Eigentlich war Labour die traditionelle Heimat der britischen Muslime. Doch seit Keir Starmer mit dem Antisemitismus in seiner Partei aufgeräumt hat, haben viele Muslime Labour verlassen. Ein Teil schloss sich den Grünen an. Die Partei freut sich über den Zuwachs. Trotz radikalen Tendenzen.
Er hebt drohend den Zeigefinger und schreit: «Allahu akbar». Die Männer klopfen dem Muslim mit Vollbart auf die Schulter. Sie alle tragen traditionelle Kaftane, eine Kopfbedeckung, Gebetstücher. Zwei von ihnen halten eine Palästinenser-Flagge hoch. Mit heiserer Stimme ruft der Wortführer: «Wir werden uns nicht mehr den Mund verbieten lassen. Wir werden die Stimme Palästinas erheben! Allahu akbar!» Die Männer jubeln.
Die Szene vor einer Woche spielte sich nicht im Nahen und Mittleren Osten ab, sondern mitten in Leeds im Norden Englands. Der propalästinensische Aufruf war quasi die Antrittsrede von Mothin Ali. Der Islamist hatte gerade die Wahl im Stadtbezirk Gipton and Harehills gewonnen. Er war für die Grünen angetreten.
Die Partei freut sich über den Sieg. Schliesslich bringen Leute wie Mothin Ali den Grünen Wählerstimmen und Sitze in den Gemeinderäten.
Die Partei, angeführt von einem wenig bekannten Duo – Carla Denyer und Adrian Ramsey –, hat etwas mehr als 50 000 Mitglieder, ist fast nur auf Gemeindeebene vertreten, das aber seit fünf Jahren mit immer mehr Kandidaten und Kandidatinnen. In der Unterhauswahl im Herbst wollen die Grünen erstmals in ganz England und Wales aufgestellt sein. Da hilft es, dass die Partei zum Sammelbecken all derer wird, die sich von der Oppositionspartei Labour nicht mehr verstanden fühlen.
Dazu gehören zunehmend muslimische Wähler und Wählerinnen, vor allem diejenigen, die sich von dem Krieg in Gaza haben radikalisieren lassen. Das ist nicht schwer in einem Land, in dem in gewissen Stadtbezirken mehr als 20 Prozent Muslime wohnen und wo Moscheen ihre Gläubigen ideologisch zu indoktrinieren suchen und der Krieg in Gaza als grosse Ungerechtigkeit gegen ein armes, unterdrücktes Volk angesehen wird. Muslime machen 6,5 Prozent der britischen Bevölkerung aus.
Grüne dulden Tiraden gegen Israel
Traditionell wählten die Muslime als sozial benachteiligte Gruppe asiatischer Einwanderer die Arbeiterpartei Labour. Aber seit der Oppositionsführer Keir Starmer 2020 den Parteivorsitz übernommen hat, hat sich dies geändert.
Starmer hat die Partei grundlegend erneuert: Die extreme Linke, die unter Jeremy Corbyn an der Macht war, drängte der ehemalige Staatsanwalt aus der Partei, Programmpunkte wie Verstaatlichungen warf er über Bord, und die unrealistischen Umweltziele schob er auf die lange Bank. Starmer räumte auch mit dem Antisemitismus in der Partei auf. Sowohl bei seinen linken Genossen als auch bei der muslimischen Anhängerschaft. Das führte zu einem Exodus.
Zum offenen ideologischen Streit kam es nach dem Angriff der palästinensischen Terrororganisation Hamas aus dem Gazastreifen auf Israel am 7. Oktober 2023. Damals bekräftigte Starmer, dass Israel das Recht auf Selbstverteidigung habe und deshalb Israel Gaza sogar humanitäre Hilfe vorenthalten dürfe. Das löste in der muslimischen Öffentlichkeit einen Sturm der Entrüstung aus. Anders als Labour hatten die Grünen einen sofortigen Waffenstillstand und ein Waffenembargo gegenüber Israel verlangt. Viele Muslime wechselten aus diesem Grund zu der Umweltpartei.
Eine Umfrage des Muslim Census ergab, dass der Anteil der Muslime, die gar nicht wählen wollen, seit 2019 von 12 auf 40 Prozent gestiegen und die Unterstützung der Muslime für Labour von 71 auf 4,8 Prozent abgesackt ist. Der Anteil der muslimischen Grünen dagegen stieg von 2 auf 17 Prozent.
Der Gefühlsausbruch von Mothin Ali nach seiner Wahl war keine Überraschung. Seit dem Angriff der Hamas auf Israel veröffentlicht er wütende Tiraden gegen den «Besetzer Israel», der die Raketenangriffe der Palästinenser als Vorwand für den «modernen Genozid» nutze. Nach ähnlichen Aussagen hatte Labour ihren Kandidaten Azhar Ali aus der Partei gestossen. Die Grünen dulden indes den unverhohlenen Islamismus ihrer neuen Parteimitglieder und Kandidaten.
Mothin Ali veröffentlichte auch Hasstiraden gegen den jüdischen Rabbi Zecharia Deutsch, zeigte Sympathien für die Huthi-Rebellen, machte die britische Regierung für den «Mord am palästinensischen Volk» mitverantwortlich.
Kampagnengruppen gegen den Antisemitismus und der jüdische Rat in Leeds schlugen zwar Alarm. Der unabhängige Regierungsberater für Antisemitismus, Lord Mann, traf Parteivertreter der Grünen, um mit ihnen das weitere Vorgehen, ja sogar die Suspendierung von Mothin Ali zu diskutieren. Doch nichts passierte.
Für die Grüne Partei ist Mothin Ali in erster Linie ein in seiner Gemeinde «engagierter» Kandidat. Auf der Website der Partei in Leeds heisst es etwa: «Neben seinem Engagement für lokale Themen ist er von Beruf Buchhalter und ausgebildeter Mufti. Er lebt seit mehr als zwanzig Jahren in Gipton und Harehills und hat sich in dieser Zeit immer in der Gemeinde engagiert, sei es als Freiwilliger in der Moschee, der Kindern Arabisch beibringt, sei es durch Kampagnen gegen die Erteilung von Lizenzen für den Alkoholverkauf oder gegen die Ausbeutung junger Menschen durch Drogenhändler.»
In Grossbritannien gibt es etwa 1500 Moscheen und Gebetshallen sowie 3000 muslimische Wohltätigkeitsorganisationen, von denen einige ideologische Ableger der Muslimbruderschaft sind. Diese zielt – wie die Hamas im Gazastreifen – darauf ab, die westliche Gesellschaft zu unterwandern, um das System in Richtung Kalifat unter Anwendung der Scharia zu beeinflussen. Premierminister Rishi Sunak hatte davor gewarnt, dass Extremisten die Situation in Gaza und die Pro-Palästina-Demonstrationen nutzten, um ihre eigene Agenda zu fördern.
Warnungen gab es schon vor Jahren
Schon im Jahr 2015 warnte ein parlamentarischer Bericht der Regierung vor der Gefahr der Ideologie der Muslimbrüder für Grossbritannien. Seit mehr als fünfzig Jahren baue die Muslimbruderschaft Organisationen in Grossbritannien auf, die – hinter anderen Gruppierungen versteckt – versuchten, Einfluss auf Abgeordnete und Lokalwahlen auszuüben. Dazu gehörten die Islamic Society of Britain, die Muslim Association of Britain und das Muslim Council of Britain. Über Jugendorganisationen und Veranstaltungen in Moscheen würden Gelder für die Hamas gesammelt. Die Organisationen seien ein Sicherheitsrisiko.
Viel geschah indes nicht seither. Denn solange es nicht um offenen Terrorismus ging, wurde in Grossbritannien lange nicht hingeschaut. Toleranz schien wichtiger als Kontrolle: Bürgerrechtsgruppen und die Kirche fordern bis heute, Teile der Gesellschaft sollten nicht «ausgegrenzt» werden. Sie pochen darauf, dass Grossbritannien eine multikulturelle Gesellschaft sei, dass die Meinungsfreiheit geachtet werden müsse.
Aber wo hört freie Meinungsäusserung auf, und wo beginnt der ideologische Kampf der Islamisten? In manch muslimischen Stadtteilen wehen in England bereits die Palästinenser-Flaggen von öffentlichen Fahnenstangen. Zu Ramadan wurden die Autofahrer auf der Einfahrt nach London von einer Leuchtreklame aufgefordert, im Namen von Allah Almosen zu geben. Islamisten versuchen sogar, in Schulen muslimische Gebetsräume durchzusetzen.
Inwieweit Mothin Ali einer extremistischen Ideologie folgt, ist unklar. Suspendiert wurde er von seiner Partei nicht, für seine Worte nach dem Wahlsieg entschuldigte er sich. Damit schien für seine Partei der Fall erledigt.
Auch ein anderer Kandidat der Grünen, Mohamed Makawi, musste sich entschuldigen, da er in den sozialen Netzwerken behauptet hatte, die israelischen Zivilisten seien am 7. Oktober 2023 nicht von der Hamas, sondern vom israelischen Militär getötet worden. Die Partei der Grünen sagte in einer Stellungnahme, die neuen Kandidaten müssten noch mehr «Medientraining» erhalten. Sie seien selbstverständlich nicht für Gewalt.
Das ehemalige Mitglied des Kabinetts von Premierminister Tony Blair, Lord Mandelson, bemerkte dazu: «Die Partei der Grünen wird zum Mülleimer all der verprellten Linksextremisten und einiger ziemlich unsäglicher radikaler Palästina-Aktivisten.»
Mit landesweit 6 Prozent der Stimmen kommen die Grünen im britischen Wahlsystem nicht weit. Derzeit haben sie nur eine Abgeordnete im Parlament. Die Frage ist allerdings, ob Keir Starmer weiterhin dem Druck in seiner Labourpartei standhalten kann, die extremistischen Muslime mit Zugeständnissen in der Politik zurückzugewinnen.
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