Dienstag, November 26

Im Fussballland Schweiz war man lange stolz auf die Ausbildung, doch das Nachwuchs-Fundament bröckelt. Was nun?

Wenn etwas richtig schiefläuft in der Schweiz, gibt es immer noch die gute alte Task-Force. Sie wird dann eilig einberufen. Wer hierzulande nach ihr ruft, der ruft auch mit maximaler Lautstärke, dass jetzt wirklich etwas passieren muss.

Im vorliegenden Fall heisst dieser Mann Patrick Bruggmann. Am kommenden Freitag wird er sich für eine Task-Force einsetzen, an der Sitzung des Zentralvorstands, dem obersten Gremium des Schweizerischen Fussballverbands SFV. Es geht ihm um die Zukunft des hiesigen Fussballs, nicht mehr und nicht weniger.

Bruggmann ist Direktor Fussballentwicklung beim SFV, und er hat ein grosses Erbe zu pflegen: das des Fussballlandes Schweiz. Bei zehn der letzten elf EM und WM war die Schweiz dabei; seit 2014 hat sie jedes Mal die Gruppenphase überstanden.

Es ist für ein kleines Land eine erstaunliche Bilanz. An eine Task-Force hat in den letzten Jahren nie jemand gedacht, wenn es um den Schweizer Fussball ging. Schon gar nicht im Sommer, als die Schweiz an der EM in Deutschland am Halbfinal vorbeischrammte.

Aber nun sagt Bruggmann Sätze wie jenen, dass «der Schweizer Weg in Gefahr» sei. Dass der Moment gekommen sei, zu handeln, «und zwar jetzt, weil wir keine Zeit mehr verlieren dürfen». Darum die Task-Force, und zwar zum Thema Nachwuchsarbeit. Sie gilt als Fundament für die Erfolge der letzten Jahre. Aber gerade mehren sich die Zeichen, dass dieses Fundament bröckelt.

Warten auf das nächste Ausnahmetalent

Da ist das Out der U-21- und U-19-Fussballer in der EM-Qualifikation, hinter Ländern wie Rumänien, Tschechien und Finnland.

Da sind weiter: die sinkenden Einsatzminuten von jungen Schweizer Fussballern in den obersten Profiligen. Namentlich in der Super League ist der Trend im langjährigen Vergleich stark rückläufig. Und dann ist da noch eine Studie, die der SFV in Auftrag gegeben hat, um die eigene Nachwuchsarbeit in den letzten zehn Jahren zu messen. Ihre Resultate sind vernichtend.

Die Studie zeigt, dass die Schweiz jüngst deutlich weniger Top-Spieler hervorgebracht hat als vergleichbare Nationen. In Dänemark waren es 24, in Österreich 26, in Belgien gar 47. Und in der Schweiz? 12. Und in der zweiten Hälfte dieser Zehnjahres-Periode? Noch 2, Fabian Rieder und Ardon Jashari.

Und dann ist da das Durchschnittsalter der A-Nationalmannschaft. An der EM im Sommer war die Startelf gegen Schottland 30,3 Jahre alt. Älter war ein Schweizer Nationalteam laut dem Fussballportal Transfermarkt noch nie. Seither hat Nationaltrainer Murat Yakin viel von einem Umbruch gesprochen. Doch auch beim jüngsten Länderspiel gegen Serbien betrug das Durchschnittsalter noch fast 29 Jahre. Und auf ein Ausnahmetalent wie Granit Xhaka oder Xherdan Shaqiri wartet der Schweizer Fussball sowieso schon lange.

Das alles verdichtet sich zu einem ziemlich düsteren Bild. Und führt zur Prognose, dass schwierige Zeiten auf den Schweizer Fussball zukommen. Alarm im Ausbildungsland.

Was ist da passiert? Und was nun?

Als der FC Luzern am Donnerstagabend bei Servette 2:2 spielt, steht Pascal Loretz im Tor, verteidigen vor ihm Luca Jaquez und Severin Ottiger, stürmt ganz vorne Lars Villiger. Sie alle kamen schon als Buben zum Klub. Und haben in den letzten Jahren den Sprung in die erste Mannschaft der Innerschweizer geschafft, wie weitere eigene Talente.

Es ist der Luzerner Weg. Über diesen sagt einer seiner Architekten, Sportchef Remo Meyer, dass er vor allem eines erfordere: Mut. Ein Drittel der Kaderplätze ist beim FC Luzern für eigene Junioren reserviert – komme, was wolle. Meyer berichtet von der Sogwirkung, die das im ganzen Verein erzeuge. Nachwuchstrainer wie Talente sehen den Weg nach oben.

Die SFL-Trophy, die jene Klubs auszeichnet, die jungen Schweizer Fussballern unter 21 Jahren Spielzeit gewähren, dominierte der FC Luzern in den letzten Jahren. In der Saison 2023/24 sammelten seine Talente 14 526 Spielminuten, das waren mehr als dreimal so viel wie in jedem anderen Klub.

Viele setzen auf ausländische Talente

Die hiesigen Profiklubs behaupten gerne, auf den eigenen Nachwuchs zu setzen. Die Swiss Football League schreibt in der Strategie für die Jahre 2023 bis 2027, dass ihre Klubs die Nachwuchsarbeit als wichtigste Tätigkeit sehen.

Doch die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Dort kommt hinter dem FC Luzern zuerst einmal lange nichts. Ohne ihn wäre der Trend noch verheerender. Denn manchenorts spielt der Schweizer Nachwuchs kaum eine Rolle. Während er in Luzern in der laufenden Saison bereits wieder auf 4267 Einsatzminuten kommt, sind es in Sion bisher 32, in St. Gallen 188 und bei Servette 488 Minuten.

Andere Klubs gehören ausländischen Besitzern und zu Netzwerken, die sich im Fussballgeschäft zunehmend ausbreiten und die das nicht tun, um den heimischen Nachwuchs zu fördern: Yverdon, GC, Lugano, Lausanne. Damit verbunden ist der Trend, dass in der Super League vermehrt ausländische Talente ausgebildet werden. Es ist eine Strategie, die der FC Basel schon länger mit einigem Erfolg verfolgt. Zumindest mit Blick auf den Transfermarkt.

Talent erkennen, es kaufen, entwickeln, weiterverkaufen: Es gibt in Basel allein in den letzten zwei Jahren einige Beispiele für dieses Modell, Thierno Barry, Renato Veiga, Andy Diouf sowie mit Dan Ndoye und Zeki Amdouni auch solche mit Schweizer Pass. Sie alle spielten nicht lange im FC Basel, aber sie entwickelten sich dort so, dass sie für Millionensummen ins Ausland verkauft werden konnten.

Das ist gut für die Kasse des FC Basel, aber ist es auch gut für die Spieler aus der hauseigenen Nachwuchsschmiede? Von dort aus eroberten einst Xhaka, Shaqiri, Yann Sommer oder Breel Embolo die Fussballwelt. Derzeit steht ein eigener U-21-Spieler regelmässig in der Basler Startformation: Leon Avdullahu, der Mittelfeldspieler.

Daniel Stucki, der Sportchef des FC Basel, sagt, der eigene Nachwuchs sei für den Klub «extrem wichtig»; er will jedes Jahr einen neuen FCB-Junior in die Startformation integrieren und drei ins Kader. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass im Basler Nachwuchs zunehmend ausländische Talente auftauchen; erst im September hat er seine U-19- und U-21-Teams mit drei verstärkt.

Für solche Transfers hat man beim SFV wenig Verständnis. Daniel Stucki entgegnet, dass er bei der Kaderplanung stets zuerst im eigenen Nachwuchs schaue. Aber man sei der FC Basel, ein grosser Klub mit hohen Ansprüchen. «Wenn wir eigene Junge haben, die gut genug sind, halten wir ihnen den Weg frei und behandeln sie bevorzugt. Aber packen müssen sie die Chancen dann schon selbst», sagt er.

Hierhin gehört die Bemerkung, dass dieser FC Basel mit seiner internationalen Strategie die letzten beiden Saisons hinter dem FC Luzern mit seiner regionalen abschloss und in der laufenden Saison gleich viele Punkte gewonnen hat. Und eine Frage, der sich auch der SFV und Patrick Bruggmann stellen müssen: Fehlt es den Schweizer Talenten gerade an Chancen – oder fehlt es ihnen an Können?

Der Luzerner Sportchef Remo Meyer sagt dazu: «Ohne Einsatzminuten geht es nicht. Wir können die Spieler noch so gut ausbilden – die vollen Stadien, der Druck, das mediale Interesse lässt sich nicht simulieren.» Erst dann zeige sich, ob jemand für die grosse Bühne geschaffen sei.

Bruggmann sagt, dass in Zeiten des Erfolgs immer die Gefahr bestehe, dass man nachlässig werde, sich kritischen Fragen nicht mehr stelle. «Die Erfolge der A-Nationalmannschaft in den letzten Jahren haben uns in Sicherheit gewiegt. Darum ist es wichtig, dass wir jetzt handeln», sagt er.

Er wünscht sich, dass wieder mehr Schweizer Klubs auf den eigenen Nachwuchs setzen, als «strategische Priorität». Nicht nur auf dem Papier, sondern auch auf dem Platz. «Die Studie zeigt, dass wir in der Ausbildung Boden verloren haben. Und dass unsere Talente zu spät Spielpraxis bekommen», sagt Bruggmann.

Aber eben: Was nun?

Der Verband will Nachwuchsarbeit belohnen

Das soll die Task-Force mit Vertretern von Verband, Swiss Football League und externen Beratern klären. Sie sollen sich auf zwei «Handlungsfelder» konzentrieren, sagt Patrick Bruggmann: mehr Spielminuten für den Schweizer Nachwuchs. Und eine bessere individuelle Betreuung der Talente.

Wenn in den letzten Tagen und Wochen über Massnahmen diskutiert wurde, landeten verschiedene Protagonisten, etwa Pierluigi Tami, der Direktor der Nationalmannschaften, rasch einmal bei der Challenge League. Sie soll von 10 auf 12, 14, gar 20 Teams aufgestockt werden – und damit mehr Platz für junge Schweizer bereitstellen.

Doch reicht das? Braucht es nicht mehr Einsatzminuten in der Super League? Gab es das nicht schon einmal, eine grössere Challenge League? Und welche Klubs drängen sich für sie auf? Bei Claudius Schäfer, dem CEO der Swiss Football League SFL, klingt bezüglich einer grösseren Aufstockung eine gewisse Skepsis an. Er betont, man dürfe die Vergangenheit nicht vergessen. Und keine Schnellschüsse produzieren. Sondern eine umfassende Analyse machen.

Die Schweiz ist ein Land der Task-Forces. Und sie ist auch ein Land, in dem man lieber auf Anreize als auf Regeln setzt. Das Wort ist gerade oft zu hören, auch aus dem Mund von Patrick Bruggmann.

Schon heute versuchen Verband und SFL, die Klubs mit Geld dazu zu bringen, auf junge Schweizer zu setzen. In der Super League winken dem Sieger der Nachwuchs-Trophy 250 000 Franken. Der Grossteil der Fördermittel, eine Million Franken, fliesst in die Challenge League, wo Klubs Prämien erhalten, wenn sie eine gewisse Anzahl Minuten für Schweizer U-21-Spieler erreichen.

Patrick Bruggmann weiss, dass eine Weiterentwicklung des Anreizsystems bei den Klubs die besten Chancen hat. Und er weiss auch, dass es mehr Geld braucht, damit wirklich Anreize entstehen. Ihm schwebt eine Art Bonus-Malus-System vor. Klubs sollen entscheiden können, ob sie auf junge Schweizer Spieler setzen wollen oder nicht. Wenn sie es nicht tun, müssen sie einen Malus in einen Topf einzahlen. Das Geld darin wird dann an jene Klubs umverteilt, die Nachwuchsförderung betreiben.

«So lassen wir den Klubs eine Wahl, aber wenn sie nicht ausbilden wollen, müssen die Konsequenzen spürbar sein», sagt Bruggmann. Er hofft, dass die Task-Force rasch ans Werk gehen und bald Vorschläge präsentieren kann. Auf den Schweizer Fussball, so viel steht fest, warten komplizierte Diskussionen.

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