Ob die Vorwürfe gegen Alexandra Föderl-Schmid berechtigt sind, ist offen. Doch der Sturm, der sich in den Medien zusammenbraute, ist unverhältnismässig. Plagiat ist ein unschönes Vergehen, aber kein Kapitalverbrechen.
Am Montag dieser Woche hatte sich die stellvertretende Chefredaktorin der «Süddeutschen Zeitung» («SZ») aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen. Seit Donnerstagmorgen war sie spurlos verschwunden. Am Freitag wurde Alexandra Föderl-Schmid laut Medienberichten in der Nähe von Braunau lebend gefunden.
In den Büros des Kommunikationswissenschafters Stefan Weber in Salzburg liegt der Fall Föderl-Schmid wahrscheinlich bereits bei den Akten. Weber hat seine Arbeit getan. Anfang Woche hatte das Onlineportal «Nius» berichtet, in Föderl-Schmids Dissertation fänden sich «Plagiatsfragmente». Und berief sich dabei auf ein Gutachten Webers, der die Suche nach Plagiaten berufsmässig betreibt.
Weber hat sich einen Namen gemacht. Er gilt als Experte im Aufspüren von undichten Stellen in wissenschaftlichen Arbeiten. Regelmässig ist er in den vergangenen Jahren an die Öffentlichkeit getreten. Er untersuchte unter anderem Qualifikationsschriften von Politikern wie Annalena Baerbock, Armin Laschet und Olaf Scholz oder der österreichischen Arbeitsministerin Christine Aschbacher auf Textpassagen, die aus anderen Texten übernommen und nicht hinreichend als Zitate ausgewiesen wurden.
«Zu wörtlich übernommen»
Das Gutachten zu Föderl-Schmid gab «Nius» in Auftrag, nachdem Vorwürfe gegen die SZ-Journalistin erhoben worden waren. Das Branchenportal «Medieninsider» schrieb im Dezember, sie habe in einer Reihe von Artikeln Passagen aus Texten anderer Autoren wörtlich übernommen. Stefan Weber klopfte beim Portal, das vom ehemaligen «Bild»-Chefredaktor Julian Reichelt geleitet wird, an und empfahl seine Dienste. Daraufhin bestellte «Nius» bei ihm ein Gutachten.
Als Reaktion auf die Vorwürfe im Zusammenhang mit den journalistischen Texten räumte Föderl-Schmid Fehler ein. Sie machte aber zugleich darauf aufmerksam, dass es sich bei den inkriminierten Passagen um Definitionen und Umschreibungen von Fakten gehandelt habe: um Sachverhalte also, die man nicht auf irgendeine beliebige Weise wiedergeben kann, sondern klar und eindeutig beschreiben muss.
In einem Beitrag über die Ideologie der Hamas hatte Föderl-Schmid Passagen von der Website der Bundeszentrale für politische Bildung übernommen. In einem Text zur Erklärung des jüdischen Festtags Simchat Tora schrieb sie einen Eintrag der Website des Jüdischen Museums Berlin streckenweise wörtlich ab. Sie stellte das nicht in Abrede. Um auf knappem Raum eine konzise Erklärung zu liefern, habe sie vielleicht eine Quelle «zu wörtlich übernommen», sagte sie. Das bedaure sie.
Passion: Plagiate finden
Die Beispiele sind unschön. Föderl-Schmid macht es sich zu einfach. Wer Textstellen wörtlich übernimmt, tut es wissentlich. Und weiss, dass er damit gegen ein Grundgebot des Journalismus verstösst. Aber die erwähnten Beispiele stellen die Glaubwürdigkeit von Föderl-Schmids journalistischer Arbeit nicht grundsätzlich infrage. Es wurde niemand getäuscht und niemand geschädigt.
Ob es bei solchen Bagatellen bleibt, ist offen. Die Vorwürfe werden von der «SZ» intern abgeklärt. Dass sich die Kritik zu einem Sturm zusammenbrauen konnte, ist allerdings ganz wesentlich der «Süddeutschen Zeitung» selbst zuzuschreiben. Sie nahm die Vorwürfe erst mit Verzögerung auf und qualifizierte sie dann umgehend als Kampagne «von rechts» ab. Es gehöre bekanntermassen zum ideologischen Grundsatzprogramm der Rechten, Medien schlechtzumachen, liess die Chefredaktion verlauten.
Die Kritik an Alexandra Föderl-Schmid richtete sich allerdings nicht nur gegen die journalistischen Texte. Das Gutachten von Stefan Weber betrifft die Dissertation, die sie 1996 an der Universität Salzburg eingereicht hat. Und das ist Webers Kerngeschäft. Seit mehr als fünfzehn Jahren prüft Weber akademische Schriften auf Plagiate.
2007 hat er daraus ein Geschäft gemacht, er arbeitet auf Auftrag und gegen Geld. Für das Gutachten zu Föderl-Schmid sollen 2000 Euro geflossen sein. Aber Honorare sind für Weber nur das eine. Plagiate zu finden, ist sein Auftrag, seine Passion. Dem deutschen Onlinemagazin «Telepolis» sagte Weber Anfang dieser Woche: «Meine Agenda heisst, dass ich keine plagiierenden Politiker und Journalisten haben möchte.»
Das Geschäft mit der Empörung
Mehrere hundert wissenschaftliche Arbeiten hat Weber bereits gescannt. Er nimmt auch von Anonymen Aufträge entgegen, und oft arbeitet er sogar ohne Auftrag, nur von «detektivischer Neugier» getrieben, wie er einem Journalisten einmal sagte. Weber bestreitet, einen politischen Feldzug zu führen, weder gegen links noch rechts. Er kämpfe «gegen akademischen Textbetrug und seine Folgen», sagt er. Welche Folgen er meint, sagt er nicht. Und dass seine Detektivarbeit bei denen, die sie betrifft, schwerwiegende Folgen haben kann, scheint er auszublenden.
«Wenn die Vorwürfe wahr sind und ein Problem darstellen», sagte Weber im «Telepolis»-Interview, «dann ist ja nicht der Aufdecker das Übel, sondern die Sache, die er aufzeigt». Robin Hood also, der die Mächtigen entlarvt. Das klingt heldenhaft, ist aber nicht einmal die halbe Wahrheit. Die Art und Weise, wie Weber seine Enthüllungen publik macht, ist nur auf eines kalkuliert: bestmögliche Wirkung. Denen, deren Texte er untersucht, gibt er keine Gelegenheit, sich zu erklären.
Die österreichische Arbeitsministerin Christine Aschbacher trat am 11. Januar 2021 zurück. Knapp zwei Tage vorher hatte Weber seine Untersuchung zu ihrer Dissertation publiziert. Sie selbst hatte er vor der Veröffentlichung nicht mit den Ergebnissen konfrontiert. Dass es ein journalistisches Gebot wäre, dies zu tun, sei ihm bewusst, sagte er damals. Bei Personen des öffentlichen Lebens halte er es allerdings für unnötig. Schliesslich gehe es um Aufklärung. Und dazu könne ein ertappter Plagiator nichts beitragen.
Oft bleibt gar nichts hängen
Dass auch Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens Anspruch auf Fairness haben, ist Weber anscheinend egal. Plagiat ist ein unschönes Vergehen, aber kein Kapitalverbrechen. Und mit Aufklärung hat das Schnüffeln in Dissertationen, die ausser den Gutachtern niemand gelesen hat, wenig zu tun. Freilich sind es nicht allein Jäger wie Stefan Weber, die das Geschäft mit Plagiaten am Laufen halten. Die Medien greifen die «Enthüllungen» meist bereitwillig auf. Und zwar, ohne hinzuschauen, ob die Vorwürfe auch wirklich gravierend sind.
Glaubwürdigkeit ist das wichtigste Kapital, das Medien besitzen. Es geht rasch verloren, zu Recht. Erwerben kann man es nur durch Ehrlichkeit und Transparenz. Plagiate können der Glaubwürdigkeit eines Mediums schaden, und das ist richtig so. Allerdings ist es etwas völlig anderes, wenn da und dort die Erklärung eines Begriffs wörtlich übernommen wird, als wenn ganze Seiten, Gedanken, Argumentationszusammenhänge oder Thesen von einem anderen Autor oder einer Autorin abgeschrieben werden, ohne dass diese genannt werden. Vor allem: Wenn Vorwürfe da sind, muss sich eine Redaktion damit ernsthaft auseinandersetzen und die Fehler nicht zuerst bei allen anderen suchen, wie die «Süddeutsche Zeitung» dies getan hat.
Ob die Vorwürfe gegen Alexandra Föderl-Schmid berechtigt sind, ist offen. So oder so zeigt der Fall, dass es bei der Jagd nach Plagiaten nicht nur um journalistische Ethik geht, sondern auch um Geld und Politik. Der Fall Föderl-Schmid dreht sich nicht nur darum, ob eine stellvertretende Chefredaktorin des Plagiats schuldig ist oder nicht. Sondern vor allem darum, wie eine der grossen deutschsprachigen Zeitungen mit Kritik umgeht. Eine Zeitung, die rasch bereit ist, bei anderen moralische Standards einzufordern.