Montag, September 30

Die Justizdirektorin Jacqueline Fehr (SP) hatte dem Alba-Festival aus zweifelhaften Gründen sehr kurzfristig die Bewilligung entzogen.

Es mutet sehr mittelalterlich an, einer bestimmten Volksgruppe aufgrund ihrer Herkunft die Verantwortung für die Verbreitung einer ansteckenden Krankheit in die Schuhe zu schieben. Doch genau das tat die Zürcher Kantonsregierung während der Corona-Pandemie mit den Albanern.

Im September 2021 verbot die Zürcher Justizdirektorin Jacqueline Fehr (SP) nur zwei Tage vor Beginn ein grosses albanisches Open-Air mit rund 20 000 Besuchern, das Alba-Festival. Dies, obwohl die Organisatoren ein umfangreiches Sicherheitskonzept vorgelegt und noch Ende Juli eine Bewilligung des Kantons erhalten hatten.

Die Justizdirektion begründete die drastische Massnahme damals damit, dass Rückkehrer aus den Ferien auf dem Balkan überdurchschnittlich mit Corona infiziert seien. Ausserdem sei die Impfquote unter den Albanern zu tief, um eine Grossveranstaltung verantworten zu können. Es bestehe «ein erhöhtes Ansteckungsrisiko in dieser Bevölkerungsgruppe», schrieb die Regierung damals.

Andere Anlässe, die am genau gleichen Wochenende stattfanden, wurden allerdings nicht abgesagt. So durfte die Zurich Pride, ein Umzug der LGBT-Gemeinschaft, ohne besondere Einschränkungen durchgeführt werden, obwohl auch dort über 20 000 Personen Schulter an Schulter standen und feierten.

In Richterswil, einer Landgemeinde am Zürichsee, durften 5000 Musikfreunde für ein Open Air zusammenkommen. Auch das Lokalderby zwischen dem FC Zürich und GC am 21. August und das Leichtathletik-Meeting Weltklasse Zürich am 9. September waren nicht verboten worden.

Nur die Albaner durften nicht feiern.

Und das, urteilt nun das Zürcher Verwaltungsgericht, war ein klarer Verstoss gegen das Diskriminierungsverbot der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Interessant ist dabei insbesondere der Vergleich mit der Pride. Der Regierungsrat begründete die Bewilligung für den Umzug der LGBT-Gemeinschaft damit, dass es sich dabei um eine politische Veranstaltung gehandelt habe, welche durch die Meinungs- und Versammlungsfreiheit auch während der Pandemie besonders geschützt gewesen sei. Ausserdem sei die Durchmischung der Teilnehmer bei einem Umzug geringer als bei einem Musikfestival.

Aus der Sicht des Gerichts ist diese Differenzierung aber nicht zulässig. Es beruft sich dabei auf ein Urteil des Bundesgerichts, wonach aus rein epidemiologischer Sicht Menschenansammlungen mit vergleichbarem Ansteckungsrisiko gleich zu behandeln sind. Somit sei die Pride sehr wohl mit dem Alba-Festival vergleichbar gewesen, auch wenn sie eine politische Veranstaltung sei.

Gefallen lassen muss sich die Regierung weiter die Frage, warum sie die Fussballspiele und das Leichtathletik-Meeting zugelassen habe. Die Regierung sagte dazu, dass die Zuschauer dort auf Sitzen gesessen seien, was das Ansteckungsrisiko verkleinert habe. Das, sagt das Verwaltungsgericht, stimme aber nur zum Teil. Die Stehplätze der Südkurve des Letzigrundstadions seien mit Tausenden von Zuschauern dicht gefüllt gewesen.

Es fehlten statistische Daten

Das Gericht schreibt in seinem Urteil, dass eine potenzielle Diskriminierung gerechtfertigt sein könne, wenn es dafür objektive und vernünftige Gründe gebe. Also dann, wenn es nachweislich der Fall wäre, dass von einer bestimmten Gruppe eine besonders hohe Ansteckungsgefahr ausgehen würde.

Doch genau dafür fehlten die Beweise. Die Regierung ging davon aus, dass die Impfquote in Kosovo und Nordmazedonien, also den klassischen Herkunfts- und Ferienländern der albanischen Gemeinschaft in der Schweiz, tief gewesen sei. Entsprechende Daten hätten dem Kanton Zürich aber gefehlt, schreibt das Gericht. Die tiefe Impfquote sei eine reine Mutmassung gewesen.

Genau an diesem Punkt, wenn ein Staat damit beginnt, eine bestimmte Bevölkerungsgruppe aufgrund von Vermutungen zu diskriminieren, wird es nach Ansicht des Gerichts gefährlich.

Die Gefahr bestehe, «dass eine geschützte Personengruppe trotz schwacher Beweislage systematischen Benachteiligungen ausgesetzt oder gar zum Sündenbock für ein Problem gemacht werden könnte».

Die Zürcher Justizdirektion habe sich zu einem grösseren Teil auf Anekdoten, Mutmassungen und Vermutungen gestützt. Es sei ohne weiteres denkbar, dass es unter dem Publikum der anderen Anlässe sogar eine höhere Ansteckungsrate und eine tiefere Impfquote gegeben haben könnte als unter den Besuchern des Alba-Festivals.

Dies gilt für das Gericht insbesondere für die Pride. Dort habe es überhaupt kein Schutzkonzept gegeben und auch Personen, die weder geimpft, genesen oder getestet gewesen seien, hätten teilnehmen können.

Die Justizdirektorin Jacqueline Fehr hat zum Entscheid des Gerichts am Montag auf der Plattform Linkedin geschrieben, sie trage für den damaligen Beschluss des Regierungsrats eine wesentliche Mitverantwortung, weil sie als damalige Regierungspräsidentin eine Präsidialverfügung erlassen habe.

Sie sei aber froh über das Urteil. Es sei gut, zu wissen, dass das Verwaltungsgericht bei Fragen der Diskriminierung einen strengen Massstab ansetze.

Der Kanton Zürich muss 6780 Franken an Kosten übernehmen und eine Parteientschädigung von 4000 Franken bezahlen.

Die Absage des Alba-Festivals wird zudem erneut ein Fall für die Politik: Am Montag ist eine Anfrage im Kantonsparlament eingereicht worden, die von der Regierung Auskunft darüber verlangt, welche Konsequenzen sie aus dem Urteil ziehe – und ob neben den Gerichtskosten ein weiterer finanzieller Schaden entstanden sei.

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