Die Nachkommen der Sklaven in den USA hatten einst eine doppelte Identität, was sich im Begriff «African American» zeigt. Intellektuelle wie John McWhorter fordern heute, auf diesen zu verzichten.

Hat Zohran Mamdani geschummelt? Hat er sich eine afroamerikanische Identität erschlichen, nur um gewisse Vorrechte einer Minderheit in Anspruch zu nehmen? Gibt er sich als Fürsprecher einer Kultur aus, die gar nicht die seine ist?

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Der Politiker indischer Herkunft und muslimischen Glaubens bewirbt sich als demokratischer Kandidat um das Amt des New Yorker Bürgermeisters. Im Wahlkampf ist er kürzlich mit dem Vorwurf konfrontiert worden, 2009 als angehender Student auf einem Antragsformular der Columbia University unter der Kategorie «Race» nicht nur «Asian», sondern auch «Black or African American» angekreuzt zu haben, obwohl das seiner Abstammung nicht entspreche.

Da sich die Universität damals im Sinne der Minderheitenförderung an fixe Quoten für Afroamerikaner hielt, mochte sich Mamdani durch seine Kreuze einen gewissen Vorteil verschafft haben. Deshalb wird Mamdani, der bisher vor allem durch sozialistischen Extremismus auffiel, nun angelastet, er habe seine Herkunft gefälscht. Die afroamerikanische Identität dürfe nicht missbraucht werden, meinte dazu der schwarze amtierende Bürgermeister Eric Adams. Sie sei fest «an eine Geschichte, einen Kampf und an die lebendige Erfahrung» gebunden.

Sprachliche Tretmühle

Zohran Mamdani machte geltend, tatsächlich in Kampala geboren worden zu sein – eine Erklärung, die John McWhorter zu einer Stellungnahme in der «New York Times» bewogen hat. Der afroamerikanische Linguist zählt zu den schärfsten Gegnern der Linken in den USA. Einen Namen gemacht hat er sich insbesondere mit seiner Kritik des «woken» Antirassismus, der, statt die Probleme der schwarzen Bevölkerung zu lösen, eine Art Erbschuld der weissen Bevölkerung predige.

Dass sich der linke Kandidat Zohran Mamdani als «African American» ausgegeben habe, findet McWhorter nun aber durchaus legitim. Dieser habe ja tatsächlich einige Kinderjahre in Uganda verbracht, schrieb er in der «New York Times». Viel problematischer scheint ihm das Anmeldeformular der Columbia University selbst und insbesondere die Kategorie «African American». Immer mehr schwarze Amerikaner hätten Mühe mit diesem Begriff. Es sei an der Zeit, darauf zu verzichten: «It’s time to let it go».

John McWhorters bestes Argument basiert auf Zahlen: Heute lebten in den USA 2,8 Millionen Amerikaner, die in Afrika geboren worden seien. Darunter fänden sich längst nicht nur dunkelhäutige Bürger, wie das Beispiel von Elon Musk zeige. Es sei absurd, wenn diese Gruppe das Prädikat «African American» mit jenen dunkelhäutigen Amerikanern teilen sollten, deren Vorfahren vor Jahrhunderten in Afrika gelebt hätten.

McWhorter hegt überdies einen Verdacht: Bei «African American» handle es sich um eine Prägung jener «euphemistischen Tretmühle», die Vorurteile gegenüber einem Objekt auszuräumen versuche, indem sie einfach neue Begriffe dafür schaffe: Wenn man die «bums» (Penner) aber durch «homeless» ersetzte, verbessere sich deren Lage nicht. Und in gleicher Weise habe die Bezeichnung «African American» die «Black Americans» nie gegen Diskriminierung geschützt.

Man sollte einfach wieder von «Blacks» sprechen, empfahl McWhorter in der «New York Times». Und er erinnerte an jenes Selbstbewusstsein, das in den sechziger Jahren Black-Power-Aktivisten wie die Black Panthers oder Musiker wie James Brown heraufbeschworen: «Say it loud, I’m black and I’m proud», sang der King of Soul. «Black is beautiful», schrieb McWhorter nun am Schluss seines Artikels, «African American isn’t.»

Rassistische Untertöne

Der Linguist scheint mehr Musikgehör zu haben als historisches Bewusstsein. Das erklärt vielleicht, weshalb er den Begriff «African American» lediglich auf die achtziger Jahre bezieht: Damals hätten Intellektuelle wie der Prediger Jesse Jackson den Begriff im Mainstream verbreitet – in Anlehnung an «Italian American» oder «Asian American». Das aber greift zu kurz. Zum einen vergisst McWhorter, dass «African American» bloss den älteren Begriff «Afro-Americans» ersetzte. Dieser hatte sich gegen Bezeichnungen mit rassistischen Konnotationen durchgesetzt – insbesondere gegen «Negro».

McWhorter scheint ferner entgangen zu sein, dass auch das Prädikat «Black» der Zeit und der Bevölkerungsentwicklung unterworfen ist. Schon Duke Ellington wies im Titel seiner Big-Band-Suite «Black, Brown and Beige» (1943) darauf hin, dass sich die Hautfarbe der «schwarzen» Minderheit stetig aufhellte. Das war anfangs auf Sklavenbesitzer zurückzuführen, die Sklavinnen missbrauchten, später auf Mischehen. Und der von McWhorter zitierte Jesse Jackson schrieb in den achtziger Jahren: «In my household there are seven people and none of us have the same complexion.» Sieben schwarze Amerikaner wohnten in seinem Haushalt, aber alle hätten eine andere Hautfarbe, keiner sei schwarz. Hingegen seien sie alle «of African American heritage».

Die Bezeichnung «Black American» ist aber nicht nur ungenau, auch sie unterscheidet nicht zwischen Nachkommen ehemaliger Sklaven und afrikanischer Einwanderer. Kommt noch dazu, dass auch die Haut von asiatischen oder pazifischen Immigranten eine ausgeprägte Pigmentierung aufweist. Kein Wunder, rechnen Demografen damit, dass die weisse Bevölkerung Amerikas in wenigen Jahrzehnten in der Minderheit sein wird. Sie wird dabei nicht von Dunkelhäutigen verdrängt, vielmehr wird sie allmählich in einer multiethnischen Mischgesellschaft aufgehen.

Eine Verheissung

Dass man die oberflächliche Eigenschaft «Black» durch einen kulturell motivierten Identitätsbegriff zumindest zu ergänzen suchte, ist verständlich. Und dass es sich bei «Afro-American» an sich um eine plausible Lösung handelte, zeigt schon der Umstand, dass man die Bezeichnung in anderen Sprachen wie im Deutschen bereitwillig übernommen hat. Sie scheint naheliegend, logisch. Darüber hinaus aber schwang im Begriff «Afro-American» stets eine Verheissung mit.

Wo sich die Schwarzen von den Weissen diskriminiert und nicht als vollwertige Amerikaner akzeptiert fühlten, konnten sie als «Afro-Americans» stets eine zweite Identität geltend machen. Afrika wurde für sie zu einer rückwärtigen Utopie. Der Kontinent wurde seit dem 19. Jahrhundert in unterschiedlichen Ideologien und Religionen verklärt und überhöht.

Der sogenannte Afrozentrismus machte Afrika – dem Eurozentrismus zum Trotz – zum Zentrum der Weltgeschichte. Und der Panafrikanismus weckte die Hoffnung auf die Wiedervereinigung der Afrikaner mit der afrikanischen Diaspora. Die Euphorie wurde durch dunkelhäutige Herrscher wie Äthiopiens Messias Haile Selassie ebenso geschürt wie durch die Dekolonisation Afrikas.

Woher stammt der Blues?

Die Verbundenheit der schwarzen Amerikaner mit Afrika schien sich tatsächlich auch in ihrer Lebensweise und Kultur zu manifestieren. Bis heute vereint die afrikanischen und afroamerikanischen Frauen beispielsweise ein Frisurenkult, der auf ähnlichen Methoden im Umgang mit gekräuseltem Haarwuchs basiert. Wie viel Können und Geduld diese Coiffeurskunst erfordert, beschreibt die nigerianische Autorin Chimamanda Ngozi Adichie in ihrem Roman «Americanah».

Als zentral galt jahrelang auch der Einfluss Afrikas auf die afroamerikanische Musik. Diese wurde auf dem Musikmarkt der USA zu Beginn des 20. Jahrhunderts vom Angebot weisser Musiker abgekoppelt und banal als «Race» beziehungsweise als «Black Music» bezeichnet. Die schwarzen Musiker, die «Race Music» wie Blues und Gospel, Jazz und Soul prägten, legten die Vermutung nahe, dass sie afrikanische Traditionen in ihren Sound integrierten.

Federnde Rhythmik, pentatonische Skalen, Blues-Melodien – darin glaubte man ein Erbe zu erkennen, das die Sklaven mit nach Amerika gebracht zu haben schienen. Neuere Forschungen zeigen indessen, dass die afrikanischen Komponenten schwieriger zu konkretisieren sind. Ob etwa der Blues aus Afrika stammt, ist umstritten.

Die kulturelle Nähe zwischen Afrikanern und Afroamerikanern erwies sich zumeist als Glaube, nicht als Wissen. Als schwarze Jazzmusiker in den fünfziger und sechziger Jahren Afrika besuchten, fanden sie keine Heimat, vielmehr erlebten sie einen Kulturschock. Nach eigenen Erfahrungen negierte der berühmte Schlagzeuger Art Blakey den Einfluss Afrikas auf seine Musik gänzlich. Jazz sei eine rein amerikanische Errungenschaft.

Heute ist der amerikanische Musikmarkt durchaus offen für afrikanische Gäste. So gibt es zahlreiche Kooperationen zwischen Rappern und Stars der boomenden Afrobeats-Szene. Allerdings geht es dabei in den seltensten Fällen um den Rückgriff amerikanischer Künstler auf die afrikanische Musiktradition. Vielmehr zeigt sich, dass auch Afrika musikalisch im Einflussgebiet der USA liegt; Afrobeats nehmen sich oft wie eine Spielart von Hip-Hop und R’n’B aus.

«E pluribus unum»

Die Einheit Afrikas war eine mythische Idee. Unterdessen dürfte klar geworden sein, dass sich der Kontinent in eine reiche Mannigfaltigkeit auffächert. Und spätestens seit der Postmoderne haben afrikanische Utopien und Ideologien an Anziehung verloren. Das Verhältnis der Afroamerikaner zu Afrika hat sich allmählich abgekühlt und versachlicht. Kein Wunder also, dass Afroamerikaner wie John McWhorter auf den Begriff «African American» verzichten wollen. Es reicht ihnen die amerikanische Identität.

Es gebührt einem bleichen europäischen Beobachter zwar kaum, sich in die amerikanische Identitätsfindung einzumischen. Aber wenn Begriffe wie «Afro-American», «African American» oder «Black American» nicht mehr angebracht sind, sollte man gelegentlich nicht auf sie verzichten? Der Begriff «American» würde dann eine nationale Einheit ausdrücken, die in verschiedensten Farben schillert. Das entspräche einem alten amerikanischen Ideal: «E pluribus unum» wurde schon 1782 vom US-Kongress als Staatsmotto definiert: «Aus vielen wird eins».

Exit mobile version