Donnerstag, Juli 4

Von der Dating-App Ashley Madison gelangten 2015 Millionen intimer Daten ins Netz. Ehen zerbrachen, Kunden begingen Suizid. Eine Netflix-Doku-Serie legt nahe, dass die Tat ideologisch motiviert war.

Je nach Umfrage gehen 30 bis 50 Prozent der Leute fremd. Man könnte sich also fragen: Ist die Monogamie noch zeitgemäss? Doch das ist die falsche Frage. Gerade ihre Heimlichkeit macht Affären reizvoll. Affären leben vom verbotenen Begehren und dem Ende, das bereits ihrem Anfang eingeschrieben ist.

Genau dies suchen die Nutzerinnen und Nutzer des amerikanischen Seitensprung-Portals Ashley Madison. Damals waren bei der Plattform über 30 Millionen Leute registriert. Weltweit. Beworben wird sie mit einem Slogan, der so salopp gemeint ist, wie er tönt: «Das Leben ist zu kurz. Gönn dir eine Affäre».

Damit sollen explizit auch die glücklich Verheirateten angesprochen werden, die Abwechslung und Abenteuer suchen. Wer ausserhalb der Ehe Schönes erlebt, bringt angeblich positive Energie in eine Ehe hinein, selbst wenn sie kriselt. So haben die Gründer von Ashley Madison behauptet: «Affären können Ehen retten.» So beruhigen Fremdgänger auch ihr schlechtes Gewissen.

Doch was für eine Zerstörungskraft Affären gleichzeitig haben, wird dabei nicht gesagt. Hören sie nämlich auf, heimlich zu sein, können sie Beziehungen verwüsten. Das zeigte sich 2015, als Ashley Madison gehackt wurde und Millionen von intimen Nutzerdaten ins Netz gelangten. Die Namen der Fremdgänger wurden veröffentlicht, ihre E-Mail-Adressen und Fotos, Chat-Verläufe und sexuellen Phantasien.

Öffentliches Beschämen

Von diesem GAU erzählt die Miniserie «Ashley Madison. Sex, Lügen und ein Skandal» auf Netflix. Ausgerechnet ein Unternehmen, dessen Geschäft das Geheimnis ist und das seinen Kunden absolute Diskretion und Sicherheit garantiert, erlebt einen Cyberangriff. Sätze wie «Eine Affäre ist nur perfekt, wenn du nicht entdeckt wirst» klangen plötzlich nur noch hohl.

Für die betroffenen Nutzer, ihre Partner und Familien waren die Enthüllungen eine Katastrophe. In der dreiteiligen, als packendes True-Crime-Format erzählten Dokumentation sprechen einige von ihnen vor der Kamera.

Zum Beispiel das junge Paar Sam und Nia, das weitherum bekannt ist, weil es in einem Video-Blog Einblick in seinen Familienalltag gibt und darin seine Liebe zelebriert. Beide gläubig und gutaussehend, drei herzige Kinder. Dann taucht Sams Name in den gehackten Daten von Ashley Madison auf.

Oder da ist die ältere Frau, die erst vom Doppelleben ihres Mannes erfährt, als sie ihn tot in der Garage findet. Der Professor und Pastor sah keinen anderen Ausweg mehr, nachdem sein Arbeitgeber herausgefunden hatte, dass er Ashley Madison nutzt.

Sie alle erlebten, wie zur eigenen Scham und zu den Schuldgefühlen nun das öffentliche Beschämtwerden hinzukam. Medien und Moralisten schlachteten den Skandal schadenfreudig und selbstgerecht aus. Dabei stellt die Serie auch die Frage nach dem Umgang Dritter mit so privaten Daten. Manche gingen skrupellos vor. Radiosender boten ihren Hörern an, das gehackte und im Darknet veröffentlichte Material nach dem Namen des Partners zu durchsuchen. Wurde dieser gefunden, konnte die Hörerschaft am Entsetzen am andern Ende der Leitung live teilhaben.

Eine Journalistin der «Financial Post» benennt ihre Skrupel so: Die ganze Geschichte sei zu aufregend gewesen, um nicht darüber zu berichten. «Gleichzeitig fühlte es sich falsch an.»

Sie heucheln, wo sie können

Bis heute ist unklar, wer die Seitensprung-Seite gehackt hat, ob es ein Team oder eine Einzelperson war, die womöglich im Unternehmen arbeitete. Rächte sich ein betrogener Ehepartner? War es das Werk von Scheidungsanwälten? Von Tinder? So wurde spekuliert und gespottet.

Die Cybersicherheits-Spezialisten, die aus Schweden eingeflogen wurden, halten einen ideologisch motivierten Angriff für wahrscheinlich. Es ist wohl etwas dran am Satz eines ehemaligen Managers von Ashley Madison: «Die Bibel ist unser grösster Rivale.»

Dafür spricht, dass die Hacker kein Geld erpressten, sondern die Schliessung des Seitensprung-Portals forderten. Da sie damit erfolglos blieben, veröffentlichten sie immer mehr Daten, schliesslich auch den gesamten E-Mail-Verkehr des damaligen CEO Noel Biderman.

Biderman und seine Frau hatten sich bei Werbeauftritten immer als monogamer Gegenentwurf präsentiert zum Bedürfnis ihrer Kunden. Gerade deshalb müsse man für diese Verständnis haben, behaupteten sie, denn: «Nicht alle haben eine so tolle Ehe wie wir.» Nun wurde auch der CEO als schamloser Lügner überführt.

Die Doku-Serie «Ashley Madison» ist also auch eine Erzählung über eine riesige Heuchelei. Man erhält den Eindruck, dass das Geheimnis die Welt regiere, insbesondere die Welt von Paaren. Doch auch wenn der Hack die Doppelmoral vieler Nutzer entlarvt, rechtfertigt dies noch nicht die Absicht der Cyberkriminellen, die Welt moralisch zu verbessern. Die Witwe, deren Mann sich umgebracht hat, sagt es richtig: Wer sünden- und fehlerfrei sei, werfe den ersten Stein.

Der geläuterte Ehemann

Ashley Madison hat den Skandal überlebt. Das Portal gibt es weiterhin. Mit neuen Leuten, strengeren Richtlinien. Die Nutzerzahlen sind höher denn je und haben sich seit 2015 auf über 60 Millionen verdoppelt. Die Erschütterung konnte offenbar wenig bewirken, was zeigt: Im Rausch fehlt das Bewusstsein für die Risiken.

Sam hingegen gibt sich geläutert. Der gläubige untreue Familienvater gelobt, ein besserer Mensch zu werden. Seine gedemütigte Frau Nia will es noch einmal mit ihm versuchen. Auch Sams Seelsorger glaubt an die Besserung des jungen Mannes, wie er vor dem Kreuz an der Wand beteuert.

Sam nennt Ashley Madison heute «ein teuflisches Übel». Hört man ihn so reden, zweifelt man daran, ob er gerettet ist.

Exit mobile version