Mittwoch, November 27

Die Familie des FC-Luzern-Trainers stellte einst die halbe Stammelf des FC Vaduz. In Liechtenstein sind die Haas-Brüder bekannt wie bunte Hunde; einer schaffte es mit kuriosen Ideen sogar zu «Wetten, dass . . .?» und ins chinesische Fernsehen.

Im Fürstentum Liechtenstein erzählt man sich, dass diese Geschichte weltweit einzigartig sei. Und die geht so: In der Fussballsaison 1983/84 spielte der FC Vaduz in der 1. Liga um den Aufstieg in die Nationalliga B, und die Familie Haas stellte mit sechs Brüdern die halbe Stammelf. Geordnet nach absteigendem Alter waren das: Mario, Haimo, Markus, René, Modestus und Alex Haas.

Ihnen vorangegangen war Adi Noventa, ihr Halbbruder, der Älteste im Bunde. Er brachte es im Fussball am weitesten. Als junger Offensivspieler wechselte er von Vaduz zum Grasshopper-Club, mit dem er 1970 Schweizer Meister wurde. Später war er Torschütze für die Zürcher im Uefa-Cup gegen Tottenham Hotspur.

Als seine sechs Halbbrüder mit Vaduz für Furore sorgten, war Noventa bereits Cheftrainer. 38 Jahre lang durfte er behaupten, dass er der letzte Coach gewesen sei, der den ewig zweitklassigen FC Winterthur in die Nationalliga A geführt habe – bis 2022 Alex Frei das Gleiche gelang.

Worauf Noventa ebenso stolz ist, wie er bei einem Treffen in Vaduz verrät: Sein ärgster Rivale im Kampf um den Aufstieg sei Ottmar Hitzfeld mit dem SC Zug gewesen, und zwei der drei Direktduelle mit dem späteren Welttrainer habe er gewonnen.

Oliver Kahn und Wladimir Klitschko als Wettpaten

Auch der achte Bruder, Benno, schnürte für den FC Vaduz die Fussballschuhe. Die grösste Karriere aber gelang dem Sohn einer Schwester: Mario Frick. Er kam in der italienischen Serie A auf zwanzig Tore und mehr als hundert Spiele – und ist Liechtensteins Rekordtorschütze. Auch die Trainerlaufbahn liess sich gut an. Mit dem FC Vaduz stieg Frick in die Super League auf, in der derzeitigen Meisterschaft steht er mit dem FC Luzern an der Tabellenspitze. Diese Position hat sein Team am Samstagabend beim abgestürzten Meister YB zu verteidigen.

Vielleicht aber erregten die Auftritte von einem, der fussballerisch oft im Schatten seiner Brüder stand, sogar das meiste Aufsehen: jene von Alex Haas. Er war zweimal Gast in der deutschen Fernsehshow «Wetten, dass . . .?». 2008 wettete er, dass er allein durch Schlecken mit der Zunge 30 Fussballmodelle auseinanderhalten könne. 2011 gab der damalige Sanitärinstallateur an, Klobrillen-Marken voneinander unterscheiden zu können, nur dadurch, dass er kurz auf diesen WC-Sitzen hocke.

Haas wurde nicht Wettkönig, gewann aber beide Wetten. Seine Wettpaten waren der Torhüter Oliver Kahn und der Boxer Wladimir Klitschko. Die Ballschlecker-Wette demonstrierte Haas auch in der chinesischen Version von «Wetten dass . . .?» vor mutmasslich 200 Millionen TV-Zuschauern.

Haas hätte noch weitere Ideen für das Fernsehformat gehabt. So wollte er Models in eine Sauna setzen und einen aromatischen Aufguss zubereiten lassen. Er hätte dann an ihnen gerochen und bestimmen müssen, welche Zutat für den Aufguss verwendet wurde. Wäre nicht die Corona-Pandemie dazwischengekommen, hätte auch diese skurrile Wette Chancen gehabt.

Alex Haas

Oma Hanni war eine Fussballverrückte

Was erstaunt: Eine treibende Kraft hinter all den sportlichen Erfolgen der Familie war eine Frau, obwohl weibliche Elemente im Fussball seinerzeit nahezu inexistent waren. Hanni, eine gebürtige Italienerin, die Mutter der Haas-Brüder, war einst mit Adi Noventa, ihrem Sohn aus erster Ehe, nach Liechtenstein gezogen – und wurde alsbald im FC Vaduz zum «Mädchen für alles»; als Platzkassierin im Vereinsvorstand, als Kioskfrau und als emsige Trikotwäscherin.

Ihr Mann, der Vater der Haas-Brüder, wurde von der Gemeinde als Platzwart angestellt. Er war kein brillanter Fussballer, besass aber eine überdurchschnittliche Grundschnelligkeit, die er an viele seiner Nachkommen vererbte. Sein Spitzname war «Düsäschnutz»; auch weil er einen Schnurrbart trug, wie ihn südländische Maler gerne pflegten. Und er coachte Liechtensteins erstes Team im Frauenfussball.

Daheim kickte die junge Noventa-Haas-Connection in jeder freien Minute auf einer Wiese hinter dem Haus. Gastarbeiter, die in der Regel Italienisch sprachen, trugen zum guten Niveau bei. Man verstand sich – und irgendwann stiess der Neffe Mario Frick dazu. Weil seine junge Mutter einem Job nachging, wuchs der Bub zunächst bei der Oma auf. «Mario war für unsere Oma wie ein zwölftes Kind», sagt Adi Noventa.

Über seine Rolle als ältester Sohn meint Noventa, sie sei Fluch und Segen gewesen. Bei Besorgungen für die Familie sei jedes Mal er losgeschickt worden («Ich war eine Art Brieftaube»). Dafür habe er beim «Tschutten» viel von den jüngeren Geschwistern profitiert, weil sie für ihn «lebende Slalomstangen» gewesen seien, dank denen er seine Dribblings habe üben können.

Zum Transfer zu GC gehörte, dass ihm der damalige Nobelklub einen Studienplatz an einer kaufmännischen Hochschule verschaffte. Einen Profibetrieb gab es damals im Schweizer Fussball offiziell nicht; Noventa erhielt in der Nationalliga A eine Aufwandentschädigung von ein paar hundert Franken pro Monat.

Noventa ist seit 1969 GC-Mitglied. Er sagt, er sei das 1122. gewesen und glaube, dass kein anderer Lebender eine so tiefe Mitgliedernummer habe. Heute hat er es sich zur Aufgabe gemacht, alte GC-Legenden regelmässig an einem Stammtisch zusammenzubringen.

Mit Gilbert Gress sind sie nicht warmgeworden

Tatsächlich war auch einer der Haas-Brüder bei den Grasshoppers gelandet. Noventa erzählt, der Verein habe fünfzig Spieler zu einem Probetraining eingeladen, von denen zwei Kandidaten übrig geblieben seien: Markus und Haimo Haas. GC habe allerdings nur einen unter Vertrag nehmen wollen. Man entschied sich für Markus.

Ihm sollte jedoch aufgrund von Verletzungen der grosse Durchbruch ebenso wenig gelingen wie Haimo, der beim Ligakonkurrenten Xamax das Glück suchte. Kaum in Neuenburg angekommen, wurde er in einem Vorbereitungsspiel gegen Standard Lüttich auf üble Weise gefoult, von Eric Gerets, der davor mit Belgien den Final der EM 1980 bestritten hatte.

Adi Noventa sagt, die Verletzungsanfälligkeit der Brüder rühre wohl daher, dass sie fussballerisch so wild aufgewachsen seien. «In Liechtenstein gab es keine methodische Förderstruktur wie in Schweizer Grossklubs. Das hatte den Vorteil, dass unsere natürlichen Instinkte sehr gut ausgebildet waren. Aber unsere Körper waren zu wenig auf die Belastungen der höchsten Liga vorbereitet.» Im Training in Vaduz konnte es vorkommen, dass die Spieler einen Kollegen huckepack nehmen mussten und den Rheindamm hinaufhechelten.

Vielleicht hatten diese Erfahrungen aber auch ihr Gutes. Weil sie dem Spross Mario Frick bedeuteten, dass er einen professionelleren Weg einschlagen muss, will er sich im Fussball-Business etablieren.

Auffallend oft war er bei Vereinen engagiert, die schon seine Onkel beschäftigten. So spielten Adi Noventa und Markus Haas für den FC Luzern, den Frick heute trainiert. Und wahrscheinlich ist es kein Zufall, dass Haimo Haas bei Xamax mit dem Trainer Gilbert Gress genauso wenig warmwurde wie später Mario Frick als Stürmer des FC Zürich.

Darüber werden sich Onkel und Neffe ausgetauscht haben, wenn sie wieder zusammen in den Golfferien waren. Haimo Haas sagt, sie redeten aber nicht nur über Fussball, wenn sie auf einer Golfrunde seien, Mario könne da zurückhaltend sein. An Frick schätze er, dass er jeden Menschen gleich behandle, egal ob den liechtensteinischen Fürsten oder einen kleinen Jungen, der von ihm ein Autogramm wolle.

Doch was macht das Golf-Handicap? Haas lacht und sagt: «Meines liegt bei drei. Da hat Mario noch ein paar Schläge aufzuholen.»

Eines Tages im Herbst 1989 kam es zu einem Eklat

Dass Haimo Haas’ Karriere in Neuenburg stockte, war ein Grund, weshalb es 1983 zur Wiedervereinigung der Haas-Brüder kam, mit sechs auf einen Streich. Die Beziehung zwischen der Familie und dem FC Vaduz sollte jedoch auf eine Probe gestellt werden. Weil sich die Brüder auf dem Rasen nicht immer so verhielten, wie es der Lehre entsprach, die ihr entfernter Verwandter, der spätere Erzbischof Wolfgang Haas, in den Sonntagspredigten verkündete.

«Z Haasä», wie sie in Sippenhaftung betitelt wurden, begriffen einen Fussballplatz nicht unbedingt als einen Ort der Nächstenliebe. Ihre Mätzchen waren weitherum bekannt. Es heisst, sie hätten gelbe und rote Karten gesammelt wie andere Briefmarken. Das sprach sich auch unter Gegnern herum, die auf Fehltritte lauerten. Oder unter Schiedsrichtern, von denen viele die Brüder auf dem Kieker hatten, was zu ungerechtfertigten Vorverurteilungen führen konnte.

Aber die Brüder zeigten eben auch Einfallsreichtum am Ball. Und einen ungeheuren Einsatzwillen. Zu ihrer Verteidigung könnte man sagen, dass sie mit ihrer aufreizenden Spielweise Mittel suchen mussten, um sich zu schützen.

Nur: Eines Tages im Herbst 1989 kam es zu einem Eklat. Als der FC Vaduz den FC Rorschach empfing, stellte der Schiedsrichter gleich drei Spieler des Heimteams vom Platz, zwei von ihnen aus der Familie Haas. Im Bericht der Zeitung «Liechtensteiner Vaterland» sollte stehen, dass beide Feldverweise zu hart gewesen seien. Und dass die Vaduzer mit diesem Schiedsrichter schon oft Mühe bekundet hätten.

Diese Kumulation war offenbar zu viel für Modestus Haas, genannt «Duz», der neben dem Platz als umgänglicher Typ und fleissiger Kirchengänger gilt. Der eigentlich ausgeschlossene Spieler stürmte mit wuterfülltem Gesicht zurück aufs Feld, um sich den Schiedsrichter vorzuknöpfen. Wie Augenzeugen berichten, ist dieser daraufhin zurückgewichen und praktisch von selbst zu Boden gefallen. Er brach die Partie ab, Vaduz kassierte eine Forfaitniederlage.

In der Folge wollten sich Verantwortliche des Vereins von Modestus trennen und sich von den Haas-Brüdern distanzieren. Was diese veranlasste, einen Leserbrief zu publizieren, unterschrieben von allen acht. Ihre Quintessenz: Sie goutierten die Entgleisung von Modestus nicht, forderten aber, dass ihrer Familiengeschichte mehr Respekt entgegengebracht werde.

Der Schweizerische Fussballverband (SFV) sperrte Modestus Haas für ein Jahr. Während der Strafe gab dieser im «Liechtensteiner Vaterland» preis, dass er sich mit Tennis fit halte und prüfe, ob er irgendwo Fussball spielen könne, wo die SFV-Sperre nicht gelte, zum Beispiel an einem Ort in einem Drittweltland.

Daraufhin klärte der nicht minder berüchtigte Journalist Ernst Hasler bei der Fifa ab, ob Haas diese Option hätte. Mit dem Ergebnis, dass Haas nur in Ländern hätte auflaufen dürfen, die noch nicht dem Weltverband angehörten. Laut Hasler hätte er höchstens nach Südafrika oder auf eine entlegene Insel in der Südsee ausweichen können. Haas blieb in der Heimat.

«Z Haasä» waren der Zeit schon immer ein wenig voraus – sie könnten bald Liechtensteins erste Regierungschefin stellen

Heute darf Modestus Haas immerhin darauf verweisen, dass er als einziger seiner Brüder zum Einsatz kam, als Liechtenstein erstmals an der Qualifikation für eine grosse Endrunde teilnahm, im Hinblick auf die EM 1996. Und dass er wie Haimo dabei war, als das Fürstentum 1982 sein erstes offizielles Länderspiel bestritt – bei einem 0:1 gegen die Schweiz. Eine Partie, die auch deshalb stattfand, damit Gianpietro Zappa bei den Schweizern eine Sperre absitzen konnte.

Andere Talentierte aus der Haas-Familie blieben ohne offizielles Länderspiel, weil die Nationalmannschaft lange gar nicht richtig existierte. Adi Noventa wäre nicht im Besitz des liechtensteinischen Passes gewesen; er ist Schweizer und Italiener.

Trotzdem hat die Geschichte ein Happy End: Das Verhältnis zwischen dem FC Vaduz und den acht Brüdern ist wieder gekittet. Wenn der Verein zu Treffen der Ehemaligen einlädt, sind «z Haasä» gut vertreten, einer reist sogar jeweils aus Berlin an.

Und nicht ausgeschlossen, dass bald jemand aus der weitverzweigten Verwandtschaft wieder für Schlagzeilen sorgt: Brigitte Haas hat sich für die liechtensteinischen Regierungswahlen aufstellen lassen, als Kandidatin der Vaterländischen Union, der «roten Partei» im Land – «Natürlich rot», könnte ein Schiedsrichter einwerfen. Sie könnte die erste Regierungschefin des Fürstentums werden. «Z Haasä» waren halt der Zeit schon immer ein wenig voraus. Und haben gerne etwas zu sagen.

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