Mittwoch, Oktober 9

Seit Jahren kämpft Alima Diouf in Basel gegen Rassismus. Jetzt will sie für die SVP in die Politik. Wie passt das zusammen?

«Ich will, dass unser Aufschrei gehört wird», erklärt Alima Diouf. «Ich will, dass die Leute verstehen, wie die Realität von uns Migrantinnen und Migranten aussieht: Immer mehr kommen unwissend ins Land. Und viele, die schon da sind, haben keine Chance, vorwärtszukommen.»

Denn, so sagt sie: «Das System macht nur Probleme und sorgt für Konflikte unter uns.»

Alima Diouf ist die momentan vielleicht schillerndste Figur in der Basler Politik. Seit Jahren engagiert sie sich für Migrantinnen und Migranten. Im Herbst kandidiert sie fürs baselstädtische Kantonsparlament – und dies ausgerechnet auf der Liste der SVP. Für diejenige Partei, die Migranten für fast alle Probleme im Land verantwortlich macht. Wie passt das zusammen?

Diouf ist eine energiegeladene Erscheinung und fast immer in Fahrt. Vor Beginn des Gesprächs an einem heissen Nachmittag schliesst sie noch rasch ihr kleines Strassenrestaurant am Rand einer Kreuzung im Kleinbasel zu. Vor einigen Jahren hat sie es in einem leerstehenden Kiosk eingerichtet. Jeden Tag serviert sie dort Mittagessen für die Leute aus dem Quartier. Nun räumt sie die letzten Tische und Stühle vom Trottoir.

Dann eilt sie in ihrem traditionellen orangefarbenen und bodenlangen Kleid samt Kopftuch über den Platz zum Auto, um die Parkkarte zu verstellen. «Sonst muss ich die Verkehrspolizisten im Auge haben», sagt sie entschuldigend, während sie schon wieder rennt, dieses Mal in den Abstellraum, um einen Tisch und zwei Stühle für das Interview heranzuschleppen.

Alima Diouf kommt 1994 im Alter von 21 Jahren als Ehefrau eines Schweizers eher zufällig nach Basel. Bald geht die Ehe in die Brüche, aber Diouf bleibt in der Stadt. Sie lernt Deutsch und versucht sich mit Jobs in Spitälern und Altersheimen über Wasser zu halten. Sie zieht allein zwei Söhne gross, die inzwischen erwachsen sind.

Jeder kann es schaffen

Sie absolviert in der Schweiz mehrere Ausbildungen, darunter eine Lehre zur Pflegeassistentin und eine zweite zur Fachfrau für Finanz- und Rechnungswesen. Das verhilft ihr zu besseren Jobs, auch wenn sie noch lange von Sozialhilfe abhängig bleibt.

Jeder kann es schaffen, lautet einer von Dioufs Merksätzen. Aber sie erfährt auch, wie schwierig es für Migrantinnen und Migranten ist, in der Schweizer Arbeitswelt voranzukommen. Sie vernetzt sich, lernt Leute kennen und spielt bald in einem Dokumentarfilm mit, der ihre eigene Geschichte erzählt.

Und sie beginnt sich für Migrantinnen und Migranten einzusetzen: zuerst nebenbei, weil in der Community rasch alle wissen, dass sie sich auskennt und Tricks weiss, um sich im fremden Land möglichst gut durchzuschlagen. «80 Prozent der Leute, mit denen ich in Basel bekannt bin, sind Ausländer», sagt sie.

Weil sie glaubt, dass viele von ihnen bei den offiziellen Stellen oft schlecht beraten werden, gründet sie 2014 einen eigenen Verein – Migranten helfen Migranten (MhM). Sie bringt ihre Klienten dazu, Deutsch zu lernen. Sie bleut ihnen ein, dass man in der Schweiz Frauen nicht anmacht, auch wenn sie viel Haut zeigen. Sie erläutert Verkehrsregeln und Umgangsformen. Sie drängt dazu, rasch Arbeit zu suchen. Sie hilft ihnen beim Umgang mit Ämtern und beim Ausfüllen von Formularen.

Als Hobby baut sie für den MhM-Verein ihr kleines Restaurant auf, wo sie Leute beschäftigt, die in der Sozialhilfe hängengeblieben sind. Hier, im «Qiosk», wie Dioufs Buvette heisst, sind alle willkommen. Niemand muss konsumieren, und jeder bezahlt, was er gerade kann.

Kein Wunder, dass es Konflikte gibt

Das alles klingt fast perfekt nach einem Musterlebenslauf für eine SP-Karriere. Doch von den linken Parteien, die in Basel den Ton angeben, hält Diouf nicht viel. Statt dass man sich wirklich um die Anliegen der Migranten kümmere, werde Geld an selbsternannte Experten verteilt, die meist der SP nahestünden. Sie findet, die Probleme würden verdrängt, die Situation werde beschönigt und obendrein würden Migranten gegeneinander ausgespielt.

Auf die Frage, was sie damit meine, zeigt sie auf zwei Jungen, die zufällig vorbeilaufen, dem Aussehen nach am ehesten Schweizer. «Diese beiden», sagt sie, «müssen jedes Tramticket selber bezahlen.» Genau wie alle vorläufig Aufgenommenen, die teilweise seit Jahren hier lebten und hart arbeiteten. Nur die Leute aus der Ukraine erhielten ein Abo gratis. «Niemand versteht das», sagt Diouf kopfschüttelnd. «Kein Wunder, dass es Konflikte gibt. Und das ist nur ein Beispiel.»

In dem Quartier, in dem Dioufs «Qiosk» wie auch die Büros ihres Vereins Migranten helfen Migranten liegen, gibt es viele solche Spannungen. Wenige hundert Meter entfernt liegt die Dreirosenanlage, ein mittlerweile über die Stadt hinaus bekannter Kleinbasler Hotspot. Wegen des offenen Drogenhandels, einer Unzahl von Ladendiebstählen und anderer Delikte sowie einiger brutaler Überfälle und Schlägereien geriet das Viertel in Verruf.

Lange Zeit wurden die Missstände kleingeredet, bis ein Sitzungsprotokoll auftauchte, in dem Vertreter von Schulen, diversen sozialen Institutionen, der Polizei und weitere Akteure Tacheles redeten. Schonungslos wurden die Zustände rund um die Dreirosenanlage beschrieben: Kinder und Frauen mieden den Ort aus Angst, obwohl sich dort Schulen und Freizeitanlagen befänden. Nicht selten musste die Polizei am gleichen Tag mehrfach ausrücken.

Diouf bekommt die Unruhe im Quartier täglich zu spüren, die Diebstähle, die Übergriffe, die oft angespannte Atmosphäre. Auch Migrantinnen und Migranten leiden darunter. Und oft geraten sie gleich doppelt unter Druck: als Opfer von Delikten, die sich im Quartier häufen. Und als Sündenböcke für Anwohner und Polizisten. Mit den Klagen über Schikanen und rassistische Ausfälle von Polizisten ist Diouf fast täglich konfrontiert.

«Polizisten helfen uns mehr als radikale Linke»

Statt aber gegen Racial Profiling zu protestieren, organisiert Diouf kurzerhand Treffen zwischen Migranten und Polizisten, um gegenseitiges Verständnis zu schaffen. Konflikte entstünden aus dem Zusammentreffen unterschiedlicher Weltanschauungen und Werte, die uns aus unserer Kultur und Tradition mitgegeben würden, sagt sie.

So schildern Asylsuchende vor Beamten in Uniform, welche Ungerechtigkeiten sie erleben. Und die Polizisten erhalten Gelegenheit, aus ihrem Alltag voller Stress und Anfeindungen zu erzählen. Sie erklären, wie man sich bei Konflikten verhalten soll, und Diouf trägt dazu bei, dass sich solche Tipps in der Szene verbreiten: «Polizisten helfen uns mehr als radikale Linke», sagte sie vor einigen Jahren in der «Basler Zeitung» – ein typischer Diouf-Satz.

Solchen Klartext spricht sie gerne auch gegenüber ihren Klienten: Für Nigerianer beispielsweise, die in Basel auftauchen, hat sie genau zwei Ratschläge parat: «Geht nicht zur Dreirosenanlage, zur Kaserne und zum Claraplatz. Dort werdet ihr als Drogendealer kontrolliert oder verhaftet, auch wenn ihr keine seid.»

Und zweitens: «Verschwindet aus der Schweiz, geht nach Italien oder Frankreich. Wer aus Nigeria oder Senegal kommt, wird hier als Flüchtling niemals ein Bleiberecht erhalten, egal, was man euch erzählt. Ihr verschwendet hier bloss eure Zeit.»

Die Angst davor, die Wahrheit auszusprechen, hält Diouf für eines der Hauptprobleme in der Schweiz: Die Stadt Basel mit ihrem Hang zur Multikulti-Romantik gaukle nicht nur sich selber etwas vor, sondern auch denjenigen, die hierherkämen. So sei beispielsweise die Sozialhilfe für viele auf den ersten Blick ein Symbol des Wohlstandes, ein Versprechen. In Wahrheit aber wollten die meisten Leute arbeiten. Das Nichtstun mache die Menschen krank. Und die Sozialhilfe nehme ihnen die Würde.

Die stolzen Löwen aus Senegal

«Haltet euch von der Sozialhilfe möglichst fern», rät Diouf Migrantinnen und Migranten deshalb und unterstreicht dies gern mit einem bildhaften Vergleich: «In Afrika sind die Löwen stolze und starke Tiere», erzählt sie: «Wenn ihr aber Sozialhilfe annehmt, werdet ihr wie die Löwen hier im Zoo. Gut gefüttert, aber eingesperrt. Und alle zeigen mit dem Finger auf euch.»

So steht Diouf tagtäglich an der Front und versucht Migrantinnen und Migranten zu vermitteln, wie die Schweiz funktioniert. Und dort, wo das System Probleme macht, versucht sie, die Defizite auszugleichen.

Für minderjährige vorläufig Aufgenommene, die die Schweiz auch nach Jahren nicht einmal für einen Besuch in der deutschen Nachbarschaft verlassen dürfen, holt sie bei der Polizei Ausnahmebewilligungen. Um mit ihnen einen Ausflug ins Kinderparadies Okidoki in Lörrach zu unternehmen, von dem in der Klasse alle Mitschüler erzählen.

Sie führt kostenlose Familienferien für Migranten im Baselbiet durch, veranstaltet Sportaktivitäten im Quartier. Sie plant Aktionswochen gegen Rassismus, Quartierfeste, bei denen die verschiedenen Religionen aufeinandertreffen. Sie sammelt Spenden für bedürftige Familien in der Stadt. Und sie organisiert bei Stiftungen und Firmen die nötigen Mittel, um dies alles finanzieren zu können. So sieht ihre Website aus wie ein wildes Sammelsurium aus den Anfängen des Internets.

Es gibt im Sozialbereich diesen Typus von Helfern, die mit einer Flut von Ideen und Initiativen Dinge fast im Alleingang auf die Piste bringen, die in etablierten Institutionen und bei Behörden rasch kompliziert werden und versanden. Sie leisten Enormes. Doch weil alle anderen stets zu langsam sind, geht bald nichts mehr ohne sie. Dann stehen solche Helfer plötzlich selber im Mittelpunkt – mehr noch als die gute Sache.

Und Schritt für Schritt droht so die eigene Sicht- und Herangehensweise zur einzig richtigen zu werden. Regeln und Einwände werden lästig. Vorgaben von Geldgebern werden unangenehm, Kritik ist zunehmend unerwünscht. So erhält die gute Sache schleichend einen missionarischen Anstrich. Auch bei Diouf sind solche Anzeichen spürbar.

«Ich bleibe dran»

Während sie selber heftige Kritik übt – an der Politik, am Asylwesen, am Kanton, an den Ukrainern, an der Sozialhilfe, an den Arbeitgebern, an den linken Politikern –, ist Diouf von ihrer eigenen Mission stets zu hundert Prozent überzeugt. So stört sie sich beispielsweise daran, dass sie Gelder vom Kanton Basel-Stadt nicht einfach so erhält, sondern für ihre Projekte mit angeblich ungeeigneten Fachleuten aus der Verwaltung zusammenarbeiten muss. Es sei eine «Anti-Alima»-Allianz am Werk, sagt sie dann.

Oder, kurz gesagt: Das System macht nur Probleme.

Ob aber das System SVP für Alima Diouf auf Dauer funktioniert (und umgekehrt), wird auch am Ende des Nachmittags auf dem Trottoir vor dem «Qiosk» nicht klar. Bei allen Übereinstimmungen in Sachen Grenzschutz, Kriminalität oder Sozialhilfe (und darüber, wer für die Missstände verantwortlich ist): Die Widersprüche bleiben. Und sie sind offenkundig.

So liegen Diouf nach eigenen Worten vorläufig Aufgenommene, die hier geboren oder aufgewachsen sind, besonders am Herzen – jene Kategorie von Menschen, die die SVP nicht mehr in die Schweiz lassen und deren Bleiberecht sie abschaffen will. Diouf will das Verständnis für Migrantinnen und Migranten fördern. Mit einer Partei im Rücken, die ausländerfeindliche Kampagnen führt. Sie sammelt Geld für arme Asylsuchende, während die SVP deren Unterstützung kürzen will. Sie betont, wie ihr das multikulturelle Leben im Klybeck gefalle, das für ihre Partei zur Dauerzielscheibe geworden ist. Und so weiter.

Noch vor einigen Jahren kritisierte Diouf die Politik ihrer Partei in einer Publikation der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR) heftig: Solange die alte «Das Boot ist voll»- und «Die Schweiz den Schweizern»-Mentalität zelebriert werde, hätten Migranten kaum Chancen, in die Gesellschaft aufgenommen zu werden, schrieb sie: «Mit der von harten SVP-Positionen geprägten Ausländerpolitik stossen wir an die Grenzen der Integrationspolitik im Kampf gegen Rassismus.»

Diouf redet solche Differenzen klein, doch sie streitet nicht ab, dass es sie gibt. Auch wenn die SVP von allen Parteien die beste Politik mache: Sie schreibe alles auf, was sie an Negativem über die Partei höre und was sie selber störe. Dann melde sie es jeweils dem Parteivorstand: «Schaut euch das noch einmal an. Wenn ihr etwas erreichen wollt und keine Fremdenhasser seid, dann zeigt das auch.»

Diouf glaubt, dass sich die SVP nur wenig ändern muss, um die meisten Migranten auf ihre Seite zu ziehen. «Ich bleibe dran», versichert sie. Es klingt, als habe sie ein neues Tummelfeld entdeckt.

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