AC/DC bringt trotz Personalproblemen nach über fünfzig Jahren Bandgeschichte seinen schnörkellosen Hardrock mit viel Druck auf die Bühne und begeistert das Publikum im ausverkauften Letzigrundstadion.

Für Menschen, die sowohl vom Schweizer Fussball wie von Hardrock begeistert sind (die Schnittmenge ist offenbar beträchtlich), war es ein doppeltes Glück: Die australische Hardrock-Band AC/DC begann am Samstagabend ihr Konzert im Zürcher Letzigrundstadion exakt zur selben Zeit, als das triumphale Spiel der Schweizer Nationalmannschaft gegen das italienische Team abgepfiffen wurde.

«If You Want Blood» lautete der provokative Titel der ersten Nummer. AC/DC hauten wie gewohnt herzhaft auf die Felle, und ein Meer aus Fan-T-Shirts, blinkenden Teufelshörnchen und Schweizer-Nati-T-Shirts hüpfte, klatschte und brüllte sogleich los. Die Hörer bekamen offensichtlich, was sie begehrten: grelle Gitarrenriffs, stampfende Basslinien, ekstatische Solos und natürlich die eingängigen Refrains der Hits dieser Rockband der Superlative, darunter «Highway to Hell», «Dirty Deeds Done Dirt Cheap» und etliche mehr.

Stimmprobleme

Dass eine solche Show noch einmal geboten werden würde, schien lange unwahrscheinlich. Auf der vorangegangenen Tournee musste der Sänger Brian Johnson wegen Gehörproblemen aussetzen. Auf der vorletzten Tournee war erstmals Malcolm Young nicht mehr dabei, der Gründer und Kopf der Band, ohne den AC/DC eigentlich unvorstellbar erschien. Doch das Erneuern und Ersetzen von vermeintlich unersetzlichem Personal hatte schon 1980 begonnen, als der Sänger Bon Scott starb, der die Band stark geprägt und mit dem Album «Highway to Hell» an die Schwelle zum Weltruhm geführt hatte.

Mittlerweile ist der «neue» Sänger Johnson auch schon stolze 44 Jahre dabei. Dass er seine Stimme während dieser ganzen Zeit arg missbraucht hat, merkte man ihr schon seit längerem an. Seinen charakteristischen Gesang, der in den besten Zeiten wie eine gut geölte Kreissäge klang, bringt er nicht mehr zustande. In den tieferen Lagen, etwa während der Strophen der Songs, pflegt er nun eine entspanntere Technik unter Einsatz der Bruststimme. Das passt nicht schlecht und gibt den Stücken einen bluesigen Touch. Doch für die brachialen Refrains, wenn die Kollegen voll in die Saiten greifen, fehlt Johnson der Druck. Mit grossem Kraftaufwand bellt er die hohen Töne stossartig hervor. Halten kann er sie kaum mehr.

So geht der Sänger zwischen den Gitarrenriffs regelrecht unter, zumindest akustisch. Optisch bestreitet der liebenswürdige Kerl mit der Schiebermütze immer noch einen zentralen Teil der Publikumsanimation. Er gestikuliert, zwinkert, grinst und albert herum. Er scheint seine Arbeit ungeachtet seiner Stimmprobleme gern zu verrichten. Die Musik, simpel und schnörkellos, wie sie ohnehin ist, wirkt indessen noch einmal reduzierter, sie wird auf den wesentlichen Kern der Gitarrenmusik eingedampft.

Kreischen und Dröhnen

An Angus Young scheint nun alles zu hängen, dem einzigen verbleibenden Gründungsmitglied, das seit 1973 kein Konzert verpasst hat. Immer noch klein und schmächtig und in seine Schuluniform gekleidet, doch nun mit schlohweissem Haar, zappelt und grimassiert er weiterhin kreuz und quer auf der riesigen Bühne herum. Gewiss legt er dabei weniger Kilometer zurück als früher und bewegt seine Beine etwas gemächlicher. Seine Finger aber sind kein bisschen langsamer geworden. Noch immer hat er eine bemerkenswerte Kontrolle über sein Instrument, seine immergleiche Gibson SG mit den zwei Hörnern, der er rasend schnelle Licks und Läufe entlockt und die er zum Kreischen und Dröhnen bringt.

Aus der Ferne mag Angus Young als extrovertierter Clown erscheinen. Doch näher besehen, lächelt er kaum, und er scheint sich mit seinem starren Blick auch wenig um das Publikum zu kümmern. Young ist nämlich komplett von seinem Spiel absorbiert, ganz in die Musik versunken. Bei der Band-Gründung war er der Jüngste gewesen, nun ist er der Dienstälteste. Alle Bandkollegen der 1970er Jahre sind weg. Sein Bruder Malcolm, der die Band ins Leben rief und ihn zum Star machte, ist tot. Und eigentlich hatten sie sich immer versprochen: ohne uns beide kein AC/DC. Hätte Angus etwa aufhören sollen?

Der Zürcher Auftritt beweist, dass AC/DC funktioniert, solange Angus liefert: solange er seine bluesgetränkte Gitarre heulen lässt, solange er den charakteristischen Starkstrom-Rock’n’Roll durch die Verstärker jagt. Alles andere kann offenbar an neues Personal delegiert oder über die Abmischung ein bisschen angepasst werden.

High Voltage

Die 50 000 Menschen im Letzigrundstadion sind jedenfalls rund zwei Stunden lang in bester Stimmung. Die Teufelshörner blinken, das Bier spritzt, und die Songtexte, so unsäglich doof sie sind, werden von kräftigen Chören mitgesungen. Die jüngeren Generationen sind auffällig gut vertreten. Das Publikum wird der Band also nicht wegsterben. Entsprechend reagiert die Menge auf die Stücke jüngeren Datums besonders enthusiastisch, etwa auf «Thunderstruck» oder auf «Shot in the Dark» vom neusten Studioalbum «Power Up».

Im Verlauf des Abends explodiert die Stimmung im Stadion allerdings auch zu einer Reihe von frühen Nummern aus der Bandgeschichte, wie etwa «Sin City», «Highway to Hell», «Whole Lotta Rosie» oder «High Voltage». Letzteres bringt auf den Punkt, was das musikalische Programm von AC/DC ist, das über Generationen hinweg zu überzeugen scheint. Es ist Rock’n’Roll unter Starkstrom, es ist «High Voltage»-Rock’n’Roll.

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