Freitag, November 15

Das Regime in Baku sieht sich als Scharnier zwischen Ost und West. Von der Weltklimakonferenz erhofft es sich neues Ansehen. Aber die jüngsten Kriege gegen Armenien und eine Repressionswelle gegen Andersdenkende trüben das Bild.

Der aserbaidschanische Langzeitherrscher Ilham Alijew kann sich freuen. Für zwei Wochen ist sein Land der Nabel der Welt. Die diesjährige Uno-Klimakonferenz (COP29) findet in Baku, der Hauptstadt Aserbaidschans am Kaspischen Meer, statt. 30 000 Gäste aus aller Welt kommen. Die Veranstaltung verspricht internationale Aufmerksamkeit und Prestige. Beides sucht Alijew, der sich erfolgreich als Scharnier zwischen Ost und West, zwischen russischen und westlichen Begehren positioniert hat und trotzdem zu wenig wertgeschätzt fühlt.

Seit den zwei siegreichen, mit türkischer Hilfe geführten Feldzügen gegen den Nachbarn Armenien um Nagorni Karabach tritt er noch selbstsicherer auf. Auch vom Zerwürfnis zwischen Russland und dem Westen profitiert er dank den für beide Seiten interessanten Rohstoffvorkommen. Gleichwohl liegt ein Schatten über der Tagung in Baku. Alijews Schergen sind in den vergangenen zwölf Monaten gegen Dutzende von Journalisten, politischen Aktivisten und oppositionellen Wissenschaftern vorgegangen. Aus unterschiedlichen Gründen haben zudem zahlreiche Präsidenten und Regierungschefs ihre Teilnahme am Klimagipfel wieder abgesagt und dem Stelldichein etwas von seinem erhofften Glanz entzogen.

Keine Stimmen für den Frieden

Beides hat auch mit Alijews Selbstherrlichkeit zu tun. Die Familie Alijew ist seit drei Jahrzehnten an der Macht und duldet keinen Widerspruch. Mit der «Heimholung» Karabachs müsste die Stellung des Herrscherhauses eigentlich unangefochten sein. Aber in der Gesellschaft rumort es gerade deshalb. Jahrelang hatten das Schicksal der Vertriebenen und die Hoffnung auf eine Revanche gegenüber Armenien als eine Art «nationale Idee» gedient. Als diese Tatsache wurde, traten die anderen Unzulänglichkeiten des Alijew-Regimes deutlicher zutage. Mit immer neuen Forderungen und Drohungen gegenüber Armenien unterminiert Alijew ständig den Friedensprozess und stachelt so Teile der Bevölkerung auf.

Die jüngste Repressionswelle, die im Sommer 2023 begann, richtet sich gegen die Kanalisierung des Protestpotenzials. Zunächst hatten sich die Festnahmen auf einen Umweltprotest um ein Goldminenprojekt bezogen. Zahlreiche Aktivisten, aber auch Journalisten wurden festgenommen, die Vorwürfe gegen sie waren höchst fragwürdig. Mehrere von ihnen arbeiteten für das Onlineportal Abzas, das über die Proteste und deren Hintergründe berichtet hatte, aber auch über korrupte Machenschaften im Umkreis des Präsidenten im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau der 2020 im Karabach-Krieg zurückeroberten Bezirke.

Ins Visier geraten sind aber auch Wissenschafter, die sich kritisch zum Regime geäussert haben. Der Erste war der im Ausland lebende Ökonom Gubad Ibadoghlu, der im Sommer 2023 während eines Aufenthalts in der Heimat festgenommen wurde. Ein Jahr später traf es, unter ähnlichen Umständen, Bahruz Samadov, einen jungen Politikwissenschafter und Doktoranden an der Karlsuniversität in Prag. Samadov hatte sich in den vergangenen Jahren pointiert in Beiträgen für ausländische Medien gegen Alijews Kriege ausgesprochen und für Versöhnung mit den Armeniern plädiert.

Kritik an der Karabach-Politik duldet Alijew erst recht nicht. Paradoxerweise lässt er diejenigen verfolgen, die für einen Frieden eintreten, den sich die Politik offiziell ebenfalls zum Ziel gesetzt hat. Weitere Personen, die in den sozialen Netzwerken und mit ihren Analysen ähnliche Absichten wie Samadov verfolgten, wurden verwarnt und mit Ausreisesperren belegt. Sie verkörpern eine neue Generation von Aktivisten, die auf Distanz gehen zur nationalistischen Politik des Regimes und zu den traditionellen Regimegegnern. Der Bannstrahl traf aber auch den Dissidenten und Träger des Sacharow-Preises des Europarats, Anar Mammadli, und weitere oppositionelle Stimmen.

Neue Nähe zu Russland

Die unverblümte Unterdrückung Andersdenkender ist einerseits ein Zeichen dafür, dass sich Alijew – ähnlich wie Wladimir Putin in Russland – mit zunehmender Zeit immer stärker ins Autoritäre flüchtet zur Sicherstellung der Macht. Anderseits zeigt sie auch, wie wenig sich der Präsident mittlerweile um die Aussenwirkung schert. Jahrelang legte das Regime seine Tentakel bis tief in westliche Institutionen aus und liess sich Persilscheine ausstellen. Zugleich fand in den vergangenen Jahren ohnehin eine Entfremdung vom Westen und eine Hinwendung Aserbaidschans zu autoritär geführten Staaten statt. Von diesen hat Alijew keine Moralpredigten zu befürchten.

Der überraschende Staatsbesuch Putins Ende August in Baku machte deutlich, dass sich Moskau im Südkaukasus auf Aserbaidschan abstützen will. Wie sehr sich Alijew tatsächlich auf Russland verlassen will, ist fraglich. Aber ideologisch, politisch und wirtschaftlich ist das der Türkei nahestehende Aserbaidschan derzeit für Russland der attraktivere Partner als Armenien, das lange der bevorzugte Partner des Kremls in der Region war und wo noch immer russisches Militär stationiert ist. Putin ist angesichts der Ausrichtung nach Osten auf den Nord-Süd-Korridor von Südasien via Iran angewiesen. Auch beim Erdgastransit wollen die beiden zusammenarbeiten.

Nach Russlands Angriff auf die Ukraine 2022 hofierte auch die Europäische Union Alijew. Mittlerweile hat sich das Verhältnis wieder abgekühlt, ganz besonders zu Frankreich, das fest an der Seite Armeniens steht. Als Alijew an einer Nebenveranstaltung von COP29 Frankreich und die Niederlande wegen ihrer Übersee-Inselterritorien als Kolonialisten beschimpfte, widerrief die Klima-Unterhändlerin Frankreichs ihre Teilnahme am Gipfel. Paris hatte Baku beschuldigt, die Unruhen auf der südpazifischen Insel Neukaledonien im Sommer angeheizt zu haben. Demonstranten waren damals mit aserbaidschanischen Flaggen durch die Strassen gezogen.

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