Mittwoch, Oktober 2

Die «Geiz ist geil»-Mentalität der Deutschen ist besser als ihr Ruf. Im Kern geht es nicht um Knausrigkeit, sondern um Effizienz.

Es ist Deutschlands erfolgreichster Werbeslogan: «Geiz ist geil!» Keine Worte brachten die Nation der Schnäppchenjäger besser auf den Punkt, keine Werbung sorgte für mehr Aufregung in diesem Land der Preisbewussten, in aller Erkenntnis, ertappt worden zu sein. Der Slogan brachte vor allem Häme. Geiz, das ist etwas Negatives. Etwas, was den Charakter verdirbt.

Der Slogan stammt von Saturn, er machte den Elektronikhändler vor 22 Jahren plötzlich berühmt. Zur Ironie gehört, dass Saturn das langfristig wenig nützte. Heute muss der Elektronikhändler Filialen schliessen, im Preiskampf mit dem Internet ist er nicht mehr konkurrenzfähig.

Doch auch das gehört zur Wahrheit: Der Slogan wurde völlig missverstanden, und mit ihm die Sparmentalität der Deutschen. Es geht nicht um Geiz, sondern um Effizienz. Warum mehr bezahlen, wenn man das Gleiche auch für weniger bekommen kann? Nämlich dann, wenn man leicht vermeidbare Kosten beseitigt.

Niemand zeigt diese deutsche Lust an der Effizienz eindrücklicher als Aldi. Der Discounter hat die deutsche Seele in Regale verfrachtet und einen maximal effizienten Supermarkt geschaffen: Das Produktsortiment ist beschränkt, die Waren werden aus dem Karton verkauft, die Zeit an der Kasse wird auf das Nötigste reduziert. Das bedeutet wenig Lager-, Raum- und Personalkosten. Zudem verzichtet Aldi auf teures Marketing und setzt auf Eigenmarken. Minimaler Aufwand, maximaler Ertrag.

Und weil das so effizient ist und auch ein wenig schäbig aussieht, können die Preise niedriger sein als in gewöhnlichen Supermärkten. An der Qualität der Waren muss Aldi dafür gar nicht sparen. Hinzu kommen Skaleneffekte. Aldi gehört mit einem geschätzten Umsatz von mehr als 120 Milliarden Dollar im Jahr 2021 zu den grössten Detailhändlern der Welt. Wenn der Discounter bei einem Lieferanten bestellt, kann er in grossen Mengen kaufen, das bedeutet enorme Rabatte.

Aldi gibt es heute in achtzehn Ländern weltweit, und mit seinem Konzept «aldisiert» er die Welt. Denn wo Aldi-Märkte eine kritische Masse erreichen, fallen die Preise. Die Konkurrenz muss sich anpassen, das tut sie in der Regel mit eigenen Discount-Produkten, wie Migros Budget oder Prix Garantie von Coop in der Schweiz.

Der nächste Wachstumsmarkt des Discounters sind die USA, in den kommenden fünf Jahren will Aldi dort 800 weitere Filialen eröffnen, derzeit sind es über 2300. Viele Amerikaner sind durch die Inflation ärmer geworden, der Bedarf an günstigen Lebensmitteln ist gestiegen. Noch hat der Discounter einen Marktanteil in den USA von nur rund 2 Prozent, doch wenn er steigt, dürften die Preise allüberall im Land fallen.

Zum Prinzip Aldi gehört auch: Es ist effizient, sonderlich innovativ ist es nicht. Das zeigt sich bei weiteren deutschen Unternehmen dieses Typus. Beispiel Flixbus. Das deutsche Verkehrsunternehmen wirbt gerne damit, dass es den Mobilitätsmarkt revolutioniere. Daran sind erhebliche Zweifel anzumelden, motorisierte Omnibusse fahren seit 1895.

Was Flixbus aber verstanden hat: Ein Bus allein bringt Unternehmen und Kunden wenig. Es braucht schon ein System, das für eine maximale Auslastung der Strecken sorgt und damit die Kosten pro Fahrgast minimiert. Damit expandiert das Unternehmen weltweit.

Doch Effizienz kennt auch ihre Grenzen. Nämlich da, wo sie zulasten des Menschen geht. Auch das macht die Geschichte von Aldi und Flixbus deutlich. Dass die Deutschen schlechter Qualität, Dumpinglöhnen und negativen Folgeerscheinungen für die Umwelt kritisch gegenüberstehen, hat die öffentliche Debatte der vergangenen Jahre gezeigt. Aldi und Flixbus achten heute daher öffentlichkeitswirksam darauf, Mindeststandards zu übertreffen.

Damit einher geht die Frage nach einem guten Preis. Wo er durch Effizienz getrieben ist, ist er wohltuend für alle. Wo er durch Geiz bestimmt wird, wirkt er destruktiv für Arbeitnehmer, Umwelt und Gesellschaft. Es ist eine Frage, der man sich konsequent stellen muss. Das wissen auch die Deutschen.

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