Freitag, März 14

Die SP übt im Streit um die Prämienverbilligung den Spagat: Sie verspricht maximalen Nutzen bei minimalen Kosten. Das geht nicht auf. Wer bezahlt, wer profitiert?

Fast alle bekommen ganz viel Geld, und praktisch niemand muss etwas dafür bezahlen. Das ist – überspitzt formuliert – das Versprechen, mit dem die SP für ihre Initiative wirbt, die am 9. Juni an die Urne kommt. Sie verlangt einen Prämiendeckel: Kein Haushalt soll gezwungen sein, mehr als 10 Prozent des verfügbaren Einkommens für die Grundversicherung auszugeben. Den Rest müsste der Staat via Prämienverbilligungen finanzieren. Bei der Umsetzung hätten Bundesrat und Parlament deutlich mehr Spielraum als etwa bei der 13. AHV-Rente. Das erschwert genaue Prognosen.

Und erleichtert grosse Versprechen. Ohne rot zu werden, können linke Exponenten behaupten, die Schätzungen des Bundesrats zu den Mehrkosten der Initiative seien massiv übertrieben. Sie argumentieren, das bürgerliche Parlament werde bei der Umsetzung darauf achten, dass Bund und Kantone nicht zu stark belastet würden. Das mag sein.

Aber in diesem Fall wäre auch der Nutzen der Initiative deutlich geringer. Fliessen vorne weniger Zusatzgelder in das System hinein, kommen hinten auch weniger heraus. Wer also sagt, die Mehrkosten seien deutlich tiefer, müsste den Leuten auch sagen, dass sie weniger Geld erhalten werden als bis anhin gemeint. Doch davon ist nichts zu hören. Es kursieren immer noch dieselben verlockenden Fallbeispiele, die zeigen, wie stark angeblich die Familie X und die Rentnerin Y entlastet würden.

Nicht «krass wahrheitswidrig»

Das Motiv ist klar: Je mehr Stimmberechtigte davon ausgehen, dass sie zu den Nutzniessern gehören, umso grösser dürfte die Zustimmung ausfallen. Die Initianten betonen denn auch gern, es sei der «Mittelstand», der in den Genuss der höheren Unterstützung käme. Es ist ihnen sogar gelungen, zwei ihrer Fallbeispiele im offiziellen Abstimmungsbüchlein des Bundes unterzubringen, der wichtigsten Informationsquelle für viele Stimmberechtigte.

Eindrücklich ist dieses Beispiel: Eine vierköpfige Familie mit einem Einkommen von 9000 Franken netto (!) könne dank der Initiative monatlich im Durchschnitt «mehrere hundert Franken» sparen. Das ist zwar vage, aber durchaus verheissungsvoll. Doch ist es auch realistisch? Kann es wirklich sein, dass ein Haushalt mit diesem Lohnniveau so stark entlastet würde?

Abstimmungskomitees müssen es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen. Mit einer Ausnahme: im Abstimmungsbüchlein. Hier kann die Bundeskanzlei (BK) laut Gesetz «krass wahrheitswidrige Äusserungen» zurückweisen. Sie erklärt auf Anfrage, auch im vorliegenden Fall seien die Angaben des Initiativkomitees wie üblich überprüft worden. In fachlicher Hinsicht war das Bundesamt für Gesundheit (BAG) zuständig.

Unter Umständen plausibel

Das BAG betont vorab, Aussagen zu finanziellen Entlastungen seien unsicher und abhängig von Annahmen. Es hat die Fallbeispiele mit eigenen Zahlenmodellen verglichen. Fazit laut BAG: Je nach Umsetzung sei das Beispiel der vierköpfigen Familie im Durchschnitt der Kantone unter Umständen plausibel.

Aber nur – und das ist der springende Punkt –, wenn man die Frage der Finanzierung ausser acht lässt. Wenn man also ausblendet, dass Bund und Kantone voraussichtlich die Steuern oder andere Abgaben erhöhen müssen, um die verlangten Ausgaben tätigen zu können. Wenn davon auch die vierköpfige Beispielfamilie betroffen ist, wird sie einen Teil der zusätzlichen Unterstützung gleich wieder verlieren – oder, wenn sie Pech hat, unter dem Strich sogar drauflegen.

Für eine Gesamtbilanz inklusive Finanzierung sind weitere Annahmen notwendig, weil nicht klar ist, wie Bund und Kantone die zusätzlichen Einnahmen beschaffen werden. Erhöhen sie zum Beispiel die Mehrwertsteuer, sind die vierköpfige Familie und alle anderen Haushalte ganz sicher betroffen. Setzen sie hingegen bei den Einkommenssteuern an, ist die Sache weniger klar.

1200 Franken pro Haushalt: Mit dieser Zahl operieren die Gegner der Initiative. So hoch ist nach ihrer Rechnung die zusätzliche Belastung eines durchschnittlichen Haushalts, falls die Mehrkosten an der Obergrenze der Schätzungen liegen und vollständig über die Mehrwertsteuer finanziert werden.

Auf die Gesamtbilanz kommt es an

Eine wesentlich subtilere Annäherung bietet ein Rechnungsmodell, welches das Beratungsbüro Ecoplan zusammen mit der «Sonntags-Zeitung» entworfen hat. Es geht teilweise von denselben Annahmen aus wie der Bund, setzt aber die entscheidende Referenzprämie tiefer an. Für die Finanzierung nimmt es einen Mix an (höhere Einkommens- und Vermögenssteuer in den Kantonen sowie höhere Bundes- und Mehrwertsteuer). Auch wenn die Annahmen zwangsläufig unsicher sind, so zeigt das Modell doch, wie sich eine politisch realistische Umsetzung auf verschiedene Haushalte auswirken würde. Und im Gegensatz zu den Fallbeispielen der Initianten ist hier auch berücksichtigt, dass das Geld nicht vom Himmel fällt.

Wer gewinnt, wer verliert? Einige Punkte fallen auf:

  • Auf den Wohnort kommt es an. Dass die Höhe des Einkommens zentral ist, liegt auf der Hand. Aber auch der Wohnort entscheidet darüber, welche Haushalte vom Ausbau der Prämienverbilligung profitieren würden. Bleiben wir bei der vierköpfigen Mittelstandsfamilie aus dem Fallbeispiel: Lebt sie in einem Kanton mit hohen Gesundheitskosten und Krankenkassenprämien, gehört sie tatsächlich zu den Nutzniessern – und zwar auch dann, wenn man die Finanzierung berücksichtigt. In Basel-Stadt, Genf oder Waadt kann sie laut dem Modell mit Entlastungen von 2600 bis 5000 Franken im Jahr rechnen. In Zürich oder Bern wären es etwa 1300 Franken (alle Zahlen: 2024). Lebt aber dieselbe Familie in einem Kanton mit tiefen Prämien, sieht die Sache anders aus. Vielfach fällt die Steuererhöhung stärker ins Gewicht. In St. Gallen oder im Thurgau wäre es etwa ein Nullsummenspiel, in Graubünden hingegen sowie in der gesamten Innerschweiz hätten diese Familien sogar mit Verlusten zu rechnen. Sie müssten mit höheren Steuern helfen, die Prämien in den teureren Kantonen zu verbilligen. 
  • Gut für Familien, teuer für Singles und kinderlose Paare. Schon heute werden Haushalte mit Kindern gezielt unterstützt. Mit der Initiative würde sich diese Querfinanzierung noch verstärken. Das liegt in der Natur der Sache, weil die Prämien der Kinder das Haushaltsbudget belasten. Allerdings gehen die Unterschiede gemäss dem Rechnungsmodell weiter, als man meinen könnte. In Basel-Stadt zum Beispiel würde eine vierköpfige Familie sogar mit einem Einkommen von brutto 170 000 Franken zu den Gewinnern gehören (plus 1100 Franken). In Graubünden hingegen müsste ein Alleinstehender mit einem kargen Lohn von brutto 50 000 Franken einige hundert Franken im Jahr drauflegen. Kinderlose mit höheren Einkommen verlören folgerichtig noch mehr, in Zürich etwa müsste ein Single mit brutto 150 000 Franken gut 2000 Franken mehr abliefern. 
  • Was ist mit den Vermögen? Diese Frage ist vor allem für Pensionierte wichtig, da sie oft relativ tiefe Einkommen haben, gleichzeitig aber höhere Vermögen aufweisen und oftmals auch davon leben. Ein Teil dürfte bei der Berechnung des verfügbaren Einkommens angerechnet werden. Dies kann die Verteilungswirkung stark beeinflussen, wie das Rechnungsmodell zeigt. Hat die vierköpfige Beispielfamilie ein Reinvermögen von 90 000 Franken, gehört sie zum Beispiel im Kanton Zürich bereits zu den Verlierern. 

Fazit: Wenn die Initiative angenommen wird, geht der Streit um die Umsetzung erst richtig los. Viel Zeit bliebe nicht. Der Initiativtext legt eine Frist von drei Jahren fest. Liegt dann noch kein Gesetz vor, muss der Bundesrat die Umsetzung mittels Verordnung regeln. Das wäre angesichts der enormen Unterschiede zwischen den verschiedenen Varianten ein spezielles Abenteuer.

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