Mittwoch, November 27

Wenn dem amerikanischen Konsumenten die Luft ausgeht, läuft es auch nicht wirklich für die Anbieter hochwertiger Sportartikel. Es sei denn, man heisst Adidas. Wirklich?

Was will man mit einem Unternehmen anfangen, das in einem schwierigen Umfeld agiert und dessen Aktien im langfristigen Vergleich nicht wirklich billig sind? Kaufen, sagt die Börse derzeit. Tatsächlich läuft es für die Adidas-Titel seit rund einem Jahr – gerade im Vergleich mit den Konkurrenten Puma und Nike. Eine Erklärung hat mit einem Effekt zu tun, der in der Konsumgüterbranche wichtig ist. Doch ein Selbstläufer ist das nicht.

Adidasʼ jüngere Geschichte ist nicht gerade so wohldefiniert wie die Sportler auf den Plakaten. Die Coronapandemie zum Beispiel sorgte zuerst für leere, dann für übervolle Lager. Hohe Lagerbestände sind in der Branche ein Problem, weil die Produkte dann mit Rabatt verkauft werden müssen. Die Kooperation mit dem Rapper Kanye West, die sich in den Yeezy-Sneakern niederschlug, wurde 2022 beendet; die Schuhe mussten billig abgestossen werden. Zudem belastete das Ende der langjährigen Zusammenarbeit von Adidas mit der deutschen Fussballnationalmannschaft die Stimmung. Die Herzogenauracher mit den drei Streifen im Logo wurden vom US-Konkurrenten Nike finanziell schlicht ausgekontert.

Und dann ist da auch noch der zaudernde US-Konsument. Seine Stimmung ist wichtig, weil Amerika für alle weltweit aktiven Sportartikelhersteller ein wichtiger Absatzmarkt ist.

Die amerikanischen Konsumenten treten zwar nicht in einen Käuferstreik, nehmen indes eine eher abwartende Haltung ein. So fiel zuletzt das vom Forschungsinstitut Conference Board gemessene Verbrauchervertrauen. Die Unternehmensberater von McKinsey schauen jedes Quartal genau auf die Verfassung der Konsumenten. Sie konstatierten, dass der Anteil der Amerikaner, die sich zum Geldsparen einen günstigeren Einzelhändler wählen, vom ersten zum zweiten Quartal 2024 zugenommen hat. Gestiegen ist auch der Anteil derer, die eine günstigere Marke kauften oder ihren Einkauf schlicht aufschoben. Von dieser Zurückhaltung können gewisse Unternehmen profitieren, etwa die amerikanische Warenhauskette Costco, die ihr Angebot vor allem auf sparsame Kunden ausrichtet. Ihre Aktien 📈sind seit Jahresbeginn davongezogen.

Doch für Anbieter hochpreisiger Sportwaren ist dies ein schwieriges Umfeld. Das zeigt sich am Beispiel Nike.

Das US-Unternehmen hatte schon Ende März vor einem schwachen Start ins neue Geschäftsjahr gewarnt. Und im Juni bei der Vorlage der Jahreszahlen musste es eingestehen, dass der Umsatz in der ersten Hälfte der neuen Periode im hohen einstelligen Prozentbereich zurückgehen werde. Daraufhin sackte sein Aktienkurs ab.

Adidas dagegen vermeldete im April, das Geschäft im ersten Quartal habe sich besser entwickelt als erwartet. Für das Gesamtjahr rechnet das Unternehmen mit einem Umsatzanstieg im mittleren bis hohen einstelligen Prozentbereich. Beide Gesellschaften, Nike wie Adidas, wirtschaften im gleich schwierigen Umfeld – doch die eine kann sich daraus lösen, die andere offenbar nicht.

Adidas reitet erfolgreich auf dem Nostalgietrend

Tatsächlich hat Nike die treuen Kunden zuletzt mit den Produkten enttäuscht, die Modelle von Adidas hingegen haben gehörig Schwung bekommen. «Der Samba zum Beispiel ist hot», sagt Thomas Jökel von Union Investment, der für das Fondsmanagement unter anderem Adidas analysiert. «Das Unternehmen hat also Produkte, die gern gekauft werden.» Auf den Trend mit alten Modellen, die Adidas unter der Marke Terrace verkauft, habe Konzernchef Bjørn Gulden gezielt gesetzt.

Der 59-jährige Norweger ist seit Januar 2023 an Bord. Die Bezeichnung Terrace-Schuhe hat ihren Ursprung aus England, wo sie in den Fussballstadien auf den Stehplatzterrassen getragen wurden. Derzeit sind diese Modelle sehr gefragt. Viele dieser Schuhmodelle hatte es schon unter Guldens Vorgänger Kasper Rorsted gegeben. Doch Gulden setzte auf sein Marketinggespür und fuhr die Produktion hoch.

Eine Studie von Morgan Stanley bestätigt diese Beobachtung und spricht davon, das «Lifestyle Momentum» sei ins Laufen gekommen, auch weil das Pendel von den klobigeren Basketballstiefeln nun zu den Terraceshoes schwinge. Für Adidas mit den Modellen Samba und Gazelle sind das gute Nachrichten. Auch der Einzelhandel sei in diesem Trend optimistisch gestimmt. Entsprechend hat der US-Broker die Einstufung von Adidas von «Untergewichten» auf «Übergewichten» angehoben, ein seltener Schritt gleich über zwei Stufen.

Die gute Nachricht für Adidas-Aficionados lässt sich aber zumindest auf den ersten Blick noch mit einem anderen Argument untermauern. An den Finanzmärkten werden die Unternehmen immer mit ihren Konkurrenten verglichen. Im Fall von Adidas sind das vor allem die übermächtige Nike, aber auch der deutsche Mitbewerber Puma. Dabei helfe es, dass Nike Adidas quasi von oben entgegenkomme und dass Puma ebenfalls nicht gut dastehe, sagt Jökel. «Beide Wettbewerber haben so ein Momentum wie Adidas nicht.»

Auch die Analysten von RBC Capital Markets notierten bereits im April, Adidas habe das stärkste Momentum unter den Sportartikelherstellern. Das Unternehmen profitiere davon, dass sich Nike im Übergang zum nächsten Produktzyklus befinde. Überspitzt gesagt ist Nike vom Produktmomentum von Adidas auf dem falschen Fuss erwischt worden.

Im Dreikampf Nike, Puma und Adidas komme es auf das Tagesgeschäft an, sagt Simon Jäger, Portfoliomanager und Analyst bei Flossbach von Storch. «Adidas hatte da in der Vergangenheit Probleme. Gulden ändert das. Anders als Nike-CEO John Donahoe kann er auf jahrelange Erfahrung im Sporteinzelhandel zurückblicken. Dadurch gewinnt Adidas unseres Erachtens gegenüber Nike an Fahrt.» Gulden habe den Fokus wieder auf die wichtigen Handelspartner gelegt, ohne dabei das Online-Geschäft aus den Augen zu verlieren. «Wir sehen den Erfolg also sowohl im Online-Direktvertrieb als auch im traditionellen Einzelhandelsgeschäft.»

Eine Frage der Bewertung

Blickt man auf die Bewertung der Adidas-Aktien, zeigt sich: Günstig sind die Papiere nicht mehr, viel Wohlwollen und Positives ist im Kurs bereits einkalkuliert. Gemessen am prognostizierten Gewinn der kommenden zwölf Monate liegt das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) bei mehr als 50. Bei Puma sind es lediglich 18, bei Nike 24.

Aus Anlegersicht muss das nicht zwingend ein Totschlagargument sein. Denn die Vorhersagen der Analysten für den Gewinn von Adidas weisen deutlich nach oben. Der Betriebsgewinn auf Stufe Ebit belief sich im vergangenen Jahr auf gut 208 Mio. €. Dieses Jahr soll es mehr als 1 Mrd. € sein und bis 2026 über 2,6 Mrd. €.

An der Börse seien Adidas Vorschusslorbeeren verteilt worden, nun müsse der positive Trend im operativen Geschäft weitergehen, sagt Union-Finanzmann Jökel. «Ich bin dafür optimistisch, und zwar wegen des Produktmomentums. Das ist eine wichtige Kennzahl im Konsumgüterbereich.»

Auch andere Investoren schreckt das derzeit hohe Kurs-Gewinn-Verhältnis nicht ab. Adidas zu teuer? «Wir glauben, nein, andernfalls wären wir nicht investiert», sagt Jäger von Flossbach von Storch. «Nike schafft zweistellige Margen, warum sollte das nicht auch Adidas gelingen? Wer sich die Umsatzebene anschaut und die entsprechende Profitabilität unterstellt, erkennt, dass das potenzielle Multiple nicht zu hoch ist.»

Skeptischer äussert sich Tom Ackermans, Fondsmanager des Fidelity Germany Fund. «Ich frage mich, ob das Szenario, das jetzt eingepreist wird, nicht ein wenig zu optimistisch ist», sagte er im Interview mit The Market.

Tatsächlich war das Umsatzwachstum im Übergangsjahr 2023 im Vergleich zu 2022 rückläufig. Doch schon im laufenden Jahr soll diese Kenngrösse auf mehr als 6% steigen, in den beiden Folgejahren beinahe ein zweistelliger Zuwachs erreicht sein, lauten die übereinstimmenden Vorhersagen. Zum Vergleich: Puma traut der Marktkonsens für 2026 ein Wachstum von lediglich etwas mehr als 7% zu.

Auch bei der Gewinnmarge, kalkuliert anhand des Ebitda, zeigt Adidas aufsteigende Form. Im vergangenen Jahr lag diese Kenngrösse bei mageren 3,7%. Im laufenden Jahr sollen es etwas über 9% werden.

Konsumwerte hängen nun einmal am Konsumenten

Die Crux dabei: Die Zahlen basieren auf den Schätzungen der Analysten. Und die gehen davon aus, dass das wirtschaftliche Umfeld stabil bleibt. Genau das aber ist keineswegs sicher. Zum einen ist da die bereits genannte Konsumentenstimmung in den USA. Zum anderen der Aktienmarkt selbst: Die Kurse diverser Unternehmen, die von der Konsumlust in den USA abhängig sind, schwächeln seit rund drei Monaten, zeigt eine Analyse von The Market.

Genau an diesem Punkt taucht eine Frage auf, die seit der Amtsübernahme Guldens immer wieder aufflackert: Ist der von manchen kritisierte Gulden-Management-Stil des Ad-hoc-Problemlösens ohne ausufernde Grübelei über die Strategie in einer so herausfordernden Situation der richtige Ansatz? Unter Fondsmanagern und Analysten hat Gulden einige Fürsprecher, vermutlich, weil er eine Historie als Macher hat, als Mann mit dem Händchen für Konsumartikel. Jökel zum Beispiel sagt: «Gulden hat vielleicht keine klar kommunizierte Strategie, aber er liefert.» Das müsse er weiter schaffen. «Wenn es gut läuft, fragt keiner nach der Strategie. Als Investor schaue ich genau darauf, ob es funktioniert.» Fondsmanager Ackermans von Fidelity International beurteilt Gulden ähnlich.

Ob Adidas auch für Anleger funktioniert, ist in der Tat die entscheidende Frage. Für die Aktien spricht, dass die Produkte von Adidas im Vergleich mit der Konkurrenz einen echten Lauf haben. Nike hingegen steckt derzeit in der Krise, sodass der frühere Tech-Manager und CEO John Donahoe laut Kritikern als Fehlbesetzung gilt. Das sind gute Gründe dafür, dass die Börse Adidas anders behandelt als Nike.

Gegen Adidas sprechen die durchaus ambitionierte Bewertung der Titel sowie die Schwächezeichen vonseiten der US-Konsumenten. Wenn die Schwäche sich fortsetzt, dürften klamme Sneaker-Fans auch bei den begehrten Modellen den Kauf aufschieben. Jeder Anleger muss also für sich die Frage beantworten, wie weit die Sambas Adidas noch tragen können.

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