Donnerstag, November 14

Ein Vorteil der Gesundheitsreform (Efas) wäre, dass ältere Menschen länger zu Hause gepflegt werden können, bevor sie ins Altersheim müssen. Die Gewerkschaften bekämpfen die Reform trotzdem.

Viele ältere Menschen möchten so lange wie möglich zu Hause wohnen bleiben. Denn mit dem Schritt ins Altersheim verlassen sie ihre gewohnte Umgebung und geben einen Teil ihrer Selbständigkeit auf. Selbst einkaufen gehen, kochen und putzen gehören der Vergangenheit an. Im Heim ist es wie im Hotel.

Das sorgt immer wieder für Generationenkonflikte. Während die Töchter und Söhne der Ansicht sind, dass der Alltag zu Hause für die betagte Mutter oder den Vater zu beschwerlich ist, sehen das die Betroffenen häufig diametral anders. Der richtige Zeitpunkt für den Eintritt in ein Heim ist individuell. Und er hat Auswirkungen auf die Kosten. Denn ambulant ist günstiger als stationär.

Bei der Abstimmung über die einheitliche Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen (Efas) vom 24. November geht es daher nicht nur um die Setzung der richtigen Anreize bei medizinischen Leistungen, sondern auch bei der Alterspflege.

Intransparente Finanzierung

Artiset, die Föderation für Dienstleister für Menschen mit Unterstützungsbedarf, befürwortet die Gesundheitsreform. Denn es müssen Fehlanreize behoben werden. «Es gibt Fälle, in denen die Krankenkassen Heimleiter dazu drängen, einen Bewohner vom betreuten Wohnen in die Pflegeabteilung zu verlegen – nur damit es für die Kasse günstiger wird», sagt Daniel Höchli, Geschäftsführer bei Artiset.

Das hängt mit dem intransparenten Finanzierungssystem von Pflegeleistungen zusammen, das vor vierzehn Jahren eingeführt wurde. Damals wollte man, dass sich die Kantone stärker an den Pflegekosten beteiligen. Heute sagt Höchli: «Das System hat sich nicht bewährt und führt in einigen Kantonen zu einer Unterfinanzierung.»

Das Finanzierungssystem funktioniert wie folgt: Der erste Beitrag wird vom Patienten selbst übernommen. Der Maximalbetrag wird dabei vom Bundesrat festgelegt. Den zweiten Beitrag bezahlt die Krankenkasse. Dieser Betrag wird ebenfalls vom Bundesrat bestimmt. Den Rest übernehmen die Kantone oder die Gemeinden. Das ist je nach Kanton unterschiedlich geregelt. In der Deutschschweiz ist der sogenannte Restfinanzierer oftmals die Gemeinde.

Das gegenwärtige System ist so ausgestaltet, dass es für die Krankenkassen teurer ist, wenn ein Patient Pflegeleistungen von der Spitex bezieht, als wenn er im Heim wäre. Denn die Pflegekosten, die im Heim anfallen, werden zu einem grösseren Teil vom Patienten und vom Kanton bzw. von der Gemeinde getragen, als das bei den Spitex-Leistungen der Fall ist.

Aufteilung Pflegekosten im Kanton Zürich

Beispiel Pflege durch Spitex

Frau Müller bezieht täglich 60 Minuten Pflege einer Spitex-Organisation mit Leistungsauftrag. Der Kanton Zürich hat dafür die Kosten auf 166.38 Franken festgelegt. Davon bezahlt:

– Frau Müller: 7.65 Franken (Eigenanteil, gemäss Vorgabe des Bundesrates maximal 15.35 Franken, im Kanton Zürich übernimmt der Restfinanzierer die Hälfte davon)

– Die Krankenversicherung von Frau Müller: 76.90 Franken

– Der Restfinanzierer: 81.85 Franken (im Kanton Zürich ist dies die Gemeinde)

Beispiel Pflege im Heim

Herr Meier lebt im Pflegeheim und benötigt täglich 60 Minuten Pflege. Der Kanton Zürich hat dafür die Kosten auf 82.12 Franken festgelegt. Davon bezahlt:

– Herr Meier: 23.00 Franken (Eigenanteil, gemäss Vorgabe des Bundesrates maximal 23.00 Franken, im Kanton Zürich übernimmt der Restfinanzierer nichts davon)

– Die Krankenversicherung von Herrn Meier: 28.80 Franken

– Der Restfinanzierer: 30.03 Franken (im Kanton Zürich ist dies die Gemeinde)

Für die Unterbringung und die Hotellerie im Heim fallen je nach Heim zudem mehrere tausend Franken pro Monat an, die vom Patienten getragen werden müssen.

Quelle: Artiset

Gewerkschaften warnen vor steigenden Prämien

Laut dem Bericht zur Umsetzung der Neuordnung der Pflegefinanzierung des Bundes nehmen zudem manche Kantone die Restfinanzierung als unzureichend wahr. Manchmal springen die Gemeinden ein und stopfen die finanziellen Löcher der Heime. Es kommt aber auch vor, dass ungedeckte Kosten in einzelnen Kantonen auf die Patienten abgewälzt werden, etwa indem Pflegekosten von den Heimen in der Hotellerie abgerechnet werden.

Wegen der Restfinanzierung komme es zu einem ständigen Hin und Her zwischen den Kantonen und dem Bund, sagt Höchli. Der Bund scheue sich davor, den Krankenkassenbeitrag zu erhöhen, weil dann die Prämien steigen würden. Zudem sei der Bund der Ansicht, dass die Kantone im Spitalbereich für weniger Kosten aufkommen müssten aufgrund der voranschreitenden Ambulantisierung und dafür gut etwas mehr für die Alterspflege ausgeben könnten.

Reto Wyss, Zentralsekretär beim Gewerkschaftsbund, findet, dass das derzeitige System durchaus Vorteile habe: «Bei einer Annahme von Efas würden wir den einzigen Kostendeckel lockern, den wir im Gesundheitswesen haben. Dadurch würden die Prämien steigen.» Und auch bei der Ambulantisierung sei die Frage, wie man diese umsetzen wolle, mit Efas nicht gelöst.

Der positive Effekt der Ambulantisierung im Bereich der medizinischen Leistungen auf die Prämien dürfte die Zusatzbelastung im Bereich der Langzeitpflege allerdings überkompensieren.

Mehr Pflege zu Hause

Darüber, dass eine Ambulantisierung auch in der Alterspflege Sinn ergibt, scheint man sich allerdings einig zu sein. «Die meisten älteren Menschen haben den Wunsch, zu Hause gepflegt zu werden», sagt Eliane Pfister, Leiterin des Instituts Diakoniewerk Neumünster, das sich unter anderem mit Fragen der Alterspflege beschäftigt. Wissenschaftliche Erkenntnisse deuteten darauf hin, dass Menschen, die länger zu Hause wohnten, länger gesünder seien.

Die Nachfrage nach Betreuung im Alters- und Pflegeheim nimmt denn auch seit einigen Jahren ab, die Spitex-Versorgung hingegen kontinuierlich zu. Pfister sieht bei den ambulanten Leistungen allerdings noch Potenzial. «Bleiben die Menschen länger zu Hause, braucht es künftig neue Modelle von Betreuungsleistungen.» Denn sobald man als älterer Mensch nicht mehr mobil sei und die Wohnung nicht mehr verlassen könne, drohe die soziale Isolation. Das gelte es zu verhindern, etwa in Form von Angeboten, die die regelmässige soziale Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichten.

Die Föderation Artiset geht zudem davon aus, dass eine gute Pflege zu weniger Spitaleinweisungen führt. Auch könnten Nachbehandlungen nach einer Operation oft gut von der Spitex zu Hause durchgeführt werden. Efas könnte künftig die richtigen Anreize dafür setzen.

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