Der Fussballklub aus Madrid muss zurzeit mehrere Rückschläge verkraften. Vor dem Champions-League-Spiel in Liverpool harzt es bei Real auch sportlich.
Eigentlich sollte Real Madrid in dieser Saison mehr denn je über den Dingen des Weltfussballs schweben. Die Runderneuerung des Santiago-Bernabéu-Stadions ist abgeschlossen, die Mannschaft wurde mit dem Superstar Kylian Mbappé ergänzt, Champions-League-Titelverteidiger ist man sowieso. Passend dazu präsentierte der Vereinschef Florentino Pérez am Sonntag an der Jahreshauptversammlung einen Rekordumsatz von 1,07 Milliarden Euro und ein Budget von 1,13 Milliarden Euro.
Gleichwohl deutete Pérez auch an, den Mitgliedern bald ein verändertes Eigentümermodell zur Abstimmung vorzulegen – wohl mit dem Ziel, analog der 50+1-Regel in der deutschen Bundesliga externe Investoren an Bord zu holen. Auch wenn er lieber euphemistisch von einer «Reorganisierung» sprach, die den «Schutz unseres Vermögens» garantiere.
Die Pläne bedeuten ein Eingeständnis, dass die herkömmlichen Ressourcen zur Festigung der internationalen Spitzenposition nicht ausreichen werden. Besonders die Kosten des Stadionumbaus – die sich inklusive Zinsen auf bis zu 2 Milliarden Euro summieren könnten – scheinen umso schwerer refinanzierbar, als wegen Lärmschutzauflagen eine Nebennutzung für Konzerte gerichtlich untersagt wurde.
Pérez isoliert Real im internationalen Fussball zunehmend
Insgesamt begab sich der altgediente Präsident, 77, in seinen Redebeiträgen auf den Streifzug durch eine Parallelwelt, in der ausgerechnet der von der Geschichte geküsste Real als Opfer von allem und jedem dasteht. Besonders der europäische Fussballverband (Uefa) habe es auf den Klub abgesehen und aus Rache für Pérez’ Superliga-Pläne vorsätzlich am Abstimmungsmodell für die Wahl zum Weltfussballer herumgedoktert, um die Auszeichnung des Real-Heros Vinícius Júnior zu verhindern. «Journalisten aus Namibia, Uganda, Albanien und Finnland» hätten abstimmen dürfen, spottete Pérez hart an der Grenze zum Herrenmenschentum: «Leute, die niemand kennt.»
«Worte eines Frustrierten», entgegnete der namibische Reporter, der übrigens den Real-Profi Jude Bellingham auf Platz eins wählte. Bereits Real Madrids beleidigter Boykott der Ballon-d’Or-Gala hatte für Stirnrunzeln im internationalen Fussball gesorgt. Dort isoliert Pérez seinen Verein zunehmend – zu Hause aber war ihm Applaus sicher. Reals Delegiertenversammlung besteht nach 21 Jahren mit dem Präsidenten Pérez vor allem aus Claqueuren, und auch die imposante Bilanz von sechs der letzten elf Titel im verhassten wie geliebten Uefa-Wettbewerb Champions League verleiht natürlich Autorität.
Ob diese Saison der nächste Titel hinzukommt, ist allerdings äusserst fraglich. Fürs Erste steckt der Champion in ungewohnten Schwierigkeiten. Nach sechs Punkten aus vier Spielen – davon drei vor eigenem Publikum – steht am Mittwoch die Partie beim formstarken Tabellenführer Liverpool an. Mit einer Niederlage könnte Real aus den ersten 24 Teams herausfallen, die mindestens das Play-off zu den Achtelfinals erreichen. Wobei für Pérez selbstredend das «ungerechte» Format des reformierten Wettbewerbs die Schuld trägt – es beschert Madrid in zwei Wochen bei Atalanta Bergamo schon den nächsten Härtetest.
Ausserhalb der präsidialen Wagenburg finden die Kritiker jedoch schon auch hausgemachte Gründe für Madrids schlechtesten Champions-League-Start seit 2008. Bei den Niederlagen in Lille und gegen die AC Milan wie auch phasenweise bei den Siegen gegen Stuttgart und Dortmund harzte es in allen Mannschaftsteilen und bei allen Facetten des Spiels: Intensität, Abstimmung, Ideen und Bewegung nach vorn.
«Dieses Kader ist nicht ausbalanciert», bemängelte etwa Jorge Valdano. Der ehemalige Real-Spieler, -Trainer und -Sportdirektor hob vor allem darauf ab, dass der Stratege Toni Kroos nach seinem Karriereende nicht durch einen Spieler ähnlichen Profils ersetzt wurde. Luka Modric, 39, ist bereits sehr alt, der Türke Arda Güler, 19, noch arg jung, so dass sie Rhythmus und Richtung des Spiels nicht in ähnlichem Masse prägen können wie Kroos. Mit Federico Valverde, Eduardo Camavinga, Aurélien Tchouaméni und Bellingham stehen sich die physisch stärkeren Typen in Reals Mittelfeld dafür geradezu auf den Füssen.
Atmosphärisch scheinen derweil der Zugang des bis jetzt nicht überzeugenden Mbappé und die ewigen Weltfussballer-Debatten das Gift des Egoismus in den vormaligen Zusammenhalt geträufelt zu haben. «Die Mannschaft ist Ancelotti entglitten», konstatierte mit Predrag Mijatovic ein weiterer früherer Spieler und Sportdirektor nach dem 1:3 gegen Milan. Vorangegangen war eine bezeichnende Episode: Nachdem der Uruguayer Valverde in der Halbzeitpause ausgewechselt worden war, stänkerte seine Frau schon wenige Minuten später auf X gegen den Trainer Carlo Ancelotti.
Mina Bonino, mujer de Fede Valverde, después de que Ancelotti haya cambiado al jugador uruguayo del Real Madrid al descanso. pic.twitter.com/9vCzT6c32Q
— Albert Ortega (@AlbertOrtegaES1) November 5, 2024
In der Defensive fehlen fast alle Stammspieler
Am Mittwoch wird es solche Klagen kaum geben, denn Real ist mit einem Notaufgebot nach Liverpool gereist. Valverde muss wohl auf der Position des rechten Aussenverteidigers aushelfen; der dort eigentlich gesetzte Captain Dani Carvajal wird nach einem Kreuzbandriss wohl die gesamte Saison verpassen. Das gleiche Malheur erlitt in der Innenverteidigung zuletzt Éder Militão, dessen einstiger Partner David Alaba wegen der gleichen Verletzung seit fast einem Jahr kein Match mehr absolviert hat. Und weil Real den Defensiv-Allrounder Nacho nach Saudiarabien ziehen liess, bleibt mit Antonio Rüdiger nur ein zentraler Abwehrspieler. Neben ihm dürfte mit Raúl Asencio, 21, ein Eigengewächs aus der Reserve verteidigen.
Dagegen war die Lage im Angriff vergleichsweise komfortabel – bis sich zu Wochenbeginn der verhinderte Weltfussballer abmeldete: Vinícius fällt mit einer Muskelverletzung aus, so wie bereits seit einigen Wochen sein Kompagnon Rodrygo.
El loco calendario……… A RECUPERAR! 🙏🏿 https://t.co/oqSnKkP5MT
— Vini Jr. (@vinijr) November 25, 2024
In Liverpool mochte man die Neuigkeiten wohlwollend zur Kenntnis genommen haben, denn Vinícius gilt dort als personifizierter Albtraum. Im Champions-League-Final 2022 zwischen den beiden Teams erzielte er den 1:0-Siegtreffer, ein Jahr später gab er im Achtelfinal mit zwei Toren den Rädelsführer bei einem Aufstand, der Anfield in den Grundfesten erschütterte: Aus einem 0:2 machte Real ein 5:2 – so etwas hatte das ehrwürdige Stadion noch nie gesehen.
Macht und Mythos würde Real gern auch auf dem Transfermarkt spielen lassen. Dort umgarnt der Klub den Liverpooler Rechtsverteidiger Trent Alexander-Arnold, dessen Vertrag zum Saisonende ausläuft. Und sowieso, chancenlos fühlt sich dieser Klub nie. Jüngste Ausrutscher des Erzrivalen FC Barcelona haben in der Liga erst einmal Druck herausgenommen, trotz einer 0:4-Blamage im direkten Duell befindet sich Real wieder in Schlagdistanz.
Und die Verletzung von Vinícius gibt Mbappé zumindest wieder die Chance, seine Lieblingsstelle auf dem linken Flügel zu besetzen. In der Not zusammenzuwachsen, aller Unbill zu trotzen, mit der die Welt sich verschwört – daraus hat Real schon oft eine Kunst gemacht. Ganz so, wie es dem Präsidenten gefällt.