Das Theater Basel bringt «Kranke Hunde» von Ariane Koch zur Uraufführung. Eine Spital-Farce mit heilsamer Verwirrung.
Kann man einen veritablen eineinhalbstündigen Albtraum aushalten? Live und wach? Gewiss doch – vorausgesetzt, Ariane Koch schreibt das Drehbuch und Sebastian Nübling inszeniert es mit Drive. Im Basler Schauspielhaus erlebt Kochs Stück «Kranke Hunde», eine bissige Parabel auf das Spitalwesen, gerade seine Uraufführung. Man lacht in diesem theatralen Albtraum laut und herzhaft. Aber er sorgt auch für einen brummenden Schädel. Und mit Sicherheit wird man sich künftig widerwilliger denn je auf einen Spitalschragen legen.
«Kranke Hunde» handelt von unserem verqueren Umgang mit Krankheit. An die Kasse kommen dabei die Ökonomisierung der Gesundheitsindustrie, die absurden Irrläufe der Kommunikation, die flagrante Überforderung von Personal und Patienten auf allen Ebenen. Man fragt sich, ob einem in der Klinik auch eine Kopftransplantation verpasst werden könnte, weil das der ultimative Forschungs-Scoop wäre. Das Spital als existenzielles «Dschungelcamp». Wer holt uns hier raus?
Tierisch verfremdet
Ariane Koch, die 2021 mit ihrem preisgekrönten Debütroman «Die Aufdrängung» für Furore sorgte, lässt ihre Story tierisch verfremdet in einer bizarren Hundewelt spielen. Motiviert zum Stück haben sie ureigene Erfahrungen mit Medizin und Spital. Die Hauptfigur ist denn auch die vom ewigen Rennen total erschöpfte Windhündin Poch – «gesprochen wie Koch, nur mit P», heisst es einmal –, die mit ihren geschundenen Knochen und angeschlagener Seele im Hundespital landet.
Ein kreisrunder Operationssaal im ewigen Umlauf (Bühne: Evi Bauer) beherrscht die Szenerie. Sebastian Nüblings Regie bricht allerdings gleich mehrfach aus diesem Korsett aus. Er reduziert das Personal, befreit den Text mit ein paar klugen Strichen von Manierismen und verzichtet auf alle konkreten Anleihen aus der Hundewelt. Der wirkungsmächtigste Eingriff: Er weitet die Spielfläche aus auf das gesamte Theatergebäude und die Aussenräume. Wie das? Indem er einen VJ mit Live-Kamera (Robin Nidecker) einsetzt, der die Spielfiguren durch die Eingeweide des ganzen Hauses hetzt, von den Heizungskellern bis zu den Werkstätten und in die Kantine.
Das Theaterhaus als Doppelmetapher sowohl für den Spitaldschungel als auch für den labyrinthisch anmutenden menschlichen Körper. Das ergibt grossartig surreale Bilder, vom übermüdeten Ärzteteam (Dominic Hartmann, Timur Özkan, Gala Othero Winter), das im Lastenaufzug im Stehen schläft, von durch kafkaeske Spitalgänge flüchtendem Personal, von der gepeinigten Patientin Poch (Marie Löcker), die sich vom OP-Schragen löst und mit ihrem hellsichtig-fiebrigen Bewusstsein durchs ganze Haus wabert. Da entwickelt die Inszenierung einen unwiderstehlichen Albtraum-Charme. Video wird hier nicht eingesetzt als modernistische Spielerei, sondern als sinnige Steigerung traumatisierender Empfindungen.
Fleisch und Blut
Doch der genauso unwiderstehliche Schmerz treibt Poch in einen Teufelspakt mit der gespenstisch verführerischen Höllenkatze (eine Ohrenweide: Gala Othero Winter), die Schmerzlinderung verspricht gegen ein halbes Leben. Mephisto lässt grüssen, es darf gefeilscht werden. Gekonnt sprachparodistisch spielt Ariane Koch auf der Klaviatur des Mediziner-Slangs: «Achtung, jetzt wird es kurz unangenehm.» – «Auf einer Skala von 1 bis 10: Wo würden Sie Ihren Schmerz einordnen?» – «Sie müssen dem Schmerz auch Raum geben, wenn Sie ihn überwinden wollen.»
Vom sicheren Theatersessel aus ist das alles sehr amüsant. Zwei Einschränkungen: Die letzte halbe Stunde leiert etwas aus. Und zentral fürs Theater sind eben doch Menschen aus Fleisch und Blut. Die Bar-Szene aus dem Foyer hätte man lieber in echt auf der realen Spielfläche gesehen. Der präsente menschliche Körper ist und bleibt der Haupttrumpf des Theaters.