Mittwoch, Oktober 30

In einem neuen Videoclip zeigt sich Lindemann als Kolonialist, der sich an einer indigenen Frau zu vergreifen scheint. Ironie soll offenbar für Harmlosigkeit sorgen.

Niemand weiss besser, wie man einen Skandal anzettelt, als Till Lindemann. Schon wieder hat er jetzt ein Tabu gebrochen, schon wieder sorgt er für etwas Empörung. Es reicht, um die Aufmerksamkeit der Medienöffentlichkeit propagandistisch auf sein künstlerisches Werken und Wirken zu lenken.

«Entre Dos Tierras» war ein Hit der spanischen Rockgruppe Héroes des Silencio, der es 1990 in die internationalen Charts schaffte. In hymnischen Strophen werden hier dumpfe Vorwürfe an ein Du adressiert, das sich offenbar nicht entscheiden kann zwischen zwei Welten. Till Lindemann hat den Titel in einer Elektro-Coverversion aufgegriffen. Die rockigen Klänge hat Lindemann durch synthetische Klangwälle ersetzt, die sein effektvolles, teutonisch getöntes Spanisch seifig einschäumen.

Alles nur ein Traum

Die Produktion wird durch ein neues Video ergänzt, in dem Lindemann einmal mehr als hässlicher, alternder Macho auftritt – als ein mit Machete bewaffneter Kolonialist. Vor einer Woche brachte er auf Instagram eine erste Sequenz von fünfzehn Sekunden heraus. Darin schien er im Dschungel eine junge, indigene Frau würgend zu vergewaltigen. Unterdessen ist das Video veröffentlicht. Die Bilder sexueller Gewalt wurden teilweise wieder herausgeschnitten. Zu sehen bleibt, wie der Mann die auf dem schlammigen Boden kriechende Frau mit Fusstritten eindeckt, um sie gefügig zu machen.

In der Schlussszene des vierminütigen Videos wird klar, dass es sich um eine Traumsequenz handelt, die sich aus verschiedenen persiflierenden Assoziationen zusammensetzt. In weissem Anzug wie Klaus Kinski in Werner Herzogs Filmklassiker «Fitzcarraldo» (1982) streift Lindemann durch den Dschungel, man sieht ihn aber auch auf einem im Meer treibenden Floss sowie verloren auf einer Strasse, was an David Lynchs «Lost Highway» gemahnt. Auch das Originalvideo von Héroes des Silencio, in dem sich ein Pärchen brachial bekämpft, wird beiläufig zitiert.

Till Lindemann - Entre dos tierras (Official Video)

Dass einem zuletzt doch die Bilder von sexueller Gewalt im Kopf bleiben, liegt nicht zuletzt an Till Lindemanns jüngerer Vergangenheit. Mit etwas Küchenpsychologie könnte man sagen, dass sich sein solistisches Werk zwangsneurotisch stets um die gleiche Phantasie dreht: Immer wieder zeigt sich der Sänger und Lyriker als alternder Lüstling, der sich gewaltsam an jungen Frauen vergreift.

In Videos wie «Platz eins» und erst recht «Till The End» (beide 2020) wurde die Gewaltphantasie pornografisch realisiert – mit Lindemann als schlagendem und kopulierendem Protagonisten. Auch «Entre Dos Tierras» verletzt zwar wieder bewusst und gezielt Political Correctness und den guten Geschmack. Aber es bleibt im Vergleich harmlos. In der Rolle des Wüstlings wirkt Lindemann nurmehr wie ein Trotzkopf, der schmutzige Wörter braucht oder neben das Töpfchen pinkelt, um seine Souveränität zu behaupten. Das Skandalöse beschränkt sich auf die künstlerisch-symbolische Ebene und zeitigt inflationäre Tendenzen. Mit ironischer Übertreibung zementiert der Sänger sein Image und lenkt gleichzeitig ab von seiner realen Person.

Unbeantwortete Fragen

Viele Lindemann-Versteher werden den Star abermals als Freiheitskämpfer feiern. Haben sie nicht recht? Von den Medien kritisiert oder gar vorverurteilt, hat sich Till Lindemann gleichwohl nicht einschüchtern lassen. Und doch scheint es nicht allzu weit her mit seinem Heroismus. Ein Leben lang hat sich der Rockstar als Ekelpaket in Szene gesetzt. Letztes Jahr wurde dann ruchbar, dass sich junge Frauen an Rammstein-Konzerten nicht mehr sicher fühlten vor ihm.

So stellte sich die Frage, ob sein reales Handeln allenfalls ebenso eklig sein könnte wie sein Rollenspiel. War es gar zu justiziablen Übergriffen gekommen? Lindemann hat sich sofort von seinem Anwalt schützen lassen. Mit einstweiligen Verfügungen hat er kritische Medien abgeblockt und gleichsam eine vorzeitige Entlastung des Rockers erwirkt.

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