Der Politologe sagt, weshalb sich mit Martin Pfister einmal mehr der «gmögigere» Kandidat durchgesetzt hat, und erklärt, weshalb es Donald Trump niemals in den Bundesrat schaffen würde.
Herr Vatter, der vermeintliche Alibi-Kandidat Martin Pfister ersetzt Viola Amherd im Bundesrat. Sind Sie überrascht?
Ja. Aussenstehende schaffen es sehr selten. In der Geschichte der Bundesratswahlen gab es das nur ein Dutzend Mal. Allerdings war das nur bedingt eine Wahl für einen Kandidaten, der von aussen kommt, sondern eher eine gegen den internen Kandidaten, vergleichbar etwa mit der Wahl von Eveline Widmer-Schlumpf gegen Christoph Blocher – auch wenn Erstere im Unterschied zu Pfister nicht auf dem Ticket der Partei stand.
Der unterlegene Kandidat, Markus Ritter, gilt gerade im links-grünen Lager als Reizfigur. Ist er darum gescheitert?
Die Niederlage Ritters bei der Wahl hängt in der Tat sehr stark mit seiner Rolle als Cheflobbyist der Bauern zusammen; einer Rolle, die er sehr intensiv und erfolgreich ausgeführt hat. Er hat sich damit aber im Parlament nicht nur Freunde gemacht. Im Gegenteil: Es gibt eine breite Gegnerschaft, die ihn aufgrund von seinem politischen Profil, seinem Auftreten sowie seiner fehlenden ökologischen Ausrichtung nicht gewählt hat.
Der tiefe «Gmögigkeitsfaktor» von Markus Ritter war also ausschlaggebend?
Ritter wies sicher eine niedrigere Verträglichkeit auf als sein Gegenkandidat. Und es wurden ihm bestimmte Attribute zugeschrieben, etwa dass er nachtragend sei und sich penetrant für seine Ziele einsetze. Das war sicher ein Faktor, weshalb er nicht gewählt wurde.
Vor gut zwei Jahren wurde bereits die eher unbekannte Elisabeth Baume-Schneider der als durchsetzungsfähig geltenden Eva Herzog vorgezogen. Hat das Parlament Angst vor starken Figuren im Bundesrat?
Von Angst würde ich nicht sprechen. Vielmehr stehen systemfunktionale Überlegungen im Vordergrund. Der Bundesrat ist ein hierarchieloses Gremium, bei dem nicht wie sonst der Regierungschef die Auswahl seiner Minister vornimmt. Darum müssen es Persönlichkeiten sein, die Teamplayer sind, die konziliant und kompromissbereit sind. Nur so kann eine Konkordanzregierung funktionieren, in der das Kollegialitätsprinzip gilt.
War das immer schon eine Konstante bei der Bundesratswahl, dass die Lieben und Netten die meisten Stimmen erhalten?
In einer Studie haben wir den Einfluss der Persönlichkeitsmerkmale auf die Wahlen bis in die 1960er Jahre untersucht. Seither ist es so, dass «gmögige» Persönlichkeiten bessere Wahlchancen haben. Ich wäre aber zurückhaltend, was die Zeit davor betrifft. Wir kennen die Persönlichkeiten der nominierten Bundesratskandidaten gerade im 19. Jahrhundert nicht im Detail. Ich kann mir vorstellen, dass es damals Persönlichkeiten gab, die nicht diesem Merkmal entsprochen haben, nicht zuletzt, weil es damals stärkere interne Hierarchien gab. So gab es einzelne Bundesräte, die fünf- oder sechsmal zum Bundespräsidenten gewählt wurden, andere nie oder nur einmal.
Ist es ein Schweizer Sonderfall, dass für die Exekutivämter jeweils eher freundliche und kantenlose Personen gewählt werden – oder ist dieses Persönlichkeitsmerkmal auch in anderen Ländern so wichtig?
Es gibt in den USA ebenfalls breit angelegte Untersuchungen für lange Perioden dazu. Und sie zeigen tatsächlich eine andere Persönlichkeitsstruktur der Präsidenten. In den USA ist die Durchsetzungsfähigkeit viel wichtiger als bei den Schweizer Bundesräten. Die Verträglichkeit spielt dagegen bloss eine untergeordnete Rolle.
Ein Donald Trump würde es in der Schweiz also niemals in die Landesregierung schaffen?
Ja, ein Bundesrat Donald Trump wäre kaum denkbar. Aber man muss nicht einmal so weit gehen: Auch wenn man ihn ausklammert, sieht man klare Unterschiede bei den Merkmalen der Persönlichkeiten in der Regierung.
Sie haben einst in Ihrem Buch sechs Typen von Bundesräten eruiert: Konkordanzpolitiker, Verwalter, Populäre, Intellektuelle, Bürdenträger und Regenten. Zu welchem Typ zählen Sie den neuen Bundesrat Martin Pfister?
Da Pfister noch nicht im Amt ist, ist diese Frage schwierig zu beantworten. Aufgrund der eindeutigen Beschreibungen aus den Medien würde ich Martin Pfister aber der Kategorie der Konkordanzpolitiker zuweisen, er ist konziliant, umgänglich und kompromissorientiert. Allerdings trägt er auch Züge eines Intellektuellen. Pfister ist Historiker, der seine Lizenziatsarbeit über Bundesrat Philipp Etter geschrieben hat.
Wie wird Pfister die Dynamik im Bundesratskollegium verändern?
Wir befinden uns in einer Phase, in der der Bundesrat nicht mehr so gut funktioniert, darauf deutet die Häufung an Indiskretionen in den vergangenen Monaten hin. Martin Pfister bringt daher als Konkordanzpolitiker Eigenschaften mit, die in der Regierungsarbeit gebraucht werden: Kollegialität etwa und die Bereitschaft, mit den anderen Mitgliedern der Landesregierung zusammenzuarbeiten. Die Frage ist jedoch, ob er sich ohne Kenntnisse der Bundeshausmechanik mit seinen Anliegen wird durchsetzen können.
Die Landesregierung wird mit der Wahl von Pfister noch maskuliner. Ist das ein Problem?
Ja. Es ist erstaunlich, dass wir wieder auf die Geschlechterverhältnisse der neunziger und nuller Jahre zurückfallen. Das entspricht nicht der politischen Entwicklung der letzten zwanzig Jahre, als man sogar kurzzeitig eine Frauenmehrheit im Bundesrat hatte. Das ist nicht ideal. Und es erzeugt grossen Druck auf die Parteien, die als Nächstes von Rücktritten ihrer Bundesräte betroffen sind.
Aussergewöhnlich an dieser Ersatzwahl war, dass die grossen Favoriten – Gerhard Pfister, Martin Candinas und Isabelle Chassot – allesamt absagten, weil sie «kä Luscht» hatten. Wird es je länger, je schwieriger, fähige Politiker zu finden, die sich den Job des Bundesrats antun wollen?
Ich bin da ambivalent. Zum einen ist die gegenwärtige Situation tatsächlich aussergewöhnlich. Aber sie ist eher einer bestimmten konkreten Situation geschuldet. Bei Gerhard Pfister weiss man, dass er gerne angetreten wäre. Er tat dies aber nicht, weil er befürchtete, in seiner eigenen Partei keine Mehrheit für eine Nomination zu erhalten. Zum anderen ist die Situation tatsächlich Ausdruck davon, dass unsere Regierung auf einer Organisationsstruktur beruht, die dereinst Napoleon begründet hat und reformbedürftig ist. Da die Institution Bundesrat eine sehr hohe Akzeptanz in der Bevölkerung geniesst, ist es allerdings äusserst schwierig, Reformen in Gang zu bringen.
Ihr Kollege Michael Hermann hat vom «Gen-Z-Groove» gesprochen, der in die Schweizer Politik Einzug hält.
Dass nun eine junge Generation nachkommt, die nicht nur die berufliche Karriere als oberstes Lebensziel anschaut, ist sicher ein Faktor. Aber wie gesagt: dass die Spitzenkandidaten nicht angetreten sind, hatte auch mit anderen Faktoren zu tun. Das VBS etwa gilt nicht als besonders attraktiv, ebenso die Spardebatten, die den Handlungsspielraum einengen. Und einzelne Kandidaten wollten die Schmach einer parteiinternen Nichtnominierung verhindern.
Von links wird moniert: Die Bevölkerung wird nicht abgebildet durch die Mehrheit von SVP und FDP im Bundesrat. Jetzt kommt noch ein Mann von der Mitte, der eher nach rechts tendiert – im Gegensatz zur Vorgängerin. Können die Bürgerlichen nun durchregieren?
Nein. Im Bundesrat findet das rechtsbürgerliche Lager zwar Mehrheiten. Aber im Parlament und spätestens bei der Volksabstimmung ist das viel schwieriger. Sowohl bei der BVG-Reform wie auch beim Autobahnausbau wirkte das Stimmvolk zuletzt korrigierend ein. Das ist die Stärke unseres Systems: dass es auf Machtteilung ausgerichtet ist. Gibt es ein Übergewicht in der einen Institution, wird das in der Regel korrigiert.