Freitag, August 22

Regelmässig nutzen politische Aktivisten die grossen Kulturfestivals für Kundgebungen, diesmal an den Salzburger Festspielen. Aber wen wollen sie mit dieser Form des Protests eigentlich erreichen?

Man hatte sie insgeheim erwartet. Und tatsächlich: Auch in diesem Sommer haben politische Aktivisten versucht, die Bühnen international beachteter Kulturfestivals für ihre Zwecke zu nutzen. Vergleichsweise harmlos ging es bei den Wagner-Festspielen in Bayreuth zu. Dort gehören Kundgebungen seit Jahren zum Erscheinungsbild, sie begleiten am Eröffnungstag regelmässig die sogenannte Auffahrt der geladenen Gäste.

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Zumeist postieren sich die Protestierenden dazu am Fusse des Festspielhügels, knapp ausserhalb der Sicherheitsabsperrungen, die von Jahr zu Jahr martialischer wirken. Dort hoffen sie, mit Parolen wie «Die Reichen klatschen, und die Armen zahlen» zu den anreisenden Vertretern aus Politik und Gesellschaft vorzudringen. Ob sie von der diesmal nahezu vollständig versammelten deutschen Staatsspitze wahrgenommen wurden, ist fraglich. Doch das Ganze läuft in der Regel friedlich ab – kein Vergleich mit den Krawallen, die früher etwa am Tag der Saisoneröffnung rund um die Mailänder Scala tobten. In Bayreuth hat manch ein Besucher die bunte, unter anderem mit Regenbogenflaggen geschmückte Truppe womöglich für einen Teil irgendeiner Inszenierung gehalten.

Weniger harmlos erschien das, was die Salzburger Festspiele bei ihrer Eröffnung diesen Sommer erlebten. Hier störte eine Gruppe von propalästinensischen Aktivisten den Festakt in der Felsenreitschule. Sie unterbrachen eine Ansprache des österreichischen Vizekanzlers und Kulturministers Andreas Babler, indem sie drei meterlange Banner mit Parolen von den Arkaden herab entrollten und die Anwesenden unter anderem als «Scheiss-Heuchler» beschimpften.

Kunst trifft auf Wirklichkeit

Die Aktivisten hatten sich mithilfe gefälschter Mitarbeiterausweise Zutritt zu den Festspielhäusern verschafft. Erst nachdem das Sicherheitspersonal die Eindringlinge kreuz und quer durch die historischen Arkaden verfolgt hatte, wurde dem minutenlangen Spuk ein Ende gemacht. Der Vorfall bescherte den Festspielen und den Verantwortlichen beim Bundesland Salzburg, die möglicherweise eine Warnung des Verfassungsschutzes nicht ernst genug genommen hatten, umgehend eine Diskussion um Fragen der Sicherheit.

Denn auch bei dieser Veranstaltung waren hochrangige Vertreter des Staates anwesend, einschliesslich des österreichischen Bundespräsidenten, und einige Staatsgäste. Nicht auszudenken, wenn sich der Protest nicht auf das Entrollen und Schreien von Parolen beschränkt hätte. Umgehend wurden die Sicherheitsmassnahmen nochmals verschärft. Neben Taschen- und Ausweiskontrollen für alle Besucher gab es zusätzliche Security-Mitarbeiter an den Einlässen, dem Vernehmen nach auch weiteres Personal in Zivil in den Veranstaltungen selbst sowie eine sichtlich erhöhte Präsenz der Polizei im Festspielbezirk.

Die Festspiele bringt der Vorfall in eine unangenehme Lage. Nicht nur wegen der unbequemen, aber nötigen Fragen nach Lücken in ihrem Sicherheitskonzept. Vielmehr stellen die Vorgänge ein Grundanliegen aller Kulturfestivals infrage: nämlich, ein Podium zu bieten für einen offenen Austausch über Fragen der Kunst und der Gegenwart.

Dass solche Debatten gelegentlich kontrovers, aber grundsätzlich in einem zivilisierten Rahmen ablaufen, war lange Konsens. Doch dieses Anliegen kollidiert hart mit der Realität, sobald der Konsens durch Aktivismus aufgekündigt wird. Die Veranstalter stehen dann vor einem Dilemma: Einerseits betonen sie bei jeder Gelegenheit, dass sie mit ihren Programmen Themen der Zeit aufgreifen und dabei auch Auseinandersetzungen nicht aus dem Weg gehen wollten. Andererseits bleibt ihnen in konkreten Fällen meist nur der Ausweg, vom Hausrecht Gebrauch zu machen und die Protestierenden aus den Veranstaltungsräumen entfernen zu lassen.

«Raum für Protest»

Sie können sich dabei allerdings der Zustimmung einer Mehrheit der Besucher sicher fühlen, die nicht bereit sind, sich auf diese Weise überrumpeln und durch Geschrei von der Bühne herab belehren zu lassen. Zudem lassen die angespannte Situation und die Umstände in der Regel keine weiteren Diskussionen zu, von einem «Diskurs» über die politischen Inhalte ganz zu schweigen.

Immerhin nahmen bei der Salzburger Veranstaltung alle folgenden Redner direkt oder indirekt Bezug auf den Vorfall, etwa Alexander Van der Bellen, der Bundespräsident. Er versuchte mit einem Hinweis auf das Massaker der Hamas vom 7. Oktober die einseitige Stossrichtung der Protestaktion geradezurücken. Andreas Babler bot den Aktivisten sogar spontan an (und wiederholte diese Einladung später via Social Media), «gemeinsam politisch zu diskutieren» und die Situation in Gaza «zu erörtern». Kunst und Kultur müssten «Raum für Protest und Widerstand bieten». Allerdings blieb es vorerst bei dem fraglos demokratisch gemeinten Angebot.

Mit gutem Grund. Vermutlich dürfte dem Politiker nämlich rasch klar geworden sein, dass damit ein unguter Präzedenzfall geschaffen würde. Denn es geht in solchen Fällen nicht ums «Erörtern», geschweige denn um Kunst. Es geht allein um Aufmerksamkeit. Für diesen und keinen anderen Zweck werden die Bühnen der Hochkultur gekapert und missbraucht. Das Ziel, auf solche Weise zumindest kurzzeitig ins Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit zu treten, dürften die Salzburger Aktivisten denn auch erreicht haben, blickt man allein auf die Debatten, die noch Tage nach dem Vorfall in österreichischen Medien geführt wurden.

Hört jemand zu?

Mit dem Anliegen der Aktivisten wollte sich konkret jedoch niemand auseinandersetzen. Das ist fast immer so bei derartigen Störaktionen. Krawall dürfte kaum jemanden dazu inspirieren, die eigenen politischen Positionen zu überdenken. Mehr noch: Die Mischung aus Gleichgültigkeit und offen artikulierter Ablehnung, die den Protestierenden in solchen Fällen aus den Reihen der Anwesenden entgegenschlägt, lässt diese Form des Protests selbst hilflos wirken, manchmal sogar wie ein absurdes Schauspiel.

Den Eindruck konnte man ähnlich schon 2023 am Lucerne Festival gewinnen, als zwei Klimaaktivisten bei einem Konzert des Bayerischen Staatsorchesters die Bühne im KKL stürmten. Geistesgegenwärtig handelte der Dirigent mit den beiden Störern eine Art Stillhalteabkommen aus: Sie durften ihre Forderungen vortragen, danach sollte das Konzert ohne weitere Interventionen fortgesetzt werden. So geschah es. Aber dass irgendjemand sich ernsthaft auf die Forderungen eingelassen hätte, ist zu bezweifeln. Wenn Politik und Kulturwelt in der Weise aufeinanderprallen, gibt es keinen Erkenntnisgewinn, bloss Verdruss.

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