Sonntag, Januar 12

Ob in der Bar, am Konzert oder im Restaurant: In der Schweiz wird immer weniger getrunken. Was gut für die Gesundheit ist, stellt Anbieter im Freizeitbereich vor Finanzierungsprobleme.

Die Schweiz steuert auf die grosse Trockenheit zu. Wobei für einmal nicht das Klima gemeint ist, sondern das Trinkverhalten. Ob aus Sorge um die Gesundheit, zur Schonung des Portemonnaies oder als Spätfolge von Corona: Während die Ursachen noch unklar sind, sind die Zahlen eindeutig.

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So wurden hierzulande im Jahr 2023 über 1,3 Millionen Liter weniger Wein getrunken als noch im Jahr zuvor – und das, obwohl die Bevölkerung gewachsen ist. Gleichzeitig fiel beim Bier der Konsum erstmals in der Geschichte auf unter 50 Liter pro Person und Jahr.

«Der Umgang mit alkoholhaltigen Getränken ist heute radikal anders», sagt Marcel Kreber, Direktor des Schweizer Brauerei-Verbands. «Ohne dies zu werten: Früher war es kein Problem, nach einem geschäftlichen Mittagessen auch einmal angesäuselt zurück ins Büro zu kommen. Heute macht man sich damit verdächtig.»

Alle zehn Jahre führt der Bund eine Gesundheitsbefragung in der Bevölkerung durch. So konsumieren 83 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer Alkohol – ein Wert, der seit Jahrzehnten stabil ist.

Doch Menge und Häufigkeit sind stark rückläufig. Im Jahr 2022 gaben 12,4 Prozent der Männer an, täglich Alkohol zu konsumieren. 1992 waren es noch über 30 Prozent. Bei den Frauen fiel der Wert von 11,5 auf knapp 5 Prozent.

Bemerkenswert ist die Zurückhaltung bei den Jungen. Von den 15- bis 24-jährigen Männern geben etwas mehr als die Hälfte an, entweder abstinent zu leben oder seltener als einmal die Woche zum Glas zu greifen. Bei den gleichaltrigen Frauen sind es fast zwei Drittel.

Die Zeiten, in denen sich zu besaufen als cool galt, sind passé. Es wächst eine Generation heran, die ihr Geld tagsüber in teure Pflegeprodukte investiert, um abends im Ausgang eine Cola Zero zu bestellen. Der Geschmack von Alkohol wird ihr ein Leben lang fremd bleiben.

Was aus gesundheitlicher Sicht ein Segen ist, hat weitreichende wirtschaftliche Konsequenzen. Zahlreiche Branchen kommen nur dank dem Verkauf von alkoholischen Getränken über die Runden. Darunter fallen viele Angebote in Kultur und Freizeit, die als gesellschaftlich wertvoll gelten. Diese haben nun einen Kater – nicht wegen zu viel, sondern wegen zu wenig Alkohol.

Gäste geben 40 Prozent weniger aus

Man sei nur geringfügig vom allgemeinen Rückgang des Weinkonsums betroffen, teilt das Zürcher Gastrounternehmen Bindella mit. Dies, weil man auf qualitativ hochwertige Weine setze, für welche die Nachfrage konstant bleibe. Bindella betreibt in der ganzen Deutschschweiz Restaurants mit italienischer Prägung und ist zudem im Weinhandel tätig. «Der Umsatz mit Wein und anderen alkoholhaltigen Getränken spielt eine bedeutende Rolle für den Erfolg von Bindella.»

Man könne die Aussagen, wonach weniger Alkohol konsumiert werde, weder bestätigen noch dementieren, heisst es beim Open Air St. Gallen. Vieles hänge vom Wetter ab. Die Einnahmen durch Essen und Getränke seien aber ein wichtiger Teil der Gesamtfinanzierung für die Festivals, teilt eine Sprecherin mit.

Offen darüber gesprochen wird nicht gern. Aber: Konzert- und Kleinkunstbühnen öffnen bewusst ihre Bar lange vor den Auftritten. In der Gastronomie kostet eine Flasche Wein schnell das Sechsfache vom Einkaufspreis. Trotz teilweise hohen Eintrittspreisen leben Nachtklubs nicht von den Ticketverkäufen, sondern von ihrer Bar. Und im Fussballstadion ist Bier das meistverkaufte Getränk überhaupt.

«Ein lebendiger Stammtisch kann einen Beizer tragen. Doch die Stammtischgeneration stirbt weg», sagt der Brauerei-Verband-Direktor Kreber. Die Frage sei, was danach komme. «Dazu macht man sich noch zu wenig Gedanken. Bier ist ein Umsatztreiber für viele Angebote, welche das Leben bereichern: Kultur, Gastronomie, Sport.»

Besonders betroffen ist die Bar- und Klubszene. Obwohl Nachtklubs meist Eintritt verlangen, macht dieser gemäss einer Umfrage der Schweizer Bar- und Club-Kommission im Schnitt nur rund 25 Prozent des Umsatzes aus. 60 Prozent stammen aus dem Verkauf von Getränken. Bei Bars ist der Anteil naturgemäss noch höher: Diese leben zu 87 Prozent vom Getränkeausschank.

«Vergleicht man die Jahre 2018 und 2023, dann ist der Umsatz pro Gast um 40 Prozent gesunken. Das liegt wesentlich am veränderten Trinkverhalten», sagt Alexander Bücheli, Sprecher der Zürcher Bar- und Club-Kommission (BCKZH).

Laut Bücheli ist es eine Folge des gesünderen Lebenswandels. Denn es sei nicht so, dass auf andere Drogen ausgewichen werde. «Wie es in den 1990er Jahren der Fall war, als in den Klubs die Umsätze an der Bar zusammenbrachen, weil alle auf Ecstasy waren.»

Im Nachtleben nimmt vor allem der Bierkonsum ab. Auch Cocktails seien betroffen, sagt Bücheli, aber weniger ausgeprägt. Zwar steigt die Nachfrage nach alkoholfreien Alternativen. Aber diese könnten die zurückgehenden Umsätze mit den klassischen Drinks nicht kompensieren. «Während man früher vielleicht fünf normale Biere trank, sind es heute zwei alkoholfreie. Denn es geht ja nicht mehr um den Rausch», sagt der BCKZH-Sprecher Bücheli.

Die Bauern machen es vor

Alkoholfreies Bier erlebt in der Schweiz derzeit einen Boom und hat 7 Prozent Marktanteil. Trotzdem dürfte es eine Nische bleiben: Beim Brauerei-Verband geht man davon aus, dass das Potenzial bei rund 10 Prozent am Gesamtmarkt liegt.

Alkoholfreie Weine haben einen noch schwereren Stand. Weil Wein mehr Volumenprozent aufweist, ist der Geschmack stärker vom Alkohol abhängig. Es ist deshalb schwieriger, gute Alternativen hinzubekommen.

Aber was heisst das nun fürs betroffene Gewerbe? «Die Klubs haben sich immer für einen verantwortungsbewussten Umgang mit Alkohol eingesetzt. Wir finden diese Entwicklung gut. Aber sie hat natürlich Konsequenzen», sagt Alexander Bücheli, «auf Dauer ist die Kultur der Nacht in der Schweiz gefährdet.»

Da die Preise schon heute hoch seien, könne man nicht einfach mehr verlangen. Bücheli appelliert deswegen an die Politik. «Eine Stadt ohne Nachtleben ist tot. Die Politik muss anfangen, sich Gedanken zu machen, wie sie die Kultur der Nacht unterstützen kann.»

Öffentliche Gelder fürs Nachtleben, weil zu wenig gesoffen wird? Damit begibt sich die Branche auf ein heikles Terrain. Aber wie so oft bei abenteuerlich anmutenden Subventionen hat es die Landwirtschaft bereits vorgemacht. 2024 haben sich die Weinbauern jährlich 9 Millionen Franken an zusätzlichen Staatshilfen vom Bund gesichert, um ihren Absatz zu fördern.

Schöntrinken lässt sich die Lage offenbar nicht mehr.

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