Sonntag, Oktober 6

Vor zwei Jahren hat die amerikanische Raumsonde Dart den Asteroiden Dimorphos gerammt. Nun schickt die ESA einen Satelliten, um den ramponierten Asteroiden aus der Nähe zu inspizieren.

Es war ein Volltreffer. Am 26. September 2022 krachte eine amerikanische Raumsonde auf den Asteroiden Dimorphos, die just für diese Kamikaze-Mission entwickelt worden war. Dart (Double Asteroid Redirection Test) war der Versuch der Nasa, einen Asteroiden aus der Bahn zu schubsen, indem ein Flugkörper ungebremst auf ihn stürzt. Falls irgendwann ein solcher Gesteinsbrocken auf die Erde zurast, könnte er auf diese Weise abgelenkt werden.

Ob und wie das Ganze funktioniert hat, ist allerdings aus der Entfernung nur schwer zu entscheiden. Deswegen schickt die Europäische Weltraumorganisation (ESA) jetzt – zwei Jahre später – eine eigene Sonde hinterher. Mit dieser soll vor Ort ermittelt werden, welche Wirkung Dart entfaltet hat: Hera heisst die Sonde – diesmal keine Abkürzung, sondern der Name der griechischen Göttin der Ehe, der Frauen und der Familie.

Im All eilt nichts

Die «Ehe», um die es hier geht, ist die zwischen Dimorphos und seinem grösseren Begleiter Didymos. Die beiden bilden ein Doppelasteroidensystem, das ungefähr 11 Millionen Kilometer von der Erde entfernt ist. Die Hera-Sonde wird ihr Ziel zwar erst in zwei Jahren erreichen. Aber das ist nicht zu spät. «Solche Objekte verändern sich auf astronomischen Zeitskalen, über Tausende oder Zehntausende von Jahren», erklärt Patrick Michel vom Observatoire de la Côte d’Azur in Nizza, der Chefwissenschafter der Mission.

«Bislang haben wir nur Aufnahmen erdgebundener Teleskope oder solche vom Hubble- und dem James-Webb-Weltraumteleskop», sagt Franco Perez vom europäischen Weltraumforschungszentrum Estec in Noordwijk in den Niederlanden. «Der Asteroid verhält sich derzeit etwas merkwürdig.»

Dimorphos wurde komplett umgeformt

Eigentlich hatten Geologen gedacht, sie würden nach dem Einschlag von Dart einen Krater auf Dimorphos finden, und das war’s. Tatsächlich wurden aber mehr als 10 000 Tonnen Staub und Gesteinsmaterial ausgeworfen, was etwa einem Prozent der Gesamtmasse des Asteroiden entspricht. Im Schlepptau des 150 Meter grossen Asteroiden bildete sich eine Art Schweif, der sogar von der Erde aus zu beobachten war. Laut Simulationen von italienischen und spanischen Forschern könnten einige der ausgeworfenen Partikel in den nächsten Jahren den Mars und die Erde erreichen und in der Erdatmosphäre verglühen. Damit hatte man vorher nicht gerechnet.

«Bei der Umformung des Asteroiden wurde mehr Material ausgeworfen, als wenn nur ein kleiner Krater entstanden wäre», erklärt Martin Jutzi vom Physikalischen Institut der Universität Bern. Jutzi gehört zu einem internationalen Forscherteam, das mit Computerhilfe den Einschlag der Sonde simuliert hat. Bei den Modellrechnungen kam heraus, dass der ursprüngliche Einschlagkrater so weit gewachsen sein muss, dass er schliesslich den gesamten Körper umfasste – mit dem Ergebnis, dass Dimorphos komplett umgestaltet wurde und eine neue Form erhielt.

«Hera wird wahrscheinlich keinen Krater mehr entdecken», sagt Sabina Raducan, die ebenfalls an der Universität Bern forscht. Die Simulationen würden darauf hindeuten, dass die ursprüngliche Untertassenform von Dimorphos auf der Einschlagsseite abgestumpft worden sei. «Anfangs sah Dimorphos aus wie Schokoladen-M&M – jetzt sieht er aus, als hätte er einen Biss abbekommen», so Raducan.

Dimorphos hat nach dem Einschlag seinen Kurs geändert

Sollte sich irgendwann einmal ein Asteroid im Anflug auf die Erde befinden, würde es nicht ausreichen, ein Stück aus ihm «herauszubeissen». Das eigentliche Ziel einer Asteroidenabwehrmission besteht darin, den Kurs eines Asteroiden so zu ändern, dass er an der Erde vorbeifliegt.

Dafür ist in erster Linie der Impuls zuständig, der bei dem Aufprall auf den Asteroiden übertragen wird, so wie beim Zusammenstoss zweier Billardkugeln. Das alleine kann allerdings nicht erklären, warum Dimorphos seinen Kompagnon Didymos nun 33 Minuten schneller umkreist als vor dem Stoss. Der Rückstoss der ausgeworfenen Masse muss Dimorphos einen zusätzlichen Schub verliehen haben.

Dieser Verstärkungseffekt durch den Rückstoss erleichtert es im Prinzip, einen Asteroiden aus seiner Bahn abzulenken. Die Berner Forscher sprechen aber auch eine Warnung aus. Eine Sonde vom Typ Dart könnte einen kleineren Asteroiden auch komplett zerschmettern, wenn dieser aus locker gebundenem Gestein besteht. Das könnte sich als Eigentor für die Menschheit herausstellen, da statt eines grossen Brockens dann womöglich viele kleine unverändert Kurs auf die Erde hielten.

Eine Sonde soll auf Dimorphos landen

Eine der grossen Unbekannten ist, ob es sich bei Dimorphos um einen massiven oder eher um einen porösen Gesteinsbrocken handelt. «Besteht der Asteroid aus Sand oder aus festem Gestein?», fragt sich der Hera-Chefwissenschafter Patrick Michel. Erst mit diesem Wissen lasse sich präzise berechnen, welche Auswirkungen der Einschlag des Impaktors 2022 gehabt habe.

Diese Information soll Hera liefern. Sobald die Sonde bei Dimorphos eingetroffen ist, soll sie sich dem kleinen Asteroiden auf bis zu 30 Kilometer annähern und ihn aus dieser sicheren Parkposition heraus scannen und untersuchen. Danach wird sie in nur einem Kilometer Entfernung an ihm vorbeifliegen, um noch genauere Messungen durchzuführen.

Dabei lässt es die ESA aber nicht bewenden. Nach ihrer Ankunft bei Dimorphos wird Hera zwei Tochtersonden aussetzen. Juventas soll mit einem Radar bis zu 7o Meter tief unter die Oberfläche von Dimorphos schauen und so klären, wie massiv sein Aufbau ist. Milani wird sogar versuchen, auf dem Himmelskörper zu landen. Eines der Instrumente an Bord soll exakt bestimmen, wie stark Didymos und Dimorphos sich anziehen. Daraus wiederum können Forscher auf die Masse der beiden Gesteinsbrocken und ihren inneren Aufbau schliessen.

Vor dem Aufsetzen auf Dimorphos dürfte Milani aber erst einige Male von der Oberfläche des Asteroiden abprallen und wie ein Gummiball wieder zurückspringen ins All. Dabei werden wohl die stromerzeugenden Sonnensegel der kleinen Sonde zu Bruch gehen, so dass für Messungen auf der Oberfläche nur wenig Zeit bleibt.

Die Hera-Sonde soll frühestens am 7. Oktober mit einer Rakete von SpaceX auf ihre zweijährige Reise gebracht werden.

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