Mittwoch, Juni 25

Weiss, männlich und manchmal politisch unkorrekt: William Shakespeare wird entlarvt. Als weisser, alter Mann. Und das ausgerechnet in seiner Geburtsstadt Stratford-upon-Avon.

Ihr Ende wurde schon ein paarmal eingeläutet. Doch vorbei ist die Wokeness-Welle noch nicht. Und welchen Unsinn sie anzurichten vermag, ist jetzt in Stratford-upon-Avon, der Heimatstadt Shakespeares, zu sehen. Stratford ist ein Zentrum des internationalen Tourismus. Hier kann man die Lebensorte Shakespeares, seiner Mutter, seiner Frau und seiner Tochter besichtigen und Shakespeare an seinem Ort erspüren.

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In Stratford regiert der Shakespeare Birthplace Trust (SBT). Gegründet 1847, um Shakespeares Geburtsort für die englische Nation zu erhalten, hat dieser Verein ein riesiges Archiv von Shakespeareana aufgebaut. Er hat das Haus, das Shakespeare 1597 kaufte, in ein Museum verwandelt, das Stratford und seinen grössten Sohn feiert.

Ausgerechnet in diesem idyllischen Städtchen mit seinen makellos renovierten elisabethanischen Häusern, seinen Pubs und Tea-Rooms, wo sich Al Pacino einst in Shakespeares Bett legte, um dessen Geist näher zu kommen, hat die Leitung der wohl ältesten englischen Kulturstiftung beschlossen, sich der Ideologie der Dekolonisierung zu unterwerfen. Die Sammlung soll «dekolonisiert» werden. Das Projekt läuft schon seit 2022, aber der «Daily Telegraph» hat es vor kurzem erst ans Licht gebracht.

Weisse Überlegenheit

2022 hatte der Verein eine junge Akademikerin von der Birmingham City University, die an ihrer Doktorarbeit über die Sammlung schrieb, um ihr Urteil gebeten. Helen Hopkins, die bislang in der Shakespeare-Forschung nicht aufgefallen war, legte dem Verein nahe, die Rolle anzuerkennen, die Shakespeare «in der Erschaffung und Erhaltung des imperialistischen Narrativs kultureller Überlegenheit gezwungen war zu spielen».

Das ist soziologisch gesprochen und soll heissen: Auch Shakespeare ist letztlich nicht mehr als ein schuldiger, toter, weisser Mann. Der Text der bis dato weltweit unbekannten Helen Hopkins enthält eine Reihe von Kostproben aus dem Repertoire woker Worthülsen. Wer Shakespeare schätzt, unterstützt «weisse, anglozentrische, eurozentrische und überhaupt westliche Ansichten, die bis heute Elend in der Welt verbreiten».

Shakespeare, das Universalgenie, der Dramatiker, der auf der ganzen Welt gespielt wird, ist also ein Treiber «der Ideologie weisser europäischer Überlegenheit»? Seine Dramen werden vierhundert Jahre nach seinem Tod auf der ganzen Welt noch immer gespielt. Seine Themen, Eifersucht, Liebe, Verrat, Hass, Gemeinheit, berühren wie eh und je.

Gewalt und böse Witze

Als sie zum ersten Mal Shakespeare gelesen habe, erzählt die amerikanische, schwarze Schriftstellerin Maya Angelou, sei sie davon überzeugt gewesen, der Autor müsse eine schwarze Frau gewesen sein. «Er verstand mich», sagt sie. Für Helen Hopkins dagegen ist es eine Gewissheit, dass Shakespeares Werk, dessen Rezeption und die Ausstellung in Stratford «epistemische Gewalt» ausüben. Und dafür gibt es ihrer Ansicht nach nur eine Radikalkur: Die Ausstellung muss von «Anglozentrik und kolonialistischem Denken gesäubert» werden. Dann wird die «gesellschaftliche Ungleichheit, die dem Imperialismus innewohnt und mit Shakespeares weltweitem Status einhergeht», bekämpft.

Man glaubt sich im falschen Film. Welche Arroganz verbirgt sich in diesem ideologischen Geschwurbel? Natürlich war Shakespeare anglozentrisch. Seine Dramen sind voll epistemischer Gewalt und böser Witze über Franzosen, Spanier, Italiener, Juden und Türken und nicht zuletzt über Schotten und Puritaner. Vieles ist politisch alles andere als korrekt. Shakespeare hat England nie verlassen. Kolonien, bis auf Virginia, gab es zu seiner Zeit allerdings noch kaum.

Der Sohn eines Handschuhmachers war belesen und machte sich für seine Dramen alles zunutze, was er bei Plautus, Ariost, Montaigne oder Boccaccio las. Er war ein hart arbeitender Theatermann. Seine Stücke wurden nicht nur bei Hof geschätzt. Die Arbeiter Londons rannten in seine Aufführungen ebenso wie die Gebildeten. Er passte die Texte dem jeweiligen Publikum an, alles wurde in ein Bühnengeschehen verwandelt, das erschüttern, belustigen, grausen, aber vor allem unterhalten sollte.

«Wir müssen von Shakespeare lernen»

Shakespeare hatte die grosse Gabe, zu erklären, was er meinte. «Ein typischer Trick», schrieb der Shakespeare-Forscher Stephen Greenblatt. «Er hatte immer ein grosses Fünf-Dollar-Wort parat, aber gleichzeitig auch die 25-Cent-Erklärung.» Die Menschen verstanden ihn und seine Botschaften.

Katharine Birbalsingh, eine der bekanntesten Lehrerinnen Englands, Leiterin einer der ethnisch buntesten und erfolgreichsten Schulen in London, nannte im Gespräch mit dem «Spectator» die Dekolonisierung Shakespeares «lächerlich». Shakespeare sei «untouchable», sagt sie. An ihrer Schule werden im Jahr vier Shakespeare-Stücke gelesen und aufgeführt. Für sie ist klar: Es ist herablassend und arrogant, zu sagen, das Verständnis für Shakespeare hänge von der Hautfarbe des Lesers oder der Leserin ab.

Kinder sind Kinder, ob braun, schwarz oder weiss. Und alle, davon ist Birbalsingh überzeugt, verstehen Shakespeare: «Wer behauptet, ethnische Minderheiten könnten kein Verständnis für Shakespeare finden, verbreitet Rassismus», sagt sie, die selber von dunkler Hautfarbe ist und sich als britisch und westlich definiert. «Wir müssen von Shakespeare lernen», ist ihr klares Urteil. «Does a Jew not bleed?», so paraphrasiert sie Shylock aus «Der Kaufmann von Venedig»: «Shakespeare hat das verstanden.»

Dummheit und Ignoranz

Der Mann, der in seinen Dramen protofeministische Figuren schuf, der in «Was ihr wollt» Cross-Dressing selbstverständlich machte, braucht keine Dekolonisierung. Autoren wie James Baldwin, Frantz Fanon oder Rabindranath Tagore haben seinen Universalismus, sein Genie verehrt. Shakespeares Kunst ist divers und inklusiv. Und er wird von allen gelesen. Würden sonst junge Leute ins Theater gehen, um «Romeo und Julia» anzuschauen? Gäbe es sonst «Shakespeare for Dummies»?

Der Dekolonisierungswut der Akademikerin, die das Museum in Stratford «entrümpelt», könnte man mit den Worten aus «Viel Lärm um nichts» zurufen: «In a false quarrel there is no true valor» – «In einem falschen Streit liegt keine wahre Ehre». Den Schaden haben die Menschen, die nach Stratford kommen, um mehr über Shakespeare zu erfahren, ihn besser zu verstehen.

Shakespeares grosse Leistung ist, dass für das Verständnis seiner Stücke, auch Jahrhunderte nachdem sie geschrieben worden sind, keine akademische Gelehrsamkeit nötig ist. So ist der Narr oft die Quelle höchst scharfsinniger Ansichten. «Das», so Stephen Greenblatt, «passt gut zu Shakespeares Einstellung, dass Intelligenz auf der Welt nicht entsprechend der Universitätsdiplome verteilt ist.» Lasst Shakespeare in Ruhe.

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