Bei den Präsidentschaftswahlen im nordafrikanischen Staat gilt der Amtsinhaber Abdelmadjid Tebboune als haushoher Favorit. Doch der Urnengang in der verkrusteten Demokratie lässt viele kalt, wie ein Besuch in der Hauptstadt Algier zeigt.
Als Abdelmadjid Tebboune am 15. August seinen Wahlkampf startete, zeichnete er in einer Rede ein äusserst finsteres Bild: Algerien sei das Opfer aller möglichen Komplotte gewesen und kurz vor dem Kollaps gestanden, rief er. Nur dank seiner Führung sei das Land nun wieder auf dem Weg zur Besserung. Darum – so schloss der amtierende Präsident – müsse man ihm unbedingt weiterhin das Vertrauen schenken.
Drei Wochen später ist von der Dramatik wenig übrig. Denn der 78-jährige Tebboune, seit fünf Jahren Staatschef im grössten Land Afrikas, steht vor einer fast sicheren Wiederwahl. Wenn am Samstag rund 24 Millionen Algerier zu den Urnen gebeten werden, um ihre Stimme abzugeben, dürfte der Präsident, hinter dem ein breites Parteienbündnis steht, am Ende gewinnen.
Entsprechend unaufgeregt ist die Stimmung in der Hauptstadt Algier. Die Sonne brennt auf die weissen Kolonialbauten nieder. Wer kann, ist an den Strand geflohen. Der Wahlkampf ist faktisch bereits zu Ende. In den Strassen sind kaum Wahlplakate zu sehen. Und wenn, dann zeigen sie oft das Gesicht des «Président sortant-candidat», wie die Algerier den zur Bestätigungswahl antretenden Tebboune nennen.
Die übrigen Kandidaten haben kaum eine Chance
Zwar präsentieren sich noch zwei weitere Kandidaten. Aber weder dem Sozialisten Youcef Aouchiche noch dem moderaten Islamisten Abdelaali Hassani werden reelle Chancen eingeräumt. Denn Tebboune kann in seinem Wahlkampf aus dem Vollen schöpfen. Ihm steht eine gut geölte Kampagnenmaschine zur Verfügung, der bisherige Innenminister kümmert sich höchstpersönlich um seinen Wahlkampf.
In der Hauptstadt wurden überall leer stehende Geschäfte und Restaurants zu Tebboune-Wahlkampfbüros umgewandelt. Dort stehen dann Helfer vor Tischen voller Flyer und erklären jedem, der reinkommt, warum der Präsident der richtige Mann für die Zukunft ist. «Er hat Algerien wieder stark gemacht und aus der Krise geführt», sagt Mohammed Arish, der Leiter eines Büros im Zentrum Algiers. «Jetzt muss er weitermachen können.»
Subventionen und Weltgeltung
Tebboune kam 2019 an die Macht. Er löste damals den greisen und gebrechlichen Langzeitpräsidenten Abdelaziz Bouteflika ab, der Algerien am Ende seiner zwanzigjährigen Amtszeit in eine tiefe Krise geführt hatte. Das Land ächzte unter Korruption und Vetternwirtschaft, fallende Ölpreise rissen ein Loch in die Kassen, der Präsident war in der Öffentlichkeit kaum mehr zu sehen. Sein Gesundheitszustand war derart schlecht, dass viele Algerier witzelten, er sei gar nicht mehr am Leben.
Als Bouteflika trotzdem ein weiteres Mal antreten wollte, hatte die Bevölkerung genug. Zehntausende vor allem junge Leute gingen auf die Strasse, forderten Reformen und den Rücktritt des Präsidenten. Infolge dieser als «Hirak» bezeichneten Volkserhebung zog Bouteflika seine Kandidatur zurück. Stattdessen trat sein ehemaliger Ministerpräsident Tebboune an und wurde in einer hastig organisierten und von vielen boykottierten Wahl ins höchste Amt katapultiert.
Tebboune versprach Erneuerung: Korrupte Kader aus den Bouteflika-Jahren landeten im Gefängnis, Subventionen wurden erhöht und mehr Geld für Soziales ausgegeben. Zudem brachte er Algerien zumindest vordergründig wieder zurück auf die internationale Bühne. Zuvor war das Land, das nach seinem blutig gewonnenen Unabhängigkeitskrieg gegen Frankreich in den sechziger Jahren einst als Führungsmacht des Antiimperialismus galt, in passiver Isolation versunken.
Daumenschrauben angezogen
Tebboune profitierte nicht zuletzt vom hohen Öl- und Gaspreis infolge des Ukraine-Krieges, der im rohstoffreichen Algerien die Kassen klingeln liess. Das Land konnte sich infolge des Ausfalls Russlands in Europa als Anbieter für Erdgas profilieren. Andererseits schaffte Algerien es nicht, der Staatengruppe Brics beizutreten, und verlor gleichzeitig in der benachbarten Sahelzone an Einfluss. «Tebbounes Bilanz ist gemischt. Er hat in der Aussenpolitik auch Fehler gemacht», sagt der Algerien-Experte Andrew Farrand von der Politik-Analyse-Firma Horizon Engage. Deshalb versuche er jetzt vor allem, mit seinen Sozialausgaben zu punkten.
Gleichzeitig wurden unter dem Präsidenten die Daumenschrauben angezogen. Verfügte das trotz regelmässig stattfindenden Wahlen stets autoritär regierte Algerien früher über eine relativ lebhafte und freie Presse, so erliess die Regierung jüngst schärfere Gesetze. «Die Administration hat viel unternommen, um alle möglichen unabhängigen Stimmen zu unterdrücken», sagt Farrand. «Das betrifft Journalisten, aber auch Aktivisten und zivilgesellschaftliche Organisationen.»
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International warf der Regierung kürzlich vor, Andersdenkende zu gängeln und wegzusperren. Manche Aktivisten von 2019 wollen die Wahlen zudem boykottieren. Die Oppositionspolitikerin Zoubida Assoul, die aus formellen Gründen bei der Wahl nicht antreten kann, hält das für keine gute Idee. «Boykotte machen die Machthaber nur stärker», sagt sie. Wer ein Zeichen setzen wolle, solle stattdessen einen leeren Stimmzettel abgeben.
Wenig Interesse an der Wahl
Der Wahlkampfmanager des Kandidaten Aouchiche hingegen ist von einer Teilnahme überzeugt. «Nur so können wir als Opposition Einfluss nehmen», sagt er. Inwiefern das gelingen kann, ist jedoch unklar. Denn in Algerien sind die Machtverhältnisse im Regime, das die Leute hier «le Pouvoir» nennen, äusserst opak. Hohe Generäle der Armee und der Sicherheitsdienste üben grossen Einfluss aus – ohne dass dabei aber klar ist, wer wie viel zu sagen hat. Immer wieder griff die Armee in die Politik ein, etwa 1992, als sie angesichts eines drohenden Wahlsiegs radikaler Islamisten kurzerhand putschte. Das Land versank in einem grausamen Bürgerkrieg.
Manche junge Algerier scheinen sich für die Wahl deshalb kaum zu interessieren. Es mache doch sowieso keinen Unterschied, wem man seine Stimme gebe, sagt ein junger Mann, der am Strand von Bab al-Oued Schreibwaren verkauft. Wie viele hier träumt der Student von einer Karriere im Ausland. Trotz der verbesserten Wirtschaftslage ist Algerien immer noch fast komplett von Gas und Ölexporten abhängig, viele junge Leute finden keine Arbeit.
Aber nicht alle sind gleichgültig. Er werde auf alle Fälle wählen gehen, sagt Amar Souali, ein Pensionär aus der Provinzstadt Bourdj Bouarreridj, der auf Besuch in Algier ist. «Meine Stimme bekommt Tebboune.» Er könne sich gut an die neunziger Jahre erinnern, an den hässlichen Bürgerkrieg zwischen der Armee und den Islamisten. «Jetzt geht es unserem Land gut, es herrscht Stabilität. Das muss so bleiben, das ist das Wichtigste.»

