Samstag, März 15

Mit Aristophanes’ Komödie «Die Vögel» wird auf der Pfauen-Bühne das Ende der Menschheit eingeläutet. Kühn erweitert Lilja Rupprechts Inszenierung den Horizont mit Hitchcock und Daphne du Maurier.

Dutzende Vögel sind es zuerst, dann Hunderte, schliesslich Tausende. Sie seien aggressiv und würden Menschen angreifen, sagen die einen, während andere beschwichtigend erklären: Die Vögel fühlten sich bedroht und wehrten sich. Eine Möwe habe versucht, John das Auge auszukratzen. Sagt die Mutter. Es ist ein kleiner Schnitt im Augenwinkel, mehr ist da nicht, aber immerhin, er rührt von einer Kralle her.

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Der Bauer Dan versucht den Humor nicht zu verlieren. «Wenn man Möwen wenigstens essen könnte», sagt er, «dann hätte die Geschichte ja noch einen Sinn.» Man könnte die Möwen dann reihenweise abknallen und kochen. Schon zählt er die Zutaten auf: Weinessig, Honig, Speck, geriebener Käse. Aber er weiss, es ist Käse, was er sagt. Wenig später verliert er die Nerven und schiesst mit seiner Flinte ziellos auf die Vögel.

Er kann schiessen, so viel er will. Die Vögel werden nicht weniger. Für jeden, den er trifft, kommen zehn andere. Tags darauf findet man Dans leblosen Körper hinter dem Haus. Es war Mord, sagt die Polizei. Es waren die Vögel, denken alle.

Das Wetter schlägt um

Am Schauspielhaus Zürich feierte am Freitagabend das Stück «Die Vögel» Premiere. Was lustig beginnt, endet apokalyptisch. Die Regisseurin Lilja Rupprecht präsentiert eine kühne Textcollage aus Aristophanes, Daphne du Maurier und Alfred Hitchcock. Sie verwandelt dabei die antike Komödie in eine schauerliche Moritat, die von Hochmut und Selbstsucht des modernen Menschen erzählt.

Der erste Teil der Inszenierung hält sich eng an Aristophanes’ Stück. Zwei Menschen suchen Zuflucht in der Vogelwelt und reden den Vögeln ein, sie sollten sich über die Macht der Götter erheben und zwischen der Menschenwelt und der göttlichen Sphäre ein eigenes Imperium errichten. Die Chefin der Vogelwelt, gespielt von einer glänzenden Karin Pfammatter, die sich als virtuoses Chamäleon der Rollenwechsel erweist, gibt die revolutionäre Losung aus: «Die Staatsgewalt geht von den Vögeln aus.»

Damit endet der erste Teil, und dann ist auch Schluss mit lustig. Es übernehmen Hitchcock und Daphne du Maurier. Kassandra hebt zu einem ersten Monolog an, grandios vorgetragen von Simon Stuber vom Theater Hora, das in Koproduktion mit dem Schauspielhaus das Stück erarbeitet hat. Was wie eine harmlose meteorologische Ansage klingt, verheisst Ungutes: «Am dritten Dezember schlug der Wind über Nacht um, und es wurde Winter.» Und mit Wind und Winter kommen die Vögel. «Kreischend, pfeifend, gellend glitten sie über die blanke See.»

Unheil liegt in der Luft

Mit lautmalerischer Begleitung baut sich eine bedrohliche Stimmung auf. Aber Kassandra verstummt erst einmal. Niemand erhört sie, keiner weiss die Zeichen, von denen sie spricht, zu deuten. Die Menschen haben andere Sorgen. Die Liebe zum Beispiel. Melanie (Sophie Hottinger) und Mitch (Fridolin Sandmeyer) zum Beispiel. Sie würden gern zusammenkommen. Aber der Funke will nicht recht zünden, obwohl der Eros knistert. Denn da ist auch noch Mitchs Mutter (abermals Karin Pfammatter), gerade verwitwet, nun möchte sie den Sohn nicht dem erst besten Flittchen, und sei es eine Frau aus reichem Haus, überlassen.

Aber das ist nur unbedeutendes Vorgeplänkel. Ein Nebenschauplatz. Das Unheil schwebt über den Köpfen von Melanie und Mitch, die wahre Gefahr droht aus der Luft. Dutzende Vögel, Hunderte, gar Tausende fallen über das Land her. Von der revolutionären Parole aus dem ersten Teil – «Die Staatsgewalt geht von den Vögeln aus» – können die Menschen an der kalifornischen Bodega Bay nichts wissen. Das Publikum jedoch hat sie noch im Ohr. Umso erschreckender öffnet sich der Abgrund zwischen Ahnungslosigkeit und Unaufhaltsamkeit des Kommenden. Denn nun zeigt sich, wie die Staatsgewalt ins Despotische umschlägt.

Soll man das Stück darum als kleine Parabel auf die grossen Despoten dieser Welt deuten? Gemach! Auch wenn einmal in einem Nebensatz Russland erwähnt wird – von dort könnten der Wetterumschwung und die plötzliche Kälte kommen –, so bleibt doch alles eher unpolitisch. Oder genauer: Das Tagespolitische wird ausgespart.

Der Mensch ist überfällig

Geradezu wird Aristophanes’ Vorlage mutwillig alles Machtpolitische ausgetrieben. Stattdessen erweitert die Inszenierung den Stoff ins Menschheitsgeschichtliche oder gar Erdgeschichtliche, indem sie ihn im zweiten Teil mit Hitchcocks Film «Birds» vermählt. Die Komödie entwickelt sich damit zum Drama, der Effekt kehrt die Absicht freilich ins Gegenteil: Die Schärfe der Komik wird durch das Melos im Drama weichgespült; zwar wird der Stoff nicht banalisiert, aber doch immerhin der Beliebigkeit geopfert.

Denn mit dem Umsturz durch die Vögel vollstreckt die Natur lediglich die eigenen Gesetze. Das also bedeutet das Verdikt, die Staatsgewalt gehe von den Vögeln aus. Sie holen sich zurück, was ihnen zusteht. Sie sind Vorboten einer Rückeroberung durch die Natur. Ihr wohnt kein bewusster Wille inne, es ist ein erdgeschichtliches Geschehen, das nicht auf einen höheren Befehl gewartet hat. Es ereignet sich, wenn die Zeit reif ist.

Mitch sagt es, ohne zu ahnen, was seine Worte bedeuten: «Ich muss noch mehr Holz holen. Das Feuer darf nicht ausgehen.» Mit Prometheus kam das Feuer unter die Menschen. Es war Segen und Verderben in einem. Nun steht das Menschengeschlecht vor der eigenen Auslöschung. Mitch ist gewillt, auch das letzte Möbelstück, sein letztes Hemd zu verfeuern. Es wird ihm und den Seinen nichts helfen. Die Vögel kümmert es wenig. Die Erde brannte, noch ehe der Mensch sie besiedelte, sie wird auch nach seinem Verschwinden brennen.

Nur in Mitchs Kamin geht das Feuer aus. Dann Dunkelheit und sekundenlange Stille, schliesslich aufbrandender Applaus: Für die enormen schauspielerischen Leistungen eines Ensembles, das sich aus Mitgliedern des Schauspielhauses und des Theaters Hora zusammensetzt; für ein Stück, das mit letzten Fragen kühne Bilder auf die Bühne schafft (Bühnenbild: Annelies Vanlaere); für eine Inszenierung, die ihren beklemmenden Höhepunkt findet, wenn sie das Licht ausmacht.

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