Montag, Oktober 7

Für den Philosophen Pascal Bruckner war Alain Delon eine tragische Gestalt. Seine teuflische Schönheit, die Männer und Frauen verwirrte, sei sein Fluch gewesen.

Manchmal sah man seine melancholische Silhouette abends auf den Strassen von Paris, in einen Regenmantel oder Trenchcoat gehüllt, wie der Held aus «Mr. Klein» oder Melvilles «Le cercle rouge». In den Gesichtern der Passanten hielt er nach einem Zeichen der Anerkennung Ausschau, um sich zu vergewissern, dass er noch immer der aussergewöhnliche Zeitgenosse war, den Frankreich verehrt hatte. Seine teuflische Schönheit, die Männer und Frauen gleichermassen verwirrte, war sein Aushängeschild und sein Fluch zugleich.

Als er 50 Jahre alt war, erlebte er, was Marlene Dietrich erlebt hatte oder Greta Garbo, die sich mit 36 in ihre Villa in Hollywood zurückzog und Interviews und Begegnungen mit der Aussenwelt ablehnte. Das Verschwinden oder Nachlassen seiner körperlichen Pracht war eine Tragödie, die ihn mehr als andere traf, da sie auch mit dem Niedergang seines Rufs einherging.

Auf diesen Niedergang reagierte er mit Bitterkeit und Denunziation: «Ich hasse die heutige Zeit, ich bin krank von ihr. Das Leben zieht mich nicht mehr an. Ich habe alles gesehen, alles erlebt. Ständig sehe ich abscheuliche Kreaturen. Alles ist falsch, alles wird ersetzt (. . .) Ich weiss, dass ich diese Welt verlassen werde, ohne traurig zu sein.»

Er lebte in einem Mausoleum

Die Besucher beschreiben einen Mann, der seit langem in einem Mausoleum mit seinen geliebten Verstorbenen lebte, von Jean Gabin bis Romy Schneider, Lino Ventura, René Clément und Jean-Pierre Melville. Doch der Verstorbene, dem er mit heroischer Beständigkeit huldigte, war er selbst: Das Gesicht des Jungstars blickte von den Wänden seiner Wohnungen, und so kam es, dass er sich angewöhnte, von sich selbst in der dritten Person Singular zu sprechen. Wie sollte er sich selbst überleben? Das grosse Raubtier hatte nur eine Schwäche: Es konnte diese Frage nicht beantworten.

2012 warb Dior für das Parfum «Eau Sauvage» mit einem Bild von Delon aus dem Jahr 1966, auf dem die Zigarette entfernt worden war. Einige Monate lang war das rätselhafte und beunruhigende Gesicht des Schauspielers wieder an allen Wänden Frankreichs zu sehen, während der echte Delon dem unerbittlichen Gesetz der Zeit unterlag.

Von Anfang an war Delon mit seiner Figur des bösen Erzengels Gegenstand der Legenden: Man sagte ihm nach, er sei ein Gigolo für Männer und Frauen, ein Liebhaber von Luchino Visconti, was er jedoch stets bestritt. Er verkörperte das Aristokratische unserer französischen Regime, er stand für die körperliche Perfektion und die erlaubte Unmoral.

Der rätselhafte Ephebe verlebte eine abgründige Kindheit in der Nähe von Paris, mit 15 Jahren erwarb er sogar einen Fähigkeitsausweis in einer Metzgerei in Bourg-la-Reine. Danach ging er zur Armee, drei Jahre lang als gewöhnlicher Soldat in Indochina, wo er wegen Diebstahls von Militärmaterial im Gefängnis sass.

Fasziniert von Viscontis Koffer

1957 ging er nach Cannes, wurde von einem Agenten für schöne Kinder, Harry Wilson, entdeckt, drehte einige kleinere Filme, um sich einen Namen zu machen, und lernte 1959 Luchino Visconti kennen. Laut einem gemeinen Gerücht war Delon von den Koffern des Meisters mit dem LV-Siegel fasziniert, da er davon überzeugt war, dass der Regisseur mit Gepäckstücken mit seinen Initialen reiste, obwohl es sich dabei lediglich um das Louis-Vuitton-Logo handelte.

Im Gegensatz zu Gérard Philippe vor ihm, der den romantischen Jungstar verkörperte, strahlte Delon von Beginn weg etwas Beunruhigtes aus, wie der Held in René Cléments «Plein soleil».

Die Figur des toxischen Verführers sollte er nicht mehr loswerden, und sie wurde sogar zu seinem Markenzeichen: Bis zum Schluss verkörperte er die teuflische Ambivalenz eines Irrlichts, das die Grenzen von Gut und Böse verwischen kann. Er hängte sich an ein Starlet nach dem anderen, drehte «Rocco et ses frères» und vor allem «Il gattopardo» (1963), den Film, der ihm an der Seite von Burt Lancaster und Claudia Cardinale zum Triumph verhalf.

Er war erst 29 Jahre alt, als Henri Langlois, der Direktor der Cinémathèque, eine Retrospektive für ihn organisierte. Das ist viel zu früh. Wie soll man seiner Legende gerecht werden, wenn man nicht ein Rimbaud ist, der irgendwo in Afrika zu verschwinden imstande war? Delons ganze Tragik, seine späteren Positionen, sein Machismo, seine Faszination für die Unterwelt und deren Eindringlinge rühren von diesem Ruhm her, der ihn am frühen Scheitelpunkt des Lebens ereilte: Mit weniger als dreissig Jahren die Welt zu seinen Füssen zu haben, ist ein vergiftetes Geschenk.

Ein weiterer grosser Erfolg war Jean-Pierre Melvilles «Le samouraï» 1967, eine Geschichte über einen einsamen Killer am Rande der Schizophrenie, die Delons Ruhm in Japan begründete (er signierte sogar Krawatten mit seinem Namen!). Körperliche Pracht ohne Zweideutigkeit hat noch nie ausgereicht, um eine Karriere zu machen: Sein Sohn Anthony, ebenfalls ein Schönling, blieb nur ein einfacher Erbe.

Der Mord am Leibwächter

Der Mai 1968 und sein fürsorglicher Anarchismus sollten Delon verärgern, denn er liebte die Männerfreundschaften und Ehrenkodizes. Aber vor allem kam kurz darauf der Fall Stevan Markovic auf: Sein ehemaliger Leibwächter, Titos Geheimagent, ein Betrüger, Erpresser sowie angeblicher Liebhaber von Nathalie Delon, wird tot auf einer Müllkippe aufgefunden, nach einem Schuss in den Hinterkopf. Mehrere Briefe beschuldigen Alain Delon und François Marcantoni, einen korsischen Gangster der alten Schule. Die Ermittlungen konzentrieren sich auf den Premierminister Georges Pompidou und seine Frau Claude; gefälschte Fotos behaupten, sie habe sich an allzu ausschweifenden Party beteiligt.

Die Affäre belastet die Beziehungen zwischen Pompidou und General de Gaulle nachhaltig und entpuppt sich als eine Abrechnung innerhalb des gaullistischen Lagers. Der Schauspieler wird zwar freigesprochen, haften bleibt jedoch ein zweifelhafter Ruf. Er wird Besitzer eines Pferdestalls, kauft Boxklubs, sammelt Zeichnungen und Radierungen von Dürer bis Géricault und dreht eine Reihe von Filmen als Polizist und Ganove, bis er 1976 seine Hauptrolle in Joseph Loseys «Mr. Klein» spielt, den er mitfinanziert. Die Geschichte eines Schwarzmarkthändlers, der durch blosse Namensgleichheit in die Deportationsmaschinerie der Nazis in Drancy gerät, gibt Alain Delon etwas Tragisches, zumal seine Figur weder Sympathie noch Feindseligkeit gegenüber der Judenfrage zeigt.

Zu dieser langen Filmografie, die auch Volker Schlöndorffs «Un amour de Swann» (1984) umfasst, muss man noch seine bizarre Beteiligung an einem der grössten Flops des französischen Kinos hinzufügen, Bernard-Henri Lévys «Le jour et la nuit» mit Arielle Dombasle von 1996. Seither ist das «monstre sacré» schreckhaft geworden, auch wenn es 2019 bei den Filmfestspielen von Cannes eine wohlverdiente Ehrenpalme erhält.

Unterstützung für die Ukraine

Robert Musil merkt in einem Vortrag in Wien 1937 an, dass eine Reihe von künstlerischen Berufen in den Individuen einen grenzenlosen Narzissmus entwickelt, der den gewöhnlichen Sterblichen verboten ist. Unbescheidenheit ist ihnen aufgrund ihrer Position erlaubt. Sie dürfen Provokationen aussenden und ihr Ego grenzenlos ausdehnen: Alain Delons Stellungnahmen zu Frauen und Homosexuellen konnte man für fragwürdig halten, er war ein Freund des Front-national-Gründers Jean-Marie Le Pen und 2014 aktiv an der Kampagne gegen die Legalisierung der Ehe für alle beteiligt. Aber er hat auch immer General de Gaulle verteidigt, den Algerienkrieg kritisiert und die Ukraine gegen Putin unterstützt.

Ist die Hetzkampagne gerechtfertigt, der er in einer bestimmten Presse ausgesetzt war? Den Gipfel der Verleumdung erreichte die Tageszeitung «Libération», die am Tag nach seinem Tod erklärte: «Er war die reine Phantasie aller Reaktionären Frankreichs, ihr eigener Clint Eastwood (. . .), ein Macho, ein Wilder, ein eiserner Individualist, aber über allem ein Patriot.»

Abgesehen von diesen Polemiken bleibt Delon ein unvergleichlicher Stern in der französischen Kinolandschaft. Obwohl er sich nie davon erholt hat, dass er so jung so hoch aufgestiegen ist, bevor er den üblichen Schandtaten des Alterns unterworfen wurde, ist er laut allen persönlichen Berichten ein aufmerksamer, charmanter und höflicher Mensch geblieben.

Es spielte keine Rolle, dass er die letzten Jahre in seinem riesigen Schloss verbrachte, allein inmitten seiner Hunde und der Überbleibsel seines früheren Ruhmes, belastet von den Erbstreitigkeiten zwischen seinen Kindern und trotz der Liebe seiner Tochter Anuschka. Er, der sein ganzes Leben lang Schauspieler und nicht Komiker sein wollte, fand im Tod nicht die Vollendung, sondern die Krönung einer unglaublichen Karriere, deren immensen Reichtum wir gerade erst wiederentdecken.

Der Schriftsteller und Philosoph Pascal Bruckner lebt in Paris. – Aus dem Französischen übersetzt von sca.

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