Freitag, November 29

Gegen Dänemark soll am Donnerstag eine neue Ära im Schweizer Tor beginnen. Für Yann Sommers Nachfolger endet ein langes Geduldsspiel. Nun muss er beweisen, dass er auch als Nationalkeeper zu den Weltbesten zählt.

Was lange währte, soll nun endlich gut werden: «Wie ein Maikäfer» habe Gregor Kobel gestrahlt, als er ihn in Kenntnis gesetzt habe, dass Yann Sommer zurücktrete und der Weg nun frei sei für ihn, die Goalie-Position zu übernehmen.

So beschreibt Patrick Foletti den Moment, als er dem 26-jährigen Kobel die Beförderung zum Schweizer Goalie Nummer eins mitteilte. «Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit», sagte Foletti, «Kobel ist der beste Schweizer Goalie im Herbst 2024.»

Für Kobel endet ein langes Geduldsspiel

Seit 2012 ist Foletti der Goalietrainer der Nationalmannschaft. Er ist der Mann, der den Wechsel begleitet, moderiert, vorangetrieben, empfohlen hat – so genau kennt man die internen Vorgänge ja nicht, wenn einer nach zehn Jahren und 94 Länderspielen aufhört und ein anderer übernimmt. «Es war ein Prozess», sagte Foletti. Am Dienstag sprach er zum ersten Mal über den Wechsel, dessen Vollzug so lange auf sich warten liess. So ein «Prozess» dauert eben mit all den Diskussionen, Gedankenspielen, Gefühlen und Projektionen. Gut, dass nun Klarheit herrscht.

Schon in der Nacht nach dem verlorenen EM-Viertelfinal gegen England habe er in Stuttgart mit Sommer ein langes Gespräch geführt, berichtete Foletti. Er solle sich in den Ferien Gedanken machen, ob er weitermachen wolle. Als Sommer das Training bei Inter wieder aufnahm, kam es zu einem Treffen in einem Hotel in Mailand. «Als ich mich am Abend in den Zug zurück in die Schweiz setzte, war ich mir sicher, dass Yann aufhören wird», sagte Foletti.

Foletti sprach von Fakten, Analysen und Statistiken, aus denen sich Tendenzen und Prognosen ableiteten, dass er Sommer keine Garantie mehr geben könne, mit Blick auf die WM 2026 die Nummer eins zu bleiben. Irgendwann muss sich Sommer dann dazu durchgerungen haben, ein Einsehen zu haben. Anders als Xherdan Shaqiri und Fabian Schär, die ebenfalls zurückgetreten sind, verpasste es Sommer allerdings, seinen Rücktritt selbst zu verkünden. Weil es zu einem Informationsleck gekommen war. Das war freilich nur ein bereits verklungener Misston am Ende einer grossartigen Karriere als Goalie mit den meisten Länderspiel-Einsätzen und fünf Endrunden-Teilnahmen.

Gleichzeitig ist es kein verwegenes Gedankenspiel, dass Sommer weitergemacht hätte, wenn er nicht den immer heisseren Atem von Gregor Kobel im Nacken gespürt hätte. Vier Mal in Folge war Kobel vom Fachmagazin «Kicker» zum besten Bundesliga-Goalie gewählt worden. Sommer erhielt in seinen drei letzten Saisons in Deutschland deutlich schlechtere Bewertungen. Experten im In- und Ausland schüttelten immer wieder den Kopf darüber, dass es sich das Schweizer Nationalteam leistet, mit dem zweitbesten Goalie zu spielen.

Kobel versteckt seinen Ehrgeiz nicht hinter einer Schwiegersohn-Fassade. Er kann direkt sein und sehr klar, wie es Sommer höchstens war, wenn man es nicht schrieb oder sendete. Kobel dagegen verhehlte nie, dass er es beispielsweise nicht besonders attraktiv findet, in Andorra einen Einsatz zu bekommen, fast beschäftigungslos zu bleiben und dann wegen nachlässiger Vorderleute auch noch ein Gegentor zu kassieren.

Dass er auch im Nationalteam für grosse Spiele bereit ist, konnte er nur einmal beweisen, an der WM in Katar, als sich Sommer krank abmelden musste. Der damals 23-jährige Kobel zeigte beim 3:2 gegen Serbien eine Top-Performance. Im WM-Achtelfinal gegen Portugal ein paar Tage später musste ein matter Yann Sommer dann sechs Gegentore zulassen. Es ist nachvollziehbar, dass es für Kobel in den vergangenen anderthalb Jahren immer anspruchsvoller wurde, Geduld aufzubringen. Kobel sei sehr selbstbewusst, sagte der Nationaltrainer Murat Yakin, «vielleicht war er manchmal auch zu selbstbewusst».

Die Wirkung auf ein ganzes Land

Kobels Berater Philipp Degen machte lautstark Druck, dass Kobel an der EM in Deutschland im Tor stehen müsse. Es hiess, Kobel stehe nicht mehr zur Verfügung nach der EM ohne Beförderung zur Nummer eins. Es gab Gerüchte, dass Kobel nach dem langen Hinhalten nicht mit Foletti zusammenarbeiten werde. «Davon habe ich auch gehört, aber nie von Gregor», sagte Foletti mit einem feinen Lächeln, «jeder darf sagen und denken, was er will, für mich zählt nur der direkte Austausch mit dem Goalie.» In einem Interview mit der NZZ sagte Foletti einmal, er habe lernen müssen, dass er nicht der beste Freund seiner Goalies sein müsse.

«Gregor wusste immer, wo er im Prozess zur Nummer eins stand», sagte Foletti. Er erwähnte «stundenlange Gespräche bei mir im Garten und in Dortmund bei Kobel zu Hause», in denen er sich mit seiner neuen Nummer eins ausgetauscht habe. Die Grundlage für diese Gespräche war das Anforderungsprofil für den Nationalgoalie, das Foletti mit den «vier Wirkungsebenen» prägnant umschrieb.

Er sagte: «Die Wirkung auf die eigene Mannschaft gibt dem eigenen Team die Sicherheit, dass der Goalie allen Rückhalt gibt. Die Wirkung auf den Gegner bedeutet, dass jeder Gegner denkt, es wird schwierig, wenn Kobel spielt. Die dritte Wirkung bedeutet die Wirkung auf ein ganzes Stadion, wie das Kobel unlängst gegen Bayern München gemacht hat, ohne dass er eine Parade gemacht hat. Die vierte Ebene ist die Wirkung auf ein ganzes Land.» Er sei überzeugt, dass Kobel nun reif sei für diese Aufgabe, sagte Foletti.

Am Donnerstagabend soll im Parken-Stadion gegen Dänemark also eine neue Goalie-Ära beginnen. Kobel soll Wirkung entfalten auf das ganze Team, es wird nach aussen ein etwas anderes Gesicht bekommen. Intern wird sich der Ton mit Kobel verändern. Dessen Fähigkeiten stehen ausser Frage, er wird zu den fünf besten Torhütern der Welt gezählt. Und dennoch wird es Zeit brauchen, bis sich Mitspieler, Staff und auch das Publikum auf ihn eingestellt haben. Was lange währen soll, muss gut beginnen.

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