Mittwoch, Oktober 9

Die SRG und die SBB wollen Kindern lehren, wie man wahre Nachrichten von Falschinformationen unterscheidet. Und zwar mittels rollendem Klassenzimmer. Handelt es sich um mehr als um Eigenwerbung für die SRG?

«SBB-Abteile werden verwüstet bei illegaler Schulreise!» Diese Schlagzeile konnte man am Dienstag in einem SBB-Wagen lesen. Darunter ein Foto mit Schülern einer sechsten Klasse der Primarschule Winterthur und ihrer Lehrerin Ruth Baumann. Die Kinder hatten gar keine Freude, wie die Lehrerin nachher erzählte: «Geht’s noch», hätten sie gerufen. Denn die 10- und 11-Jährigen haben nicht randaliert. Sie haben nur den neuen Fake-News-Wagen der SBB ausprobiert. Das Bild mit der Schlagzeile soll den Kindern zeigen, wie schnell Lügen entstehen. Wenn die Kinder den Zug betreten, wird ein Foto gemacht und nachher an die Wände projiziert.

Der neue Wagen ist Teil des Schul- und Erlebniszuges der SBB. Seit 2003 können sich Schulklassen während der Fahrt zu Themen wie Mobilität oder nachhaltige Energienutzung schlaumachen. Im neuen Fake-News-Waggon lernen die Schüler, zuverlässige Informationen von Falschmeldungen zu unterscheiden. Dafür hat die SBB mit der SRG zusammengespannt. Das Ganze scheint für die Verantwortlichen ziemlichen Prestigecharakter zu haben. So kamen am Dienstag der SBB-CEO Vincent Ducrot, der SRG-Generaldirektor Gilles Marchand, die Zentralpräsidentin des Lehrerverbands Dagmar Rösler und der zuständige Bundesrat Albert Rösti zur Einweihung nach Brugg.

Bundesrat Rösti sprach von einem «tollen Projekt». Als Politiker sei er mit klassischen Medien aufgewachsen. Bei der SRG und anderen klassischen Medien könne er sich in der Regel darauf verlassen, dass Informationen auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft worden seien. Doch bei Youtube, Snapchat oder Tiktok könne man sich dessen nicht sicher sein.

Fake-News-Opfer Rösti

Rösti weiss, wovon er redet. Im Dezember 2022 hatte jemand unter dem Namen des Bundesrats ein falsches Profil auf Twitter (heute X) eröffnet und fälschlicherweise den Tod des ehemaligen Bundesrats Adolf Ogi verkündet. Mitglieder seiner SVP waren aber auch selbst schon für Fake News verantwortlich. So hatte der Nationalrat Andreas Glarner vor den Wahlen im Oktober ein Video in den sozialen Netzwerken veröffentlicht. Es wurde mit künstlicher Intelligenz hergestellt und zeigte die grüne Nationalrätin Sibel Arslan, welche Glarner angeblich zur Wahl empfiehlt. Arslan reichte eine Strafanzeige gegen Glarner und Unbekannt ein.

Wer sich mit Politik auskennt, weiss sofort: Arslan würde Glarner nie zur Wahl empfehlen. Doch für Menschen, die wenig Zeitung lesen, ist es schwierig, Fake News zu erkennen. Und diese Gruppe nimmt zu. Nur noch 43 Prozent der Schweizer Bevölkerung informiert sich mittels klassischer Medien, wie das Jahrbuch Qualität der Medien 2023 des Forschungszentrums Öffentlichkeit und Gesellschaft (Fög) der Universität Zürich erhoben hat. Vor allem Junge orientieren sich zunehmend über soziale Netzwerke, sie sind für 41 Prozent der 18- bis 24-Jährigen die wichtigste Informationsquelle.

«Falsche Lösung» gegen Fake News

Der Fake-News-Zug soll der abnehmenden Medienkompetenz etwas entgegensetzen. Die Reichweite ist beachtlich: Rund 15 000 Kinder reisen pro Jahr mit. In der Politik kommt das Projekt allerdings nicht nur gut an. Gregor Rutz anerkennt zwar die Problematik von Fake News, ist aber skeptisch, was den Schul- und Erlebniszug betrifft: «Wenn zwei Staatsinstitutionen hier zusammenspannen, ist das kaum die optimale Lösung», sagt der SVP-Nationalrat. Die SBB sind eine Aktiengesellschaft im Besitz der Eidgenossenschaft. Die SRG ist ein privater Verein, der öffentlich finanziert wird.

Laut Rutz ist das beste Mittel gegen Fake News private Medienvielfalt. «Wenn eine Redaktion einen Chabis schreibt, kann eine andere die Falschinformation entlarven.» Für eine gesunde Medienlandschaft mit verschiedenen privaten journalistischen Angeboten brauche es die richtigen Rahmenbedingungen, sagt Rutz: «Medienvielfalt kann nur der Markt bringen.» Rutz argumentiert mit der Medienfreiheit: Diese sei in erster Linie ein Schutz vor Interventionen durch den Staat. Dieser dürfe nur eingreifen, wenn es zwingend nötig sei und ein Marktversagen vorliege. Der Service public habe eine subsidiäre Funktion. Daher sei es auch richtig, den Auftrag der SRG besser einzugrenzen. Gregor Rutz ist Teil der Aktion Medienfreiheit, welche eine Grundsatzdebatte über die Aufgaben der SRG und ihrer Beziehung zu den Privaten fordert. Und Mitglied des Komitees für die Gebührensenkungsinitiative, mit welcher die Initianten die SRG-Gebühren senken wollen.

Tatsächlich gibt es auch Falschinformationen in seriösen Medien oder «Chabis», wie es Rutz nennt. Doch es handelt sich in der Regel um menschliches Versagen, nicht um böse Absicht – Journalisten halten sich in den allermeisten Fällen ans Wahrheitsgebot. Kommt die Falschinformation ans Licht, macht die Redaktion das transparent. Derzeit lässt sich das gerade an der Berichterstattung über die BVG-Reform beobachten, über welche die Bevölkerung im September abstimmt. Die Tamedia-Zeitungen schrieben am 22. Juni, «mittelständische Angestellte» wären die Verlierer der Vorlage. Dies habe die Sammelstiftung Proparis errechnet. Letzte Woche deckten SRF und CH Media auf, dass die Zahlen irreführend waren. Die Tamedia-Zeitungen berichteten und wiesen auf den eigenen Fehler hin.

Plattformen regulieren

Häufig kommen Fake News aber nicht von journalistischen Redaktionen, sondern von politischen Organisationen mit unbekannten Urhebern. Und sie verteilen sich in Windeseile auf den sozialen Netzwerken. Während die EU diese Plattformen mit strengen Gesetzen reguliert, hatte die Schweiz bisher eine liberale Handhabe.

Das will der Bundesrat nun ändern, wie Rösti am Dienstag bekräftigte. Bürger, die von Fake News oder Hassbotschaften auf Tiktok, Facebook oder X betroffen sind, sollen sich in Zukunft an eine Meldestelle wenden können. Die Landesregierung hatte dem Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) im April 2023 den Auftrag gegeben, eine Vernehmlassungsvorlage auszuarbeiten, «ohne die positiven Effekte der Plattformen auf die Meinungsäusserungsfreiheit einzuschränken». Demnächst komme das Geschäft in den Bundesrat, so Rösti.

Der SP-Nationalrat Jon Pult begrüsst eine stärkere Regulierung. Seiner Meinung nach hat der Bundesrat «die Gefahr von Fake News unterschätzt». Gerade auch in Bezug auf die geopolitische Lage. Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine und dem Terrorangriff der Hamas auf Israel ist die Gefahr von Falschinformationen noch einmal deutlich geworden. Der Kreml nutzt gezielt eingesetzte Lügen, um Europa in ein schlechtes Licht zu rücken und zu spalten. Dabei gerät auch die Schweiz «zunehmend» in den Fokus, wie der Bundesrat im Juni im Bericht «Beeinflussungsaktivitäten und Desinformation» feststellte. Besonders relevant seien «staatliche Beeinflussungsakteure, die offensiv andere Werte, Normen und politische Systeme propagieren und demokratische Institutionen untergraben wollen».

Anders als Rutz sieht Pult die SRG nicht als Hemmschuh für die Medienvielfalt, sondern als deren Garant: «Die SRG ist auch auf Kanälen präsent, von denen sich andere Medien zurückgezogen haben», sagt Pult, beispielsweise in den Regionen. Dort liefere sie täglich zuverlässige Informationen. Das helfe den Bürgerinnen und Bürgern, zwischen richtigen und falschen Informationen zu unterscheiden.

Die Diskussion, was die SRG soll und was nicht, dürfte noch Jahre dauern. Der Bundesrat will erst über die Konzession reden, wenn die Bevölkerung über die Halbierungsinitiative abgestimmt hat. In der Zwischenzeit dürfte der Fake-News-Zug für das Medienhaus eine willkommene Werbeplattform sein. Es gehört zwar zum Auftrag der SRG, mit ihrem Angebot zu Bildung und Wissen beizutragen und die Aufgaben öffentlicher Bildungsinstitutionen zu berücksichtigen. Gleichzeitig können Sympathiepunkte in der Bevölkerung nicht schaden, während sie gegen politische Abbaupläne lobbyiert.

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