Sonntag, September 29

Der frühere Journalist und Präsident des Museums für zeitgenössische Kunst ist der neue Herr über Italiens weitverzweigtes Kulturministerium. Persönlich und ideologisch steht er Giorgia Meloni sehr nahe.

Giorgia Meloni hatte nicht lange gefackelt. Nur wenige Stunden nachdem das Rücktrittsschreiben von Kulturminister Gennaro Sangiuliano im Palazzo Chigi eingegangen war, wohnte sie schon der Vereidigungszeremonie von seinem Nachfolger bei: Alessandro Giuli, 49-jährig, ehemaliger Journalist und zuletzt Präsident des Maxxi in Rom, des nationalen Museums für zeitgenössische Kunst, leistete seinen Amtseid «in die Hände» des Staatspräsidenten, wie man in Italien sagt.

Das war am 6. September, am Ende einer turbulenten Woche. Täglich hatten die Medien neue Details über ein undurchsichtiges Personalgeschäft im Kulturministerium publiziert. Im Zentrum stand eine zuvor kaum bekannte Influencerin aus Pompeji, die Sangiuliano bei öffentlichen Auftritten auf Schritt und Tritt begleitet und geltend gemacht hatte, persönliche Beraterin des Ministers für Grossereignisse zu sein. Wer diese Frau war und was sie für dieses Amt befähigt hätte, blieb im Dunkeln und führte zu überschiessenden Spekulationen. Schliesslich wurde der Druck zu gross, unter Tränen gestand Sangiuliano am Fernsehen, eine aussereheliche Affäre mit dieser Frau gehabt zu haben.

Mittlerweile ist der Fall eine Angelegenheit für die Gerichte. Die Staatsanwaltschaft in Rom ermittelt wegen des Verdachts des Amtsmissbrauchs und der Preisgabe vertraulicher Informationen gegen den ehemaligen Minister. Sangiuliano seinerseits hat gegen seine ehemalige Geliebte Anzeige wegen Verunglimpfung erstattet.

Unruheherd Kulturministerium

Im Collegio Romano, einer ehemaligen Jesuitenschule im Zentrum von Rom, wo heute das Kulturministerium untergebracht ist, stehen die Zeichen derweil auf Neustart. Alessandro Giuli hatte keinerlei Vorbereitungszeit. Seine Feuertaufe erlebte er dieser Tage beim Treffen der Kulturminister der G-7-Staaten in Kampanien. Italien hat derzeit die Präsidentschaft der G-7 inne und leitet die entsprechenden Ministertreffen. Das Treffen in Neapel und Pompeji verlief ohne Zwischenfälle, und von Giuli hiess es, er habe seine Premiere im Kreis seiner Amtskollegen mit Anstand hinter sich gebracht.

Giorgia Meloni dürfte aufatmen. Mit der raschen Entscheidung für Giuli hat sie sich zum einen lange Diskussionen über eine Regierungsumbildung erspart. Zum anderen braucht sie dringend Ruhe im Collegio Romano. In den ersten zwei Jahren unter ihrer Regierung war das Kulturministerium ein steter Unruheherd. Zunächst sorgte der von ihr ernannte Unterstaatssekretär Vittorio Sgarbi, ein bekannter Kunsthistoriker, laufend für Schlagzeilen. Öffentliche Wutausbrüche und eine Geschichte um angeblich unrechtmässig erworbene Kunstwerke machten Sgarbi bald zur Persona non grata und führten im letzten Februar zu seinem Rücktritt. Kaum war diese Affäre bewältigt, machte Sangiuliano von sich reden.

Das Kulturministerium ist eine riesige und komplizierte Behörde. In seiner heutigen Form vom früheren Ministerpräsidenten Giovanni Spadolini begründet, beschäftigt es ein Heer von Tausenden von Beamten und umfasst unzählige Abteilungen, Aufsichtsbehörden und Museen von internationalem Rang. Was hier beschlossen und finanziert wird, etwa die Frage, welche Filmproduktionen staatliche Unterstützung verdienen, hat erhebliche Bedeutung für die Aussenwirkung Italiens in der Welt.

Für Giorgia Meloni geht es aber um mehr. Sie will nach eigenem Bekunden die kulturelle Hegemonie der Linken im Land bekämpfen – ein Vorhaben, bei dem das Kulturministerium an vorderster Front steht. Sangiuliano hat in seiner kurzen Amtszeit wohl einiges angepackt und ein paar wichtige Schaltstellen mit neuen Leuten besetzt. Aber den von seiner Chefin beabsichtigten grossen Umbau hat er nicht bewerkstelligt.

Wird es Alessandro Giuli entschlossener angehen? Persönlich und ideologisch steht er Giorgia Meloni sehr nahe. «Wir kennen uns schon lange, haben viel diskutiert», sagte er in einem Interview in diesem Frühjahr. «Ja, man kann definitiv sagen, dass wir uns freundschaftlich verbunden sind.»

Wie Meloni ist auch Giuli in der postfaschistischen Jugendbewegung gross geworden. Er scheint allerdings etwas länger gebraucht zu haben als die heutige Regierungschefin, bis er zur politischen Mässigung gefunden hat. Er beteiligte sich an neofaschistischen und neonazistischen Aktivitäten in der Hauptstadt, und als Student der Literatur und Philosophie an der Römer Universität La Sapienza schloss er sich der rechtsextremen Bewegung Meridiano Zero an. Heute distanziert er sich von den faschistischen Rückständen in Italiens Politik.

Giuli, der als Studienabbrecher schliesslich den Weg in den Journalismus fand, gehört keiner Partei an. Den Aufstieg der souveränistischen Rechten hat er einmal als «anaphylaktischen Schock» bezeichnet und als «einen gesunden Bruch der alten Schemata». Giuli ergänzt zudem, die Rechte sei mit der Übernahme der Regierungsverantwortung «republikanischer» geworden, kurzum: weniger extrem und umso moderater.

Geschmeidig zwischen den Fronten

Die Linke hat Giulis Einzug in das Collegio Romano mit einiger Skepsis quittiert. «Schau wenigstens, dass du dich anständig benimmst», soll ihm Laura Boldrini, die frühere sozialdemokratische Präsidentin der Abgeordnetenkammer, gesagt haben, als er kürzlich seinen ersten Auftritt im Parlament absolviert hat. Es war eine Anspielung auf die amourösen Verstrickungen seines Vorgängers.

Giuli selbst tut einiges, um auch in oppositionellen Kreisen Gehör zu finden. Schon als Journalist bewegte er sich geschmeidig zwischen den Fronten, war Redaktor bei rechten Blättern wie «Il Giornale», dann aber auch bei liberalen und linken Zeitungen wie etwa «Il Sole 24 Ore» oder «L’Umanità». Und erst kürzlich legte er ein Sachbuch über Antonio Gramsci vor, den marxistischen Philosophen und Politiker, Gegenspieler von Mussolini und Ikone der italienischen Linken. «Gramsci lebt», heisst das Buch vielsagend.

Selbst die verpasste «laurea», den Studienabschluss, will Giuli jetzt noch nachholen. Wie die Zeitung «Il Foglio» am Dienstag gemeldet hat, tritt der neue Kulturminister am kommenden Montag zur entscheidenden Prüfung an der Sapienza an. Thema: «Theorie der theologischen Lehren». Wenn er den Test besteht, darf er im Januar seine Dissertation vorlegen. Danach wird aus Italiens Kulturminister «Dottor Giuli». Es wäre der Abschluss seines Marsches durch die Institutionen.

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