Donnerstag, Januar 2

Die Entschuldigung des russischen Präsidenten reicht dem Herrscher in Baku nicht. Die Unbeugsamkeit gegenüber dem Kreml verdankt Alijew seinen eigenen Ressourcen – und den Folgen des Ukraine-Krieges.

Ilham Alijew, Aserbaidschans Machthaber seit mehr als zwanzig Jahren, hat am Wochenende etwas Seltenes erreicht: Der russische Präsident Wladimir Putin fühlte sich bemüssigt, zum Telefonhörer zu greifen und sich bei ihm für den «tragischen Vorfall im russischen Luftraum» zu entschuldigen. Gemeint war der Absturz eines Passagierflugzeugs der aserbaidschanischen Fluggesellschaft Azerbaijan Airlines am vergangenen Mittwoch. Es war beim Landeanflug auf die tschetschenische Hauptstadt Grosny offensichtlich von der russischen Flugabwehr getroffen worden. Diese war zu dem Zeitpunkt dort mit der Bekämpfung ukrainischer Drohnen beschäftigt. Das Flugzeug hatte daraufhin seine Steuerungsfähigkeit verloren und stürzte bei der kasachischen Stadt Aktau ab.

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Beharren auf Forderungen

Anstatt sich damit zufriedenzugeben, wie das der Kreml und die russische Propaganda zweifellos erwartet hatten, beharrte Alijew am Sonntag in einem Interview mit dem aserbaidschanischen Fernsehen auf der Erfüllung weiterer Forderungen: ein russisches Schuldeingeständnis – Putins Entschuldigung liess die Schuldfrage bewusst offen –, die strafrechtliche Verfolgung der Verantwortlichen sowie Kompensationszahlungen an den Staat, die Fluggesellschaft und die Opfer des Flugzeugunglücks. Unverblümt äusserte er auch seine Enttäuschung darüber, dass die russischen Behörden und Medien unsinnige Versionen in Umlauf gesetzt hätten, die von der russischen Verantwortung ablenken sollten.

Alijews Unmut und seine Forderungen kamen nicht aus heiterem Himmel. Bereits am Tag nach dem Unglück war klargeworden, dass Baku keine gute Miene zum bösen Spiel machen würde. Anonyme aserbaidschanische Regierungsquellen bekräftigten über einheimische und internationale Medien die bis dahin als reine Spekulation zirkulierende Version eines irrtümlichen Beschusses des Flugzeugs durch die russische Flugabwehr. Sie unterstellten den russischen Behörden sogar, das schwer beschädigte Flugzeug zur Verschleierung von Beweisen bewusst auf die Ausweichroute über das Kaspische Meer nach Aktau geschickt zu haben.

Alijew wagt Aussergewöhnliches

Alijews Vorteil und Putins Nachteil ist die Verwandtschaft ihrer politischen Systeme: Beide Präsidenten kontrollieren ihre jeweiligen Medien und kennen dieselben Manipulationsmechanismen. Es ist aber alles andere als selbstverständlich, dass der Führer einer ehemaligen Sowjetrepublik es wagt, Putin in aller Öffentlichkeit in eine unangenehme Lage zu bringen. Aus Sicht des Kremls und seiner Apologeten ist Russland das Zentralgestirn im postsowjetischen Raum. Alle anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion haben sich an ihm auszurichten. Beispielhaft für das Schicksal derer, die das nicht beherzigen, gilt russischen Funktionären und Propagandisten die Ukraine.

Richtig souverän könne eine ehemalige Sowjetrepublik nur sein, wenn sie über gute Beziehungen zu Moskau verfüge, schrieb der vom Leiter des Moskauer Carnegie-Zentrums zum Kreml-Adepten gewandelte Politologe Dmitri Trenin, ein ehemaliger Offizier des Militärgeheimdiensts, jüngst. Typisch an dieser Sichtweise ist die Einseitigkeit: Was unter Souveränität und guten Beziehungen zu verstehen ist, definiert Russland, nicht das von vornherein kleinere Gegenüber. Entsprechend empört fiel in Russland die Reaktion auf Alijews «Frechheit» gegenüber Putin aus. Kommentatoren in den sozialen Netzwerken erinnerten an die gut etablierte aserbaidschanische Diaspora in Russland, die etwas zu verlieren hätte, würden die Behörden ihr nun plötzlich besondere Aufmerksamkeit schenken.

Alijew, dessen Herrschaftssystem mit jenem Russlands wesensverwandt ist, liess sich von Russlands Dominanz noch nie allzu sehr einschüchtern. Auch hielt er Aserbaidschan stets von den sicherheits- oder wirtschaftspolitischen Bündnissen fern, die Putin als Machtvehikel im postsowjetischen Raum nutzt. Er konnte sich eine einigermassen unabhängige Aussenpolitik aufgrund der geopolitisch wichtigen Lage des Landes, der eigenen Rohstoffvorkommen und der exzellenten Beziehungen zur Türkei leisten. Sowohl westliche Kritik an der Unterdrückung von Medien und Opposition als auch russische Begehrlichkeiten prallten so weitgehend an ihm ab.

Russlands Abhängigkeiten

Auf Konfrontation zu Russland ging er dennoch kaum. Jüngst vertiefte sich das Verhältnis sogar, aber zugunsten Alijews: Aserbaidschan ist zu Russlands engstem Partner im Südkaukasus geworden. Dies, weil Russland das Land zur Umgehung von Sanktionen, wegen seiner Rohstoffe und wegen seiner Nähe zur Türkei mehr denn je benötigt. Alles das erleichtert es Alijew, in der Frage des abgestürzten Flugzeugs hart zu bleiben. Und es erschwert es Putin, die Forderungen zu ignorieren. Diese Umkehr ist auch eine Folge von Russlands Krieg gegen die Ukraine.

Ähnlich wie Putin ist auch Alijew auf Rückhalt in seiner Bevölkerung angewiesen. Die wunde Stelle seiner Herrschaft ist die schleppende wirtschaftliche Entwicklung. Lange hatte ihm der nationalistische Rausch als Stütze gedient, der in der Erlangung der Kontrolle über das armenisch besiedelte Nagorni Karabach seinen Höhepunkt erfuhr. Der Druck auf Armenien und das Wissen um militärische Übermacht in der Region tragen weiterhin zur Abstützung seiner Herrschaft bei. Auch jetzt erwartet die aserbaidschanische Gesellschaft von Alijew, gegenüber Russland Standhaftigkeit zu zeigen.

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