Hotel oder Apartment: Die ewige Buchungsfrage spaltet auch die Börse. Über Jahre genoss Booking an Wallstreet den Platz an der Sonne – 2024 jedoch holt Airbnb plötzlich auf. Welche Aktie bietet die attraktivere Perspektive?
Die schönste Zeit des Jahres wirft wieder ihre Schatten voraus: allerhöchste Zeit für die Ferienbuchung! Wohin es gehen soll, ist für viele Urlauber fast nicht so wichtig, sondern die Frage: Apartment oder Hotelzimmer?
Die Grundsatzfrage des Reisens bewegt auch Milliarden Dollar an Wallstreet. Dort liefern sich die beiden grössten Buchungsplattformen mit ihren konträren Ansätzen einen packenden Zweikampf. Herausforderer Airbnb ist nach einem starken Jahresstart mit einem Börsenwert von rund 103 Mrd. $ wieder dicht an den Platzhirsch Booking herangerückt.
Man kann es eine veritable Aufholjagd nennen, denn die Börsenkarriere von Airbnb verlief bislang alles andere als glatt. Erst Anfang 2020 – zwölf Jahre nach der Gründung – konkretisierte CEO und Mitgründer Brian Chesky seine lang gehegten Pläne für einen Börsengang (Initial Public Offering, IPO). Airbnb war zu diesem Zeitpunkt neben dem chinesischen TikTok-Mutterhaus ByteDance das zweitwertvollste privat geführte Tech-Unternehmen, das nach dem Vorbild von Meta erst als reiferer Konzern an der Börse debütieren und dabei so viel Kapital wie möglich einsammeln wollte.
Dann kam die Covid-Pandemie – und mit ihr die Bedrohung des bis dato hervorragend skalierbaren Geschäftsmodells. Es ging für Airbnb plötzlich nicht mehr um eine mögliche Verlangsamung des Wachstums, sondern um Überlebensfragen: Wie kann man ein Unternehmen, das bis dato gewachsen war wie das «Facebook des Reisens», am Laufen halten, wenn die Geschäftsgrundlage durch ein Virus existenziell infrage gestellt wurde?
Die Folge: die Kündigung eines Viertels der Belegschaft und die Aufnahme frischer Mittel zu einem dramatischen Bewertungsabschlag. Plötzlich war Airbnb am Private-Equity-Markt nur noch 18 Mrd. $ wert, nachdem wenige Monate zuvor noch Bewertungen von über 30 Mrd. aufgerufen worden waren.
Doch ein halbes Jahr später, Anfang November 2020, war die Welt wieder eine andere: Ein Impfstoff und ein IPO rückten in Reichweite.
Airbnb mit turmhoher Bewertung nach dem Fabel-IPO
Es wurde ein IPO aus dem Lehrbuch. Ursprünglich bot der Zimmervermittler seine Aktien in einer Spanne von 44 bis 50 $ an, hob den Ausgabekurs angesichts der hohen Nachfrage jedoch auf 68 $ an. Der erste Kurs, der an der Nasdaq aufleuchtete, war 146 $. Und dabei blieb es nicht. Nur zwei Monate später erreichte die Euphorie um das Börsendebüt des Vorzeigeunternehmens der Sharing Economy bei einem Allzeithoch von 213 $ ihren vorläufigen Höhepunkt.
Diesen Höchstkursen läuft Airbnb bis heute hinterher. Auf dem damaligen Niveau war der 2008 gegründete Reisevermittler «priced for perfection»: Airbnb fuhr 2020 und 2021 sogar noch Verlust ein und erreichte im Jahr 2021 einen Umsatz von bloss 6 Mrd. $. Die Aktien wurden in Spitzenzeiten zu einer Marktkapitalisierung von 130 Mrd. $ mit dem 22-Fachen des Umsatzes gehandelt – das ist ein vergleichbares Niveau wie heute Nvidia.
Airbnb hat die vergangenen zwei Jahre damit verbracht, in die hohe Bewertung hineinzuwachsen. Im abgelaufenen Geschäftsjahr konnte CEO Chesky bei einem Umsatz von knapp 10 Mrd. $ einen Nettogewinn von 4,79 Mrd. $ bzw. einen Gewinn je Aktie von 7.24 $ vermelden – allerdings auch dank des Sondereffekts einer Steuergutschrift in Milliardenhöhe. Der Betriebsgewinn auf Stufe Ebitda betrug im abgelaufenen Geschäftsjahr 2,22 Mrd. $.
Für das laufende Geschäftsjahr rechnen Analysten durchschnittlich mit einem Umsatz von 11,08 Mrd. (+12%) und fast einer Verdoppelung des Ebitda auf gut 4 Mrd. $.
Der Gewinn je Aktie soll gemäss den Analystenschätzungen im laufenden Jahr auf 4.29 $ steigen. Daraus errechnet sich auf dem gegenwärtigen Kursniveau ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von 38.
Airbnb ist damit auch dreieinhalb Jahre nach dem IPO noch immer eine teure, aber immerhin keine absurd teure Aktie mehr.
Booking ist günstiger als Airbnb
Der grosse Rivale Booking Holdings, Betreiber des beliebten Online-Reiseportals, wird nach so ziemlich jeder Lesart mit Bewertungsabschlägen zu Airbnb gehandelt. Derzeit bringt es der Internetpionier aus Connecticut zu Kursen von 3450 $ auf eine Marktkapitalisierung von 120 Mrd. $.
Der gerade mal 14% höhere Börsenwert erscheint angesichts des Geschäftsverlaufs erstaunlich gering: Booking setzte im vergangenen Geschäftsjahr 21,37 Mrd. $ um – mehr als das Doppelte von Airbnb. Der Betriebsgewinn auf Stufe Ebitda fällt mit 7,1 Mrd. $ mehr als dreimal höher aus als bei Airbnb. Im laufenden Geschäftsjahr rechnen Analysten mit einer Umsatzsteigerung von noch 8% auf 23,15 Mrd. $ sowie einem Ebitda von 7,9 Mrd. $.
Der Gewinn je Aktie soll gemäss den Schätzungen der Analysten im laufenden Geschäftsjahr um 14% auf 174 $ steigen. Damit ist Booking mit einem KGV von leicht unter 20 bewertet.
Betrachtet man das Verhältnis von Unternehmenswert (Enterprise Value, EV) zu Ebitda, dann bringt Booking für das Geschäftsjahr 2024 eine Bewertung von 15,1 auf die Waage. Airbnb erhält ein EV/Ebitda-Multiple von 24,1. Der Free Cashflow Yield (freier Cashflow in Prozent des Unternehmenswerts) von Booking beträgt derzeit 5,8%, derjenige von Airbnb beläuft sich auf knapp 4%.
Nach all diesen Bewertungsmassstäben ist Booking also mit einem signifikanten Abschlag gegenüber Airbnb bewertet.
Wie ist der Discount zu erklären? Vielleicht mit der Unternehmenshistorie und der unterschiedlichen Imagewahrnehmung. Die Firmengeschichte von Booking führt zurück in die ersten Stunden der Internet-Ära. 1996 wurde ein Start-up namens Priceline gegründet, das nach dem «Name your Price»-Prinzip Reisende und Urlaubsanbieter zusammenbrachte. Priceline war neben AOL, Amazon, eBay und Yahoo einer der fünf populärsten Internetkonzerne, für die auf dem Gipfel der ersten Dotcom-Euphorie Ende 1999 eine Marktkapitalisierung im zweistelligen Milliardenbereich bezahlt wurde.
Booking: die «Amazon des Reisens»
Fünf Jahre nach dem Platzen der Internetblase, 2005, erwarb Priceline für nur 133 Mio. $ das aufstrebende niederländische Buchungsportal Booking, das sich immer mehr zum Rivalen der damals führenden Online-Reiseplattform Expedia entwickelte. Es war keine Ausnahme: Priceline avancierte durch immer neue Zukäufe zum Rundum-Reiseanbieter. 2007 übernahm der Konzern die asiatische Online-Hotelbuchungsplattform Agoda. In den Jahren danach folgten TravelJigsaw (später in Rentalcars.com umbenannt), Kayak, eine Suchmaschine für Flüge und Hotels, die Restaurant-Reservationsplattform OpenTable sowie die Billigflugportale Momondo und Cheapflights.
Heute gibt es bei Booking rund um das Thema Reisen fast nichts mehr, was es nicht gibt: Unterkünfte (Hotels oder Apartments), Flugtickets, Mietwagen und Restaurantreservierungen. CEO Glenn Fogel betont immer wieder den datengetriebenen All-in-one-Ansatz seiner Plattform, die Booking durchaus als «Amazon des Reisens» erscheinen lässt: «Urlauber wollen nur eine Plattform für die ganze Reise», sagte der 61-Jährige in einem Interview.
Was die Kapitalrendite (Return on Invested Capital, ROIC) betrifft, leistet Booking gute Arbeit. Mit Ausnahme des ersten Pandemiejahres 2020 – ein annus horribilis für die Reiseindustrie – erreichte der Konzern stets Kapitalrenditen im deutlich zweistelligen Bereich.
Dass Wallstreet den Branchenprimus trotzdem mit einem deutlichen Abschlag zu Airbnb handelt, mag am glänzenderen Image des Herausforderers liegen, der wie eine Boutique-artige Version der Reisens daherkommt. «Airbnb ist die stärkste Hospitality-Marke in der modernen Geschichte», findet etwa Marketing-Guru Scott Galloway, der den digitalen Zimmervermittler seit dem IPO lobt.
Galloway weist darauf hin, dass 70% des Website-Traffics des Unternehmens aus direkten, organischen Besuchen stammen – im Vergleich zu 40% bei Marriott und Expedia. Entsprechend weise Airbnb doppelt so hohe Nettomargen wie die Branchenkonkurrenz auf, rechnet Galloway vor. Das stimmt allerdings nur im Sommerquartal (Juli bis September), in dem die Kalifornier regelmässig eine Traum-Nettomarge von über 40% einfahren.
Angesichts der erst kurzen Lebensdauer als kotiertes (und profitables) Unternehmen lassen sich aus den Kapitalrenditen von Airbnb noch kaum aussagekräftige Schlüsse ziehen. 2022 betrug der ROIC 22,7%, im Geschäftsjahr 2023 waren es 47,1% – verglichen mit 32,1% für Booking.
Airbnb mittel- und langfristig immer noch teuer
Reicht das, um die gegenwärtige Bewertung zu rechtfertigen? Zumindest kurzfristig scheint Wallstreet der Meinung zu sein. In einem Umfeld, in dem grosszügig mit hohen Bewertungen für Wachstumsunternehmen umgegangen wird, geniesst Airbnb ihren Platz an der Sonne. Die Aktie hat seit Jahresbeginn 21% zugelegt und notiert auf dem höchsten Niveau seit knapp zwei Jahren. Neue Aktienrückkäufe in Höhe von 6 Mrd. $ sorgen für Kurspflege. Charttechnisch erscheinen die Vorzeichen durchaus günstig: Gelingt der Ausbruch über 175 $, läge das Allzeithoch von über 200 $ in Reichweite – angesichts der sportlichen Bewertung allerdings ein Gedanke im Konjunktiv.
Booking dagegen leidet unter dem Blues eines Vielbuchers: Irgendwann ist die Luft draussen. Das erst im Februar aufgestellte Allzeithoch von 3900 $ ist nach der jüngsten Quartalsbilanz mit einem Kursrutsch von 10% derzeit etwas entfernt. Gerade dieser Abschlag könnte sich für Aktionäre aber lohnen, die zudem seit März mit einer Dividendenausschüttung von immerhin 35 $ je Titel (1% Rendite) neue Anreize erhalten.
Für nüchterne Anleger dürfte die Wahl zwischen den beiden Aktien daher durchaus ähnlich wie bei der Buchung einer Unterkunft ausfallen: Man fühlt sich vom Charme Airbnbs angezogen, wünscht sich, etwas zu finden – und ist am Ende doch enttäuscht. Etwas desillusioniert landet man so bei Booking und wählt die preiswerte Option: Das gilt an der Börse wie im Urlaub.