Mittwoch, Oktober 2

Der Augenheilspezialist begeisterte mit seinen Zahlen für das erste Quartal. Während die Luft für weitere Kursgewinne kurzfristig dünn werden könnte, hat er beste Chancen, zu einer langfristigen Erfolgsgeschichte an der Börse zu werden.

Lange mussten Aktionäre von Alcon darauf warten, doch jetzt ist es so weit: Vergangene Woche knackten die Titel des Augenheilspezialisten ihr seit Ende 2021 bestehendes Allzeithoch von knapp 81 Fr. Damit schickt sich der Aktienkurs an, aus seiner langjährigen Seitwärtsphase auszubrechen. Seit dem Börsengang im Frühjahr 2019 bewegte sich der Kurs – den Coronacrash ausgenommen – grob in der Spanne zwischen 55 und 80 Fr.

Still und heimlich überflügeln die Alcon-Aktien mittlerweile auch den Sektor. Gegenüber dem S&P Health Care Equipment Index – er umfasst die wichtigsten Hersteller von medizinischen Geräten und Ausrüstung in den USA – hatten die Alcon-Titel, die sowohl in New York als auch in Zürich gehandelt werden, vor allem während der akuten Phase der Covid-Pandemie das Nachsehen. Doch Anfang 2023 konnte Alcon den Spiess umdrehen – und seither den Vorsprung kontinuierlich ausbauen.

In Europa gibt es keinen Index, der spezifisch auf den Gesundheitsgerätesektor fokussiert ist. Doch auch im Vergleich zum breiteren europäischen Health-Care-Segment – gemessen am Stoxx Europe 600 Health Care – schneiden die Valoren besser ab.

«Die Investoren erkennen nun den Investment Case von Alcon, der auf einer Steigerung des Ertrags beruht. Diese Entwicklung sollte bis zum Ende des Jahrzehnts fortdauern», kommentieren die Analysten von UBS die Kursgewinne. Zuvor waren mehrere Altlasten, die der ehemalige Mutterkonzern Novartis Alcon beim Spin-off im Frühjahr 2019 mit auf den Weg gegeben hatte, ein Grund für die mässige Kursentwicklung seit der Kotierung. Hohe Schulden und ein Goodwill von 9 Mrd. $ erforderten laufend Abschreibungen und Amortisationen, die den Gewinn auffrassen.

Kosten gehen zurück

Gleichzeitig musste der Konzern neue Schulden aufnehmen, um Produktionskapazitäten auszubauen und seine Produktionsprozesse zu verbessern. Dadurch erhöhte sich der Nettoschuldenstand seit der Abspaltung von Novartis von 2,9 Mrd. $ auf zwischenzeitlich bis zu 4,5 Mrd. $. Immerhin hat sich der Verschuldungsgrad (Nettoschulden im Verhältnis zum Betriebsgewinn vor Abschreibungen und Amortisationen, Ebitda) dank dem steigenden Gewinn von seinen kritischen Höchstständen entfernt und liegt nun wieder unter dem Richtwert von 2 – was allgemein als gesund gilt.

Und: Die Lage dürfte sich weiter verbessern. «Alcon hat in den letzten Jahren viel investiert, doch jetzt profitiert man umso mehr vom operativen Leverage-Effekt», sagt Martin Würmli, Fondsmanager der Privatbank Von Graffenried. Steigende Volumen dürften sich künftig klar positiv auswirken. Das spiegelte sich im ersten Quartal gemäss Analysten von Berenberg vor allem in steigenden Margen im Kontaktlinsensegment Vision Care, in dem Alcon in den letzten Jahren besonders stark in neue Produktionsanlagen investiert hat und jetzt die Früchte ernten kann.

Würmli ist in seinem Fonds in Alcon übergewichtet. «Der Grund für unser Übergewicht ist die Überzeugung, dass es Alcon gelingen wird, weiter Marktanteile zu gewinnen.» Das erste Quartal habe dies vollumfänglich bestätigt, sagt Würmli.

Tatsächlich hat Alcon vor rund zwei Wochen mit ihrem Zahlenkranz durchs Band überzeugen können – auch und vor allem mit der Profitabilität. Im ersten Quartal des neuen Jahres verbesserte sich die Kern-Betriebsmarge gegenüber dem Vorjahresquartal um 1,4 Prozentpunkte auf 22%, ohne negative Währungseffekte hätte sie über 23% gelegen. Zum Vergleich: Vor vier Jahren belief sich die Marge noch auf 16,6%.

Dass bei Alcon die jahrelange, mit hohen Kosten verbundene Transformationsphase im letzten Jahr abgeschlossen werden konnte, spiegelt sich postwendend in einem positiven Geldfluss. So sprang in den ersten drei Monaten der betriebliche Cashflow von 85 Mio. $ (Q1 2023) auf nun 341 Mio. Der freie Cashflow (FCF) – also das Geld, das Alcon zur freien Verfügung steht – verbesserte sich von –19 Mio. auf nun 229 Mio. $.

Sollte sich die positive Entwicklung beim Cashflow fortsetzen, würde sich das klar positiv auf die Aktie auswirken, ist Würmli überzeugt. Der Turnaround zum positiven Cashflow sei noch nicht im Kurs eingepreist. «Alcon hat auf FCF-Stufe im ersten Quartal überzeugen können. Jetzt muss der Konzern zeigen, dass er diesbezüglich weitere Fortschritte erzielen kann – auch im Hinblick auf das FCF-Ziel 2027 von ca. 2.2 Mrd. $.»

Attraktive Pipeline soll Wachstum hoch halten

Positiv stimmt, dass beide Segmente, sowohl die Kontaktlinsensparte (Vision Care) als auch das Geschäft mit medizinischen Geräten für die Behandlung von Augenkrankheiten (Surgical), ein robustes Wachstum zeigen und Marktanteile gewinnen können. Eine Reihe von Produktneuheiten, die in den nächsten zwölf bis achtzehn Monaten auf den Markt kommen, soll dabei das Tempo hoch halten.

Eine der zentralen Produkteinführungen von Alcon dürfte Unity VCS sein. Während der Telefonkonferenz vor zwei Wochen bekräftigte das Management seinen Optimismus hinsichtlich der Einführung des neuen Geräts, das die vitreoretinale Chirurgie (Eingriffe in der Netzhaut und am Glaskörper) noch präziser und effektiver machen soll.

Die Zulassung der US-Gesundheitsbehörde FDA wird für die nächsten Monate erwartet. Dann soll das Produkt in der zweiten Jahreshälfte durch einen «Soft Launch» auf den Markt kommen, bevor 2025 die vollständige Markteinführung folgt.

Die Analysten von UBS erwarten, dass Alcon durch Unity VCS signifikant Marktanteile bei der vitreoretinalen Behandlung gewinnen kann. Zudem werde dies auch zu einem höheren Wachstum bei den chirurgischen Verbrauchsmaterialien (25% des Konzernumsatzes) führen, da neue Geräte mit höheren Preisen für Verbrauchsmaterialien einhergehen dürften, so die Analysten.

Neue Lasertherapie für Grünen Star

Kürzlich hat Alcon das israelische Unternehmen Belkin Vision für einen Kaufpreis von 335 Mio. $ akquiriert, das auf die Behandlung von Glaukom – auch Grüner Star genannt, eine Krankheit, die die Fasern des Sehnervs zerstört – spezialisiert ist. Alcon ist im Glaukom-Bereich vor allem mit sogenannten Hydrus-Mikrostents vertreten, die von Chirurgen per Eingriff eingesetzt werden und den Augeninnendruck senken.

Allerdings wollen immer mehr Patienten auf eine Implantatlösung verzichten und bevorzugen einen Lasereingriff, der mit weniger Unannehmlichkeiten verbunden ist. Gemäss UBS macht dieses Segment momentan zwar nur ein Zehntel des Marktes für Glaukom-Behandlungen aus, allerdings wachse es mit einem jährlichen Plus von 10% deutlich schneller. Belkin Vision hat eine neuartige Lasertherapie entwickelt, die eine schnelle und schmerzfreie Behandlung ermöglicht. Die Akquisition soll im dritten Quartal abgeschlossen werden.

Ein Produkt, das bereits grundsätzlich marktreif ist und das Wachstum von Alcon langfristig stützen dürfte, ist die Kontaktlinse Precision7, die einmal wöchentlich eingesetzt wird. Zwar verfügt sie bereits über eine Zulassung der FDA, doch Alcon hat die Markteinführung bis zuletzt aufgeschoben, um die Produktionskapazitäten im schnell wachsenden Tageslinsensegment hoch zu halten. «Wir machen derzeit an so vielen Fronten Fortschritte, dass wir einzelne Projekte auf die lange Bank schieben müssen» sagte CEO David J. Endicott in einer Telefonkonferenz vor zwei Wochen.

Er gehe davon aus, dass man hinsichtlich der Markteinführung Ende des Jahres aktiv werde, 2025 soll sie spätestens kommen. Mit Precision7 tritt Alcon in einen neuen Markt ein, der im Gegensatz zu dem für Tages- und Monatslinsen noch wenig besetzt ist. Entsprechend gering ist hier die Visibilität für zukünftigen Umsatz. Dass Alcon hier die Markteinführung trotz FDA-Zulassung weiter aufschieben muss, zeigt allerdings die Fülle der Produktpipeline.

Positiver Newsflow könnte Aktienkurs stützen

Für eine weiterhin gute Stimmung um die Alcon-Aktie könnten auch positive Updates zu Produktkandidaten in der Entwicklungspipeline sorgen. Bei dem experimentellen Therapeutikum AR-15512 etwa handelt es sich um verschreibungspflichtige Tropfen, die gegen trockene Augen helfen sollen. Gemäss Alcon sind in den USA rund 38 Mio. Menschen von trockenen Augen betroffen, und weniger als 10% der diagnostizierten Patienten werden mit einem verschreibungspflichtigen Produkt behandelt.

Das Unternehmen meldete Anfang 2024 positive Phase-3-Daten, ein Zulassungsantrag bei der FDA soll noch im Sommer gestellt werden. Das Management hat darauf hingewiesen, dass es den Wert von AR-15512 allein für den US-Markt auf 250 bis 400 Mio. $ schätzt. Gemäss UBS entspricht dies einem Aufwärtspotenzial von 3 bis 5% für den Gewinn je Akte (EPS, 2028 bis 2030) gegenüber dem Konsens.

In der Telefonkonferenz wies das Management ausserdem darauf hin, dass man an einer neuen PanOptix-Generation arbeite. Dabei handelt es sich um die wichtigste Premium-Intraokularlinse (IOL) von Alcon. IOL sind künstliche Linsen, die – meist für die Behandlung von Grauem Star – direkt hinter der Iris (Regenbogenhaut) des Auges implantiert werden und Patienten eine klare Sicht auf kurze, mittlere und grosse Entfernung ermöglichen sollen.

PanOptix® IOL

Gemäss den UBS-Analysten, die sich auf Gespräche mit dem Management berufen, soll die neue Generation vor allem auf eine Verbesserung bei der Kontrastempfindlichkeit abzielen – ein wichtiger Punkt, weil dies als ein Bereich gilt, in dem die Premium-Linsen der Konkurrentin Johnson & Johnson einen Vorteil gegenüber den Alcon-Linsen bieten.

Ausserdem arbeitet Alcon an einer weiteren Intraokularlinse mit dem Namen PowerVision. Es handelt sich um eine monofokale Linse – solche sind entweder in der Ferne oder in der Nähe scharf –, die sich gemeinsam mit der natürlichen Linse des Auges bewegt. Dadurch soll der monofokale Effekt verhindert und eine klare Sicht in allen Entfernungen ermöglicht werden. Da es sich um eine einteilige Linse handelt, würde das Licht nicht gebrochen, was einen grossen Vorteil gegenüber sämtlichen Premium-Linsen bedeuten würde. Alcon wird voraussichtlich gegen Ende Jahr erste Daten aus der Anwendung am Menschen veröffentlichen.

Alcon-Aktien weiter mit Potenzial

Die Alcon-Aktien sind in den letzten Wochen bereits gut gelaufen. Mit einem Plus von knapp 26% belegen sie auf Jahressicht den dritten Platz im Swiss Market Index. Dennoch könnte das letzte Woche erzielte neue Allzeithoch erst eine Zwischenetappe einer langfristigen Erfolgsgeschichte an der Börse sein. Die Cashflow-Generierung setzt nach einer jahrelangen Transformationsphase jetzt erst ein. In den nächsten Quartalen wird Alcon zeigen müssen, dass sich der positive Trend bestätigt.

Sollte dies gelingen, böten sich neben einer weiteren Schuldenreduktion zudem Möglichkeiten für Kapitalrückführungen in Form von Dividenden (aktuelle Rendite: 0,3%) oder Aktienrückkäufe an. Positiv ist zudem, dass die Bewertung trotz der Kursavancen in den letzten Monaten nicht überhöht ist. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis von knapp 28 auf Basis der Gewinnschätzungen für das kommende Jahr liegt unter dem historischen Schnitt von 30. Auch im Vergleich zu Konkurrenten wie The Cooper Companies, die ein KGV von knapp 25 aufweist, wirkt die Bewertung von Alcon angesichts ihres Fokus auf Premium-Produkte nicht hoch.

Vor dem Hintergrund der attraktiven Produkt- und Entwicklungspipeline ist Alcon langfristig gut gerüstet, um das Wachstum hoch zu halten. Auch wenn die Luft für kurzfristige Gewinne etwas dünner geworden ist, hält The Market vor allem mit Blick auf einen langfristigen Anlagehorizont an der Empfehlung für die Alcon-Aktien fest.

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