Montag, November 25

Der Wettlauf zum Mond findet seine Fortsetzung. Anders als in den 1960er Jahren geht es diesmal nicht nur um Prestige, sondern auch um wirtschaftliche Aspekte. Leider haben es die Kontrahenten versäumt, Spielregeln für die Nutzung des Mondes festzulegen.

Im Jahr 2015 hatte der damalige Generalsekretär der ESA eine Vision. Jan Wörner träumte von einem Dorf auf dem Mond, in dem Menschen aller Nationen friedlich zusammenleben und mit Unterstützung von Robotern den Mond erkunden.

Was die Bewohner des Dorfes auf dem Mond treiben, sollte ihnen selbst überlassen bleiben. Für Wissenschaft und Grundlagenforschung sollte dort ebenso Platz sein wie für Tourismus, die Gewinnung von Rohstoffen und andere wirtschaftliche Aktivitäten. Das «Moon Village», so die Vorstellung von Wörner, würde fortführen, was mit der Internationalen Raumstation begonnen hatte: eine Kooperation im Weltraum, die allen Konflikten auf der Erde trotzt.

Heute, fast zehn Jahre später, fällt das Urteil über die Vision von Wörner zwiespältig aus. Auf der einen Seite kann man den ehemaligen Generalsekretär der ESA für seine Weitsicht loben. Der Mond ist heute das Ziel aller grossen Raumfahrtnationen. Im Schlepptau staatlicher Organisationen zieht es private Firmen zum Mond, die von der entstehenden lunaren Ökonomie profitieren wollen. Dieses wiedererwachte Interesse am Mond war vor zehn Jahren noch nicht absehbar. Für viele galt damals noch das Motto: «Been there, done that.»

Gleichzeitig kann man Wörner aber auch für seine Naivität belächeln. Denn von einer gemeinsamen Erkundung und Erschliessung des Mondes zum Wohle aller Nationen kann heute keine Rede mehr sein. Vielmehr stehen sich zwei von China und den USA angeführte Machtblöcke gegenüber, die auf dem Mond ihre jeweils eigenen Interessen verfolgen. Die Vision eines Miteinanders im Weltraums ist unter die Räder der irdischen Realitäten gekommen.

Die USA besinnen sich auf den Mond zurück

Die Rückbesinnung der USA auf den Mond begann unter der Regierung von Präsident Trump. Sie folgte auf eine Phase, in der die amerikanische Raumfahrt ohne ein klar erkennbares Ziel vor sich hingedümpelt hatte. Im Jahr 2017 verabschiedeten die USA und ihre Partner das Artemis-Programm, das Astronauten nach mehr als 50 Jahren zurück zum Mond bringen soll. Diesmal soll es allerdings nicht bei Kurzaufenthalten bleiben. Das langfristige Ziel des Artemis-Programms – Wörner lässt grüssen – besteht darin, eine Mondbasis zu bauen, die permanent bewohnt ist.

Anders als beim Apollo-Programm setzen die USA diesmal auf die Unterstützung privater Firmen. Denn mit Steuergeldern allein wäre eine Besiedelung des Mondes nicht zu finanzieren. Den Anfang machen zwei Landegeräte, die im Rahmen des «Commercial Lunar Payload Services»-Programms der Nasa entwickelt wurden. Sie sollen im Januar starten und für die Nasa und andere Kunden Nutzlasten zum Mond bringen. Läuft alles nach Plan, wäre es das erste Mal, dass eine privat gebaute Landesonde weich auf dem Mond aufsetzt.

Auch beim Transport von Astronauten vertraut die Nasa auf private Hilfe. So haben die beiden Raumfahrtunternehmen SpaceX und Blue Origin von der Nasa den Auftrag erhalten, Landefähren zu entwickeln, die Astronauten zur Mondoberfläche und wieder zurück in den Weltraum bringen.

Wer am Artemis-Programm teilnehmen will, muss zuvor die Artemis Accords unterschreiben. Dieses von den USA aufgesetzte Vertragswerk gibt einen Rahmen für die friedliche Nutzung des Mondes vor. Es sieht unter anderem die Errichtung von Sicherheitszonen vor, um Nutzungskonflikte, etwa beim Abbau von Bodenschätzen, zu vermeiden. Bisher haben 33 Länder die Artemis Accords unterschrieben. China und Russland gehören nicht dazu. Die beiden Länder werfen den USA vor, sie wollten Claims auf dem Mond abstecken und sich wirtschaftliche Vorteile verschaffen.

China verfolgt sein Mondprogramm konsequent

Allerdings sind auch China und Russland nicht selbstlos. Für das Reich der Mitte hat der Weltraum geostrategische Bedeutung. Entsprechend konsequent verfolgt es dort seine Ziele. Mit dem Bau einer eigenen Weltraumstation hat China gezeigt, wozu es technologisch in der Lage ist. Und auch auf dem Mond lässt das Land seine Muskeln spielen. So ist China die erste Nation, die auf der erdabgewandten Seite des Mondes gelandet ist. Im nächsten Jahr soll die Chang’e-6-Sonde erneut auf der Rückseite des Mondes landen und von dort Proben zur Erde zurückbringen.

Diese Zielstrebigkeit nötigt selbst der Gegenseite Respekt ab. Und sie weckt Ängste. So wies der Administrator der Nasa, Bill Nelson, kürzlich warnend darauf hin, Peking versuche, auf dem Mond Fuss zu fassen und die ressourcenreichsten Gebiete auf der Mondoberfläche zu beherrschen. Tatsächlich will es China nicht bei robotischen Missionen belassen. In den 2030er Jahren soll am Südpol des Mondes eine bemannte Station gebaut werden. China hat andere Länder dazu eingeladen, sich daran zu beteiligen. Bisher haben unter anderem Russland, Venezuela, Südafrika und Pakistan den Vertrag unterschrieben.

Die Aussage von Nelson zeigt, dass es beim neuen Wettlauf ins All nicht nur um Prestige geht. Natürlich wäre es ein Kratzer am Selbstbild der USA, wenn der nächste Astronaut auf dem Mond ein Chinese wäre. Viel schlimmer wäre es für die führende Weltraumnation allerdings, wenn sie auf dem Mond wirtschaftlich ins Hintertreffen geriete.

Diese Befürchtungen sind nicht unberechtigt. China macht kein Geheimnis daraus, dass es auf dem Mond wirtschaftliche Interessen verfolgt. So gibt es ein staatliches Programm zum Abbau von Helium-3. Dieses leichte Heliumisotop ist auf der Erde extrem selten. Auf der Mondoberfläche, die ständig mit kosmischer Strahlung bombardiert wird, ist es jedoch angereichert. Helium-3 könnte in zukünftigen Fusionskraftwerken auf der Erde verbrannt werden, ohne die sonst üblichen Neutronen zu produzieren. Diese machen den Reaktormantel eines Fusionskraftwerks mit der Zeit spröde und radioaktiv.

Ob diese exotische Form der Kernfusion jemals funktionieren wird, ist fraglich. Auch der Abbau von Rohstoffen, die auf der Erde Mangelware sind, ist vorerst noch Zukunftsmusik. Der Mond ist fast flächendeckend von einer 5 bis 15 Meter dicken Staubschicht bedeckt. Trotz zahlreichen Mondmissionen weiss man nicht, wie häufig unter dieser Schicht Mineralien oder seltene Metalle zu finden sind, die beispielsweise für die Produktion von Handys, Batterien oder Solarzellen benötigt werden. Hinzu kommt ein weiteres Problem. Metalle sind in der Regel schwer. Sie zur Erde zurückzubringen, wird trotz fallenden Transportkosten noch lange nicht rentabel sein.

Woher kommen das Wasser und der Sauerstoff zum Leben?

Vorerst wird sich die lunare Ökonomie deshalb auf andere Geschäftsfelder abstützen müssen. An erster Stelle sind dabei private Transportdienste zu nennen. Ohne Solarzellen, Kommunikationssysteme und andere Ausrüstungsgegenstände geht auf dem Mond gar nichts. Anfangs wird man auch Lebensmittel, Wasser und Sauerstoff zum Mond transportieren müssen.

Strebt man allerdings eine dauerhafte Präsenz an, ist das keine Option. Langfristig muss man lernen, von dem zu leben, was der Mond zu bieten hat – und das ist nicht viel. Gefragt sind Technologien, mit denen sich die vorhandenen Ressourcen nutzen lassen. Dabei geht es um sehr praktische Dinge. Wie baut man aus dem vorhandenen Material Behausungen, die die kosmische Strahlung abhalten? Wie muss man die Monderde behandeln, damit in ihr Pflanzen gedeihen? Wie gewinnt man aus dem Mondstaub Wasser zum Trinken und Sauerstoff zum Atmen? Und wie kommt man an die Eisvorkommen heran, die in den schattigen Kratern am Südpol des Mondes vermutet werden.

Das sind Aufgaben, bei denen private Firmen ihre Expertise und Innovationskraft in die Waagschale werfen können. Wer jetzt in die lunare Ökonomie investiert, tut das mit einer längerfristigen Perspektive. Denn der Mond ist nur der Anfang. Sowohl die USA als auch China haben deutlich gemacht, dass sie den Mond als Sprungbrett für Missionen zum Mars oder zu anderen Destinationen im Sonnensystem sehen. Und hierfür werden die gleichen Technologien benötigt, die in den nächsten Jahren auf dem Mond entwickelt werden sollen.

Wer zuerst kommt, mahlt zuerst

Was die lunare Ökonomie ausbremsen könnte, bevor sie Fahrt aufnimmt, ist die ungeklärte rechtliche Situation. Es gibt zwar den Weltraumvertrag aus dem Jahr 1967. In entscheidenden Punkten bleibt dieser aber viel zu vage. Solange es keine gesetzliche Grundlage für die wirtschaftliche Nutzung des Mondes gibt, ist zu befürchten, dass sich das Recht des Stärkeren durchsetzt.

Die ersten Konflikte zeichnen sich bereits ab. So fasst die Nasa für die erste bemannte Mondlandung seit mehr als 50 Jahren teilweise die gleichen Landeplätze ins Auge wie China für seine unbemannte Mission Chang’e-7. Diese dient dem Aufbau einer Forschungsstation am Südpol des Mondes.

Dass es sowohl die USA als auch China an den Südpol zieht, hat einen einfachen Grund. Nur hier findet man Landeplätze, die fast rund um die Uhr von Sonnenlicht beschienen sind und gleichzeitig in der Nähe von tiefen Kratern liegen, in denen man Wassereis vermutet. Das verleiht den Mondplänen der beiden Kontrahenten eine gewisse Dringlichkeit. Wer seine Fahne zuerst in den Boden des Südpols rammt, schafft Fakten, die sich später nicht mehr rückgängig machen lassen. Wie anders war das doch bei der ersten Mondlandung im Jahr 1969. Damals war das Hissen der amerikanischen Flagge vor allem eine symbolische Geste, aus der keine territorialen Ansprüche abgeleitet wurden.

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