Freitag, Januar 31

In einer Neun-Punkte-Deklaration hat die syrische Rebellenkoalition offiziell das Ende der alten Ordnung von Bashar al-Asad verkündet. Doch von Stabilität ist das Land noch weit entfernt.

Noch vor gut zwei Monaten war Ahmed al-Sharaa ein weitgehend unbekannter Rebellenführer aus Idlib im äussersten Nordwesten Syriens – nun ist der 42-Jährige zum Präsidenten des Landes ernannt worden. Wie das Kommando der syrischen Rebellenkoalition am späten Mittwochabend mitteilte, soll Sharaa während einer nicht näher definierten Übergangszeit die Präsidentschaft übernehmen und einen vorläufigen Legislativrat bilden, bis dereinst eine neue Verfassung in Kraft tritt.

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Der Schritt ist Teil einer Neun-Punkte-Deklaration, die im Rahmen einer «Siegeskonferenz» von mehreren syrischen Rebellenmilizen verkündet wurde. Darin heisst es, dass alle Institutionen des gestürzten Asad-Regimes aufgelöst würden, einschliesslich des Parlaments, der Geheimdienste und der Armee. Gleichzeitig sollen alle Rebellengruppen aufgelöst und in eine neue Armee integriert werden.

Die Deklaration markiert den bisher bedeutsamsten offiziellen Schritt hin zur Bildung einer neuen syrischen Regierung. Zwei Monate ist her, dass eine Rebellenkoalition unter der Führung von Sharaa und seiner islamistischen Miliz Hayat Tahrir al-Sham (HTS) den Langzeit-Diktator Bashar al-Asad aus Damaskus verjagt und die Macht übernommen hat. Zwar gilt der einstige Kaida-Kämpfer Sharaa bereits seit dem Umsturz als der neue starke Mann in Syrien, doch bislang blieb offen, welche offizielle Rolle er einnehmen würde. Nun hat er seinen Platz an der Spitze formalisiert.

Wer steht hinter Sharaa?

Dennoch bleiben zahlreiche Fragen offen. So ist unklar, wie lange die Übergangsregierung im Amt bleiben will. Ende Dezember hatte Sharaa in einem Interview gesagt, dass die Ausarbeitung einer neuen Verfassung rund drei Jahre in Anspruch nehmen werde. Wahlen könne es frühestens in vier Jahren geben. Bisher ist nicht bekannt, wer genau die neue syrische Verfassung erarbeiten soll.

Eigentlich hatten die neuen Machthaber schon im Verlauf des Januars eine «Konferenz des nationalen Dialogs» abhalten wollen, um gemeinsam mit Repräsentanten aller konfessionellen Gruppen den Verfassungsprozess anzustossen. Bis anhin stehen aber weder ein Datum noch eine Teilnehmerliste für diese Konferenz fest.

Ahmed al-Sharaa hatte immer wieder versprochen, dass im neuen Syrien alle die gleichen Rechte hätten und es keine Diskriminierung von Minderheiten geben werde. Inwiefern er sein Versprechen von Einheit und Inklusion nun einhält, ist unklar. Nach der Deklaration vom Mittwoch war nicht bekannt, ob tatsächlich alle Rebellenmilizen die Ernennung von Sharaa zum Präsidenten und auch die weiteren Beschlüsse unterstützen. Am 19. Januar hatte die HTS verkündet, dass mehr als 60 Milizen zugestimmt hätten, sich in eine neue Armee zu integrieren.

Grosse Spannungen in Syrien

So weist denn auch wenig darauf hin, dass sich Sharaa die versprochene Vielfalt wirklich zu Herzen nimmt. Minister- und Gouverneursposten hat er bisher primär an loyale Wegbegleiter aus Idlib vergeben, wo die HTS in den vergangenen Jahren einen autoritären Quasistaat geführt hatte.

Nun wird sich zeigen, ob der von Sharaa zu bestimmende Legislativrat die Vielfalt des Landes widerspiegeln wird. Beobachter sind skeptisch. «Meiner Meinung nach beabsichtigen die HTS und Sharaa, eine islamistische Einparteiherrschaft zu konsolidieren», sagte etwa Fawaz Gerges, Professor für internationale Beziehungen von der London School of Economics, gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.

Gleichzeitig weiss auch die HTS, dass die gesellschaftlichen Spannungen in Syrien nach 14 Jahren des Bürgerkriegs nach wie vor gross sind. Schiiten, Drusen, Alawiten und Christen stehen der sunnitischen Islamisten-Truppe misstrauisch gegenüber und fürchten sich vor religiös motivierter Gewalt und möglichen Racheakten. Zudem herrscht mit den Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) eine kurdisch dominierte Miliz über weite Teile Nordostsyriens. Bis jetzt machen die SDF keine Anstalten, ihre Autonomie aufzugeben und sich der Armee anzuschliessen.

Nicht zuletzt ächzt das Land nach wie vor unter internationalen Sanktionen. Diese dürften kaum aufgehoben werden, sollte Sharaa nun ein neues autokratisches Regime errichten – und auch die hoffnungsvollen Syrer würden dies wohl nicht einfach so hinnehmen.

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