Mittwoch, Oktober 9

Der Ausnahmeschauspieler wusste sich sein Publikum auch über seine Kinokarriere hinaus zu bewahren. Nun ist der Schweizer Bürger im Alter von 88 Jahren verstorben.

Eine Antwort auf die Fragen, die seine Figuren aufwarfen, suchte man auf Alain Delons Zügen meist vergebens. Selbst sein Blick bot kaum Halt. Je nach Rolle konnte sein Ausdruck abrupt von warmer Empathie auf Distanz übergehen, zwischen verträumter Abwesenheit und Leichtigkeit oszillieren. In «Plein soleil», René Cléments Verfilmung von Patricia Highsmiths «The Talented Mr. Ripley», machte die samtweiche Mimik, mit der Tom Ripley seine Morde beging, seine Verbrechen zum moralischen Skandal.

Auf das Rätselhafte, das der Ausstrahlung des Schauspielers anhaftete, hatte später auch Jean-Pierre Melville gesetzt: In «Le samouraï» war es die trübe Undurchdringlichkeit seiner Augen, die dem Auftragskiller seine paradoxale Tiefe verlieh.

Visconti setzte voll auf seine Ambivalenz

Kein Regisseur jedoch hatte das Ambivalente seines Schauspiels so präzis einzusetzen gewusst wie Luchino Visconti. In «Rocco e suoi fratelli», vage inspiriert von Thomas Manns Joseph-Roman (aber vermutlich ebenso geprägt von Dostojewskis «Die Brüder Karamasow»), spielte Delon die tragische Figur eines melancholischen Boxers, der in den Ring steigt, um die Schuld des älteren Bruders zu sühnen und dabei seine Familie zerstört.

Für seine Verfilmung von Lampedusas «Il Gattopardo» castete ihn Visconti für die Rolle von Tancredi Falconeri, der sich nach der Invasion von Sizilien den Truppen Garibaldis anschliesst, da sich, wie er seinem Onkel, dem Fürsten von Salina, in seiner berühmten Formulierung erklärt, «alles ändern muss, wenn man will, dass alles bleibt».

In der Folge wollte Visconti Delon auch die Hauptrolle in seiner Adaptation von Albert Camus’ «L’étranger» anvertrauen. Dino de Laurentiis, der Produzent, hatte für den Part Meursaults jedoch Mastroianni durchgesetzt, ein Fehlentscheid, der nicht nur dem Profil der Figur widerlief, sondern auch Delon von einem Projekt entfernte, das seiner Karriere vermutlich eine entscheidende Prägung verliehen hätte.

Natürlich war es nicht nur sein Spiel, sondern auch sein aussergewöhnlich gutes Aussehen, das ihm die Aufmerksamkeit des Publikums aller Kontinente sicherte. Delon war in Japan ebenso populär wie in Russland und in Lateinamerika (in Brasilien brachte es ein Fussballer namens Allan Dellon Santos Dantas zeitweise in die erste Liga).

Dass ihm Hollywood nach einer vermutlich für beide Seiten enttäuschenden Zusammenarbeit die kalte Schulter zeigte, schien er verkraften zu können: Als er 1967 — für «Les aventuriers» unter der Regie von Robert Enrico — nach Frankreich zurückkehrte, war er nicht nur ein Weltstar, er hatte auch Filme gedreht, die Weltformat besitzen, und dies, obwohl ihn weder seine Herkunft noch seine Jugend dazu prädestiniert hatten.

Geboren wurde Delon am 8. November 1935 in Sceaux, einer südlich von Paris gelegenen Vorstadt. Nach der Scheidung seiner Eltern verbrachte er seine Schulzeit in diversen Internaten, mit vierzehn Jahren arbeitete er in der Metzgerei seines Stiefvaters. Mit siebzehn trat er der Marine bei, ab 1954 diente der im damaligen Indochina, wo er wegen Indisziplin allerdings insgesamt acht Monate in Haft verbringen sollte. Nach seiner Demobilisierung schlug er sich mit Gelegenheitsjobs als Kellner im Pigalle-Viertel und als Hilfskraft in den städtischen Markthallen durch, 1957 debütierte er neben Bernard Blier und Edwige Feuillère in Yves Allégrets «Quand la femme s’en mêle».

Fünf Jahre später hatte er neben Clément und Visconti bereits mit Antonioni («L’eclisse») gearbeitet, 1963 folgte «Mélodie au sous-sol», ein Film noir von Henri Verneuil, in dem er im Kielwasser Jean Gabins auftrat — dieser war vermutlich auch der einzige französische Schauspieler, dessen Leinwandpräsenz und Ruhm Delons öffentliche Wirkung damals noch überstrahlen konnte. 1969 spielte er zusammen mit Romy Schneider ein eifersuchtsgeprüftes Paar in «La Piscine» von Jacques Deray, 1970 drehte er (an der Seite Jean-Paul Belmondos, dem anderen Shootingstar der sechziger Jahre) in Derays klassizistischem Gangsterfilm «Borsalino».

Die Linie, an der Gewissheiten verschwinden

In den siebziger Jahren schwangen in Delons Filmografie neben den Werken Melvilles («Le cercle rouge» und «Un flic») die Produktionen Joseph Loseys oben aus — insbesondere «Mr. Klein», der die Pariser Arrangements mit der deutschen Besetzung in beklemmende Bilder fasste.

Der Gratlinie, an der die Konturen und Gewissheiten verschwimmen, hatte sich Delon zuletzt mit stupender Eleganz in «Nouvelle Vague» (1990) von Jean-Luc Godard genähert. Gedreht wurde diese klang- und farbintensive Variation über einen Fall und die darauffolgende Auferstehung eines Mannes in einem von Grünflächen umgebenen Herrschaftssitz am Ufer des Genfersees, nicht weit von der Gemeinde Chêne-Bougerie entfernt, in der Delon auch seinen Wohnsitz besass.

Zu Beginn dieses Jahrhunderts trat er vor allem noch in französischen Fernsehserien in Erscheinung. 2007 liess er einen Teil seiner Besitztümer versteigern — seine Wein- und Waffensammlung (darunter die Winchester aus «Wanted: Dead or Alive», die ihm Steve McQueen geschenkt hatte) sowie eine stilsichere Kunstkollektion, die mehrere Werke der französischen Moderne und der Avantgarde der 1950er Jahre umfasste. 2019 konnte er für seine Karriere am Festival von Cannes eine «Palme d’honneur» entgegennehmen, im selben Jahr erlitt er jedoch auch einen doppelten Schlaganfall, der seinen Hang zum Pessimismus vermutlich verstärkte.

Als Schweizer Bürger — seit 1999 besass er den roten Pass — wurde er zum dezidierten Fürsprecher des assistierten Suizids; 2022, als sein Sohn Anthony in einem Interview bestätigte, sein Vater habe ihn geben, ihm zum gegebenen Zeitpunkt «beizustehen», wurden die Gerüchte um einen imminenten Freitod lauter.

Bis in seine letzten Jahre jedoch nahm er am öffentlichen Leben teil, wobei seine Stellungnahmen meist kontrovers, politisch rechtslastig und sozial konservativ waren. Ein Echo fand er immer: Im französischen Kulturbetrieb war er ein Fixstern geblieben, ein Ausnahmeschauspieler, der sich sein Publikum auch über seine Kinokarriere hinaus zu bewahren wusste. 88-jährig ist Alain Delon nun im Kreis der drei Kinder und seiner Familie in seinem Haus in Douchy südlich von Paris verstorben.

Exit mobile version