchung für die äusserst kostenbewusste neue US-Regierung nahe, Druck auf das Pricing auszuüben, weil das Einsparpotenzial für die staatlichen Krankenversicherer Medicare und Medicaid riesig ist. Enttäuschungen an der Gewinnfront werden bei hoch bewerteten Aktien für zusätzlichen Druck sorgen. Das Enttäuschungspotenzial hat auch für Softwareunternehmen wie Adobe zugenommen.

Was ist das Problem bei Adobe?

Das Aufkommen künstlicher Intelligenz wird bei vielen Softwareunternehmen für Disruption sorgen, weil sich wichtige Markteintrittsbarrieren in Luft auflösen. So wird zum Beispiel der Wettbewerbsvorteil durch Habit Formation – also die Gewohnheit und Bequemlichkeit, beim bestehenden Anbieter zu bleiben, weil ein Wechsel zu aufwendig wäre – aufgeweicht, weil Bedienung und Datentransfer durch KI-Agenten einfacher werden. Ist eine alternative Software dann auch noch günstiger und komfortabler, ist es mit der Preissetzungsmacht vorbei.

Was tun Sie, um sich vor solchen Enttäuschungen zu schützen?

Wir mögen Unternehmen, die eine hohe Rendite des freien Cashflows aufweisen und deren Wachstum gleichzeitig unterschätzt wird. So halten wir gewissermassen den Spatzen in der Hand und zudem eine günstige Option auf die Taube auf dem Dach. Auf Aktien zu verzichten wäre wegen der Gefahr der sich fortsetzenden finanziellen Repression ein Fehler, allerdings müssen sich Anleger von den hoch bewerteten Indexlieblingen fernhalten, da diese die hohen Zinsen über den Druck auf die Bewertung spüren werden.

Die hohe Konzentration in den Börsenindizes bereitet Ihnen Sorgen.

Ja, wobei sie auch ihr Gutes hat: Weil sich fast das gesamte Kapital in einigen wenigen Mega Caps versammelt hat, wurde die grosse Mehrzahl an Aktien vernachlässigt, was abseits des Mainstreams für teils absurd günstige Gelegenheiten sorgt.

Wo finden Sie diese Gelegenheiten?

Unter anderem in Bereichen, in denen man Value-Investoren gar nicht vermutet. Das grosse Thema dieses Jahr dürfte das Aufkommen von KI-Agenten sein, das sind Apps mit KI-Unterstützung, die einfache Aufgaben selbständig ausführen können. Deren Verbreitung wird für eine grosse Nachfrage nach KI-konformen Endgeräten wie Smartphones und PC sorgen, die einen 50 bis 100% höheren Bedarf an Speicherchips haben als bisherige Geräte. Dies, weil viele der KI-Anwendungen aus Kapazitäts- und Geschwindigkeitsgründen lokal und nicht in der Cloud ablaufen werden. Es gibt weltweit drei Anbieter von solchen DRAM-Chips, sie bilden also ein Oligopol, das für Preissetzungsmacht sorgt. Diese ausgezeichneten Wachstumsperspektiven werden derzeit vom Markt noch ignoriert, weil die Quantensprünge durch KI-Agenten bisher noch nicht greifbar geworden sind. Das sollte sich dieses Jahr ändern.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Mit Samsung Electronics und SK Hynix stammen zwei der drei Anbieter von Speicherchips aus Südkorea. Beide sind für sich betrachtet schon sehr günstig, doch über die Holding-Gesellschaften Samsung C&T und SK Square erhalten Sie einen zusätzlichen Abschlag von 50% und mehr. Samsung C&T ist die Privatschatulle der Samsung-Gründerfamilie Lee. Sie hält 5% an Samsung Electronics und 40% an Samsung Biologics. Jeder der beiden Bereiche ist so viel wert wie die gesamte Marktkapitalisierung von Samsung C&T.

Was braucht es, damit der Abschlag abgebaut wird?

Die Aktienkultur in Südkorea verbessert sich. Das Korea-Value-up-Programm macht langsame, aber stetige Fortschritte, und der Samsung-Konzern spielt dabei eine zentrale Rolle. So hat Samsung Anfang des Jahres erstmalig Aktienvergütungen für das Management eingeführt. Zudem hat die Regierung in Zusammenarbeit mit der Börse und dem nationalen Pensionsfonds zahlreiche Anreize geschaffen, sich aktionärsfreundlicher zu verhalten.

Wie kommt der Abschlag bei SK Hynix zustande?

Der grösste Eigner von SK Hynix ist SK Square, die zu einem Kurs-Buchwert-Verhältnis von 0,4 handelt. Über SK Square erhalten Sie also einen zusätzlichen Abschlag von 60% auf SK Hynix. Der britische Hedge Fund Palliser macht Druck auf SK Square, den Kurs auf den Buchwert zu steigern. Das Unternehmen hat darauf sehr positiv reagiert und Bereitschaft zum Wandel signalisiert. Es sind deshalb aktionärsfreundliche Massnahmen wie Aktienrückkäufe zu erwarten. Das Wachstum, das sich aus der Verbreitung von KI-Agenten ergibt, ist weder bei SK Square noch bei Samsung C&T eingepreist. Beide Unternehmen bieten somit Wachstum zu aussergewöhnlich niedrigen Preisen.

Haben Sie weitere Beispiele?

Wachstum zu niedrigen Preisen finden wir auch in scheinbar langweiligen Branchen, zum Beispiel bei Singapore Telecom oder kurz Singtel. Das Unternehmen betreibt in Kooperation mit dem US-Aktivisten KKR Datencenter, deren Rechenleistungen dank der Verbreitung von KI-Agenten gefragt sein werden. Die Nachfrage könnte dank der Rechtssicherheit in Singapur zusätzlich unterstützt werden, weil die Daten dort sicherer sind als anderswo.

Der Telecomsektor bietet zudem meist stattliche Dividendenrenditen.

Das ist auch bei Singtel so. Die Dividendenrendite beträgt 5% in harten Singapur-Dollar und dürfte dank der Beteiligung des Singapurer Staatsfonds Temasek gesichert sein. Die Titel bieten also Rendite und Wachstum. Dazu kommt: Singtel hat keine ernstzunehmende Konkurrenz, und die begonnene Monetarisierung der erfolgreichen Beteiligung am indischen Telecom-Oligopolisten Bharti Airtel dürfte weitere aktionärsfreundliche Massnahmen begünstigen.

Potenzial wird auch den Anwendern von KI zugesagt, beispielsweise im Pharma- und Biotech-Bereich. Spielen Sie das auch?

Nur indirekt über die wertvollste Beteiligung von Samsung C&T, Samsung Biologics, die zusammen mit der Schweizer Lonza und der chinesischen WuXi Biologics zu den grössten Auftragsfertigern für Biosimilars zählt. Der Biopharma Act, der von Trump wohl bald abgesegnet werden dürfte, verbietet den Verkauf chinesischer Biosimilars in den USA. Deshalb dürften viele bisherige Kunden von WuXi zu Lonza und Samsung Biologics wechseln. Die Nachfrage könnte zusätzlich anziehen, wenn KI dank schnellerer Produktentwicklung für kürzere Produktzyklen sorgen würde.

Letztes Jahr sind Sie beim Schweizer Schokoladenhersteller Barry Callebaut eingestiegen. Was reizt Sie an Barry?

Barry ist mit einem Marktanteil von 19% grösster Hersteller von Schokoladenmasse und verkauft davon einen Grossteil an kleinere Hersteller wie Ritter Sport. Dabei finanziert Barry die Kunden vor, indem das Unternehmen die Kakaobohnen bei Vertragsabschluss kauft und bis zur Lieferung und Bezahlung der Schokolade durch den Kunden rund zwölf Monate vergehen. Wegen der stark steigenden Kakaopreise sind das Nettoumlaufvermögen und damit die Schulden in die Höhe geschossen und der freie Cashflow gesunken, was den Kurs belastet hat. Das Problem der höheren Preise ist aber temporär.

Wann kommt es zur Entspannung?

Dank der höheren Preise werden zusätzliche Kakaobäume gepflanzt, was den Markt ab 2026 entlasten dürfte. Mit den sinkenden Kakaopreisen werden auch die Bilanz und die Schulden schrumpfen und der freie Cashflow wieder zunehmen. Die Dienstleistungen von Barry als «Chefeinkäufer» und Auftragsfertiger dürften weiterhin gefragt sein, und dank seiner Grösse hat der Konzern mehr Einkaufsmacht als kleinere Anbieter, die künftig auch wegen der jüngsten Turbulenzen am Kakaomarkt vermehrt bei Barry einkaufen dürften. Barry könnte dank der so zu erwartenden Marktanteilsgewinne deutlich wachsen. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis für 2026 liegt bei 12,5, das ist für einen eigentlich eher defensiven Qualitätswert sehr günstig.

Nestlé war lange der Inbegriff eines Qualitätswerts. Seit dem Höchst im Januar 2022 hat sich der Kurs zwischenzeitlich fast halbiert. Wird Nestlé irgendwann zum Thema für Sie?

Nestlé hat zwar ein tolles Portfolio an starken Premiummarken. Nur hat das Unternehmen seine Preissetzungsmacht ausgereizt und scheint dabei nun an eine Grenze gestossen zu sein. Konsumenten weichen auf günstigere Marken aus. Dieses Trading Down ist ein Phänomen, das uns wohl längere Zeit begleiten wird. Dennoch handeln die Titel auf Basis des für 2026 geschätzten Gewinns noch zu einem KGV von 18,4. Die Gewinnrendite, also der Kehrwert des KGV, liegt demnach bei rund 5,4%. Damit ich als Aktionär einen respektablen Ertrag erwarten kann, müsste das Unternehmen also deutlich wachsen. In der Vergangenheit kam dieses Wachstum über Preiserhöhungen zustande. Das scheint in Zeiten des Trading Down deutlich schwieriger zu werden.

Sie haben eine Präferenz für harte Währungen wie den Singapur-Dollar oder die norwegische Krone, und auch Gold stufen Sie als Währung ein. Ist das Edelmetall nach dem extrem guten Lauf der vergangenen Monate noch attraktiv?

Wir halten an unseren Goldpositionen fest, sie dienen uns als Absicherung gegen adverse Szenarien wie eine Stagflation oder eine weitere Inflationierung der Staatsschulden. Goldminen sind zudem im Vergleich zu ihren Goldvorräten historisch niedrig bewertet. Neben Gold halten wir seit kurzem auch Platin. Jährlich werden derzeit 6 bis 7 Mio. Unzen gefördert, während die Nachfrage 7 bis 8 Mio. Unzen beträgt. Der Markt befindet sich also in einem strukturellen Defizit, in dessen Folge die weltweiten Platinvorräte auf 3 Mio. Unzen geschrumpft sind. Zum Vergleich: Beim Gold sind es rund 5,5 Mrd. Unzen. Platin ist also wesentlich knapper als Gold, bei dem fast das gesamte je geförderte Angebot noch vorhanden ist.

Dennoch ist der Platinpreis auf 1000 $ je Unze gefallen.

Was dazu geführt hat, dass Platin im Vergleich zu Gold auf einem 85-Jahres-Tief notiert, obwohl es wie Gold monetäre Qualitäten hat. Die Grenzkosten der Förderung dürften rund 1100 $ betragen. Deshalb wird nicht nur nicht investiert, sondern es werden im Gegenteil sogar Minen geschlossen. Der Incentive-Preis, bei dem es sich für die Minen lohnt, zusätzliches Angebot zu fördern, dürfte sogar noch höher bei einem Unzenpreis von rund 1500 $ liegen. Und auch wenn der Kurs über 1500 $ steigen sollte, dauert es rund 18 bis 24 Monate, bis das schnellst verfügbare Angebot – das aus stillgelegten Minen – zutage gefördert werden kann, von neuen Projekten ganz zu schweigen. Der Kurs könnte langfristig deshalb über 1500 $ klettern.

Ein Grund für den niedrigen Platinpreis dürfte die nachlassende Nachfrage aus dem Automobilbereich sein.

Doch auch dort zieht die Nachfrage an, weil der Absatz von Hybridfahrzeugen steigt, für die es mehr Platin braucht als für Elektrofahrzeuge. Dazu kommt die Ankündigung der russischen Zentralbank, ihre Währungsreserven in Silber und Platin zu diversifizieren. China hat zudem ein 3 Mrd. $ schweres Wasserstoffprogramm lanciert, das die Nachfrage nach Platin ebenfalls beleben wird. Dazu kommt die Investorennachfrage, die derzeit nur rund 5% des Gesamtnachfrage ausmacht, während es vor ein paar Jahren noch 20% waren.

Wird die Investorennachfrage zurückkehren?

Im Zeitalter der finanziellen Repression dürfte auch Platin einen monetären Status erlangen. Der US-Retailer Costco hat kürzlich Platinmünzen in sein Angebot aufgenommen, die teils nach kurzer Zeit ausverkauft waren. Die Shanghai Precious Metals Exchange wird im laufenden Quartal Platin-Futures einführen als Möglichkeit, aus dem Yuan zu diversifizieren, der unter Abwertungsdruck steht. Wenn der Kurs Fahrt aufnimmt, dürfte die Investorennachfrage deutlich anziehen. Gleichzeitig verknappt Russland, das 12% zur weltweiten Platinförderung beiträgt, das Angebot durch die Diversifikation seiner Währungsreserven.

Wie investieren Sie in Platin?

Wir haben in unseren Fonds 2,5% in physisches Platin und 2,5% in den südafrikanischen Platinförderer Anglo American Platinum investiert, der als einziger der Förderer ein akzeptables ESG-Rating aufweist. Unsere Platinpositionen, die koreanischen Holding-Gesellschaften oder ein in Ungnade gefallener Schweizer Schokoladenproduzent sind gute Beispiele, wonach wie derzeit primär suchen: qualitativ hochwertige Assets mit temporären, aber lösbaren Problemen, die von den Marktteilnehmern vernachlässigt wurden, weil sie dem Zeitgeist vom anstrengungslosen Wohlstand nicht entsprechen.

Stefan Rehder

Stefan Rehder ist ein ausgewiesener Kenner der Value-Szene. Seine Begeisterung für das Thema entstand, als der gebürtige Hamburger in den späten Neunzigerjahren für die Privatbank Schröder, Münchmeyer, Hengst & Co. in den USA arbeitete und dort als Anlageberater führende Value-Investoren betreute. Zurück in Europa, implementierte er den Value-Ansatz 2003 bei der BayernLB. 2009 hat er sich mit der Gründung der Vermögensverwaltungs-Boutique Value Intelligence Advisors einen lang gehegten Wunsch erfüllt. Derzeit verwaltet die Gesellschaft rund 450 Mio. €. Rehder veranstaltet regelmässig die Value Intelligence Conference, an der führende Value-Investoren aus der ganzen Welt auftreten.
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