Montag, September 30

Mit Einsparungen allein kann die Stadt ihre Klimaziele nicht erreichen. Deshalb plant sie nun ein teures Pionierprojekt, über das am 22. September abgestimmt wird.

Die Idee klingt futuristisch, aber ihre Umsetzung ist nah: Die Stadt Zürich will künftig CO2, das bei der Verbrennung von Klärschlamm entsteht, absaugen, verflüssigen und in der dänischen Nordsee versenken. Dort, 2000 Meter unter dem Meeresboden, soll es dauerhaft gespeichert werden – und Zürich helfen, seine Klimabilanz aufzubessern.

Bis zum Jahr 2040 will die Stadt klimaneutral werden. Fossile Heizungen sollen durch umweltfreundliche Alternativen ersetzt werden, Autofahrer vermehrt auf den öV umsteigen, Gebäude nachhaltig saniert werden. Und weil in den Augen der rot-grünen Regierung jede eingesparte Tonne CO2 zählt, betreibt die Stadt auch Mikromanagement – etwa, indem sie Restaurants mit einer Charta zu mehr Nachhaltigkeit bewegen will.

Das Problem ist nur: Mit Beschränkungen und Einsparungen allein ist das Netto-Null-Ziel nicht zu erreichen. Denn in gewissen Lebensbereichen ist der Ausstoss von CO2 unvermeidlich, etwa bei der Ernährung, der Abfallentsorgung oder Kläranlagen. Deshalb setzt die Stadt auf sogenannte Negativemissionen, die der Klimabilanz zugeschrieben werden können: CO2 wird der Atmosphäre entzogen und dauerhaft gespeichert.

Am 22. September entscheiden die Stadtzürcher Stimmberechtigten über den Bau einer Anlage zur Abscheidung von CO2 in der grössten Kläranlage der Schweiz. 2028 soll sie in Betrieb gehen. Die Stadt spricht von einem Pionierprojekt.

Heute wird auf dem Areal Werdhölzli nicht nur das Abwasser der Stadt gereinigt, sondern es wird auch der gesamte Klärschlamm aus dem Kanton Zürich und aus einigen anderen Kantonen verarbeitet. Zurück bleiben jedes Jahr rund 100 000 Tonnen Klärschlamm, der verbrannt wird. Dabei entsteht Rauchgas und 20 000 Tonnen CO2.

Bisher wurde dieses in die Luft geblasen. Künftig soll es nun aus dem Rauchgas abgeschieden und verflüssigt werden. Zu einem späteren Zeitpunkt würden rund 5000 Tonnen CO2-Emissionen der Biogasaufbereitungsanlage dazukommen. Insgesamt könnten so rund 25 000 Tonnen CO2 abgeschieden werden.

Dieses soll zur Hälfte in Recyclingbeton von diversen Schweizer Betonwerken permanent gebunden werden. Die andere Hälfte soll mithilfe von Project «Greensand» – einem Konsortium aus 23 internationalen Firmen – zu einer Speicherstätte im Ausland gebracht werden, voraussichtlich in der dänischen Nordsee.

2000 Meter unter dem Meeresboden soll das CO2 unter einer Schicht aus Deckstein verpresst werden. Laut dem Zürcher Stadtrat liegt für das Offshore-Transport- und Speicherprojekt eine geologische CO2-Speicherlizenz der dänischen Regierung vor.

Klar ist: Die Menge an CO2, die mit dieser Methode abgeschieden werden kann, ist minim. Zum Vergleich: Gemäss Bundesamt für Umwelt verursacht die Schweiz pro Jahr 41,6 Millionen Tonnen Treibhausgase. Wie sinnvoll ist also das Projekt in Zürich?

Know-how zu finden, ist schwierig

Cyril Brunner ist Klimaforscher am Departement Umweltsystemwissenschaften der ETH Zürich. Er sagt: «Ohne CO2-Abscheidung erreichen wir das Netto-Null-Ziel nicht.» Es handle sich dabei um eine Technologie, die seit Jahrzehnten angewendet werde; in der Industrie, bei der Erdgasproduktion, in Biogasanlagen. Auch der Transport und die Speicherung von CO2 sei eine bewährte Methode, sagt Brunner.

Die CO2-Abscheidung aus Rauchgasen, wie es nun in Zürich geschehen soll, ist in der Schweiz bisher nicht bekannt. Dafür braucht es Fachkräfte und neue Regulatorien. Wie schwierig es ist, dieses Know-how zu finden, zeigte sich bei der Entwicklung des Projekts: An der Ausschreibung der Stadt nahm nur ein Unternehmen teil.

Brunner beurteilt die Pläne der Stadt als sinnvoll. CO2 für den Klimaschutz abzusaugen und dauerhaft zu speichern, sei eine globale Aufgabe und eine Methode, die sich in den nächsten Jahrzehnten etablieren werde. «Es braucht heute Vorreiter, um für später Erfahrungen zu sammeln. Sonst gibt es keine technologische Lernkurve.» Die Stadt Zürich will dereinst auch bei der Kehrichtverbrennungsanlage Hagenholz CO2 abscheiden. Da geht es um eine wesentlich grössere Menge, nämlich 360 000 Tonnen.

35,5 Millionen Franken kostet die neue CO2-Abscheidungsanlage in Zürich, hinzu kommen jährlich wiederkehrende Ausgaben von 14 Millionen Franken. Das ist viel Geld. Brunner sagt dazu: «Die CO2-Entfernung ist die teuerste Massnahme im Klimaschutz. Aber CO2 in der Atmosphäre zu belassen, ist langfristig noch viel teurer.»

Mit grösseren Anlagen und verbessertem Know-how würden dereinst auch die Kosten für die Abscheidung von CO2 verringert. Auch das Kosten-Nutzen-Verhältnis stimme. Der Abtransport und die Einlagerung verursachen etwa 10 Prozent der Menge an CO2, die abgeschieden wird. Ein guter Wert sei das, sagt Brunner. Der Transport von Zürich in den Norden erfolgt per Lastwagen, Zug und Schiff. Die Stadt rechnet damit, dass fünf bis sieben Lastwagen pro Tag das Werdhölzli Richtung Norden verlassen werden.

Die grösste Herausforderung für das Projekt der Stadt sieht Brunner in der Skepsis gegenüber Neuem. Doch er ist zuversichtlich, dass diese schwinden wird. «Im Prinzip machen wir nichts anderes als eine neue Form der Abfallentsorgung.»

Brunner macht einen Vergleich: Bis vor 60 Jahren wurden Abwasser direkt in die Gewässer geleitet. In Flüssen und Seen zu baden, war undenkbar. Dann wurden Kläranlagen gebaut – und das Wasser sauber. Das sehen wir heute als ganz normal an.» Mit der CO2-Abscheidung werde es eines Tages auch so sein.

FDP: «Irrsinnig hohe Kosten»

Im Stadtparlament fand die Vorlage eine klare Mehrheit. Einzig die SVP lehnte sie ab, insbesondere mit Verweis auf die hohen Kosten. CO2 in Zürich abzuscheiden und quer durch Europa zu transportieren, sei Greenwashing kritisierte der SVP-Mann Johann Widmer im Rat.

Die FDP hingegen begrüsst das Vorhaben der Stadt im Grundsatz. «Wir sehen es als Pilotprojekt, das eine Anschubfinanzierung braucht», sagt Gemeinderat Emanuel Tschannen. «Zürich hat die besten Hochschulen der Schweiz und ist eine Technologie-Hauptstadt, deshalb darf sie in Vorleistung gehen.»

Kritisch sehen die Freisinnigen aber die Kosten. Diese seien «irrsinnig hoch», sagt Tschannen. «Die Stadt baut allgemein teuer, auch bei diesem Projekt wurde nicht gespart.» Er moniert vor allem, dass die Hälfte der laufenden Kosten für den Transport des verflüssigten CO2 ausgegeben werde. Tschannen betont, dass das Ja der FDP nicht automatisch eine Zustimmung für künftige Projekte sei. Der geplanten CO2-Abscheidung im Hagenholz könne man nur zustimmen, wenn die Wirtschaftlichkeit besser aussehe.

Auch die Grünen stehen im Grundsatz hinter der Vorlage – sie hatten allerdings in der Fraktion für Diskussion gesorgt, erklärte Matthias Probst an der Ratsdebatte. Er selbst lehnte das Vorhaben ab. Er habe Mühe damit, dass in der Schweiz eine lokale Pilotanlage gebaut und das CO2 ins Ausland gefahren werde, sagte Probst im Rat: «Es ist nicht zielführend, nur lokal unsere Bilanz zu optimieren, obwohl es sich um ein globales Problem handelt.» Sinnvoller wäre es aus seiner Sicht, daran zu arbeiten, dass CO2 auch in der Schweiz eingelagert werden könne.

Theoretisch sei das möglich, sagt der ETH-Forscher Brunner. Derzeit läuft dazu ein Forschungsprojekt der ETH in Trüllikon. Dort stellt die Nagra ein nicht mehr genutztes Bohrloch der Wissenschaft zur Verfügung. «Die Frage ist, wie viel CO2 pro Jahr gespeichert werden kann.»

Rentieren kann das nur bei grösseren Mengen. In Dänemark und Norwegen ist laut Brunner die Geologie gut geeignet, um dauerhaft CO2 speichern zu können. Zudem verfügen diese Länder bereits über die Expertise für die nötigen Bohrungen und die Regulierungen.

Am Transport nach Norden führt wohl kein Weg vorbei, wenn man CO2 abscheiden will.

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