Der Hamburger Produzent DJ Koze hat den Discos schon unzählige ekstatische Momente beschert mit seinen Tracks. Auf seinem neuen Album setzt er auf klangliche Vielfalt.
Mit Musik eine absolute Gelöstheit zu erzielen, ist harte Arbeit. Stefan Kozalla alias DJ Koze gibt sich ihr täglich hin, wie er in einem neuen Interview mit dem internationalen Tanzmusik-Magazin «Resident Advisor» erzählt. «Ich versuche mich jeden Tag an einem neuen Stück – und die meisten davon landen im Müll.»
Jetzt, nach sieben Jahren, hat ein Ensemble von Stücken wieder einmal die strenge Qualitätsprüfung des Produzenten bestanden: «Music Can Hear Us» ist der vierte Longplayer von DJ Koze. Auf dem Album kommen die vielen Facetten des Musikers mit Jahrgang 1972 zum Ausdruck, der in Flensburg aufwuchs und seit Anfang der Neunziger zur Hamburger Musikszene zählt.
Viel Humor
So unspektakulär offenbar sein künstlerischer Arbeitsalltag, so spektakulär seine Musik. Seit dreissig Jahren veröffentlicht DJ Koze Tracks, die aus dem Rahmen fallen. Mitte der neunziger Jahre waren es Veröffentlichungen für seine Hip-Hop-Crew Fischmob. Die Band kopierte nicht bloss die dicken Hosen amerikanischer Vorbilder, sondern baute eine gehörige Prise quatschigen Humor und Hörspiel-Elemente in das eigene Repertoire ein. Unter dem Pseudonym Adolf Noise pflegte DJ Koze diese Tradition später weiter, fügte abgedrehte Collagen zusammen und bastelte sich ein eigenes Universum.
Schnell aber gewann er als House- und Techno-DJ sowie als Dance- Produzent weitaus grössere Bedeutung. Seine im Hip-Hop erlernte Fähigkeit, mit Samples zu arbeiten und den spannendsten Teil eines bestehenden Tracks durch cleveres Arrangement und einen satten Puls in ein hypnotisches Kontinuum zu verwandeln, machten ihn nicht nur zu einem gefragten Remixer, sondern auch zu einem formidablen Party-Gestalter.
Früher scratchte und hebelte er mit wahrem Feuereifer hinter dem Pult, war unberechenbar und launisch im besten Sinne und immer in der Lage, noch ein bisschen mehr Öl ins rhythmische Feuer zu giessen. Eine gute Portion Wahnsinn war immer mit dabei. Mit den Jahren sind seine Sets subtiler geworden. Aus den Steigerungsläufen sind des Öfteren verschlungene Fahrten durch diverse Klangwelten geworden. Doch nie fehlt der rote Faden.
In seinem neuen Repertoire gibt es so vieles zu entdecken, so viele Stimmen ertönen, dass es diesmal schwerfällt, eine stilistische Tendenz auszumachen. Charakteristisch ist immerhin der Klang einer Gitarre, die sich überall einmischt. Prägend aber bleibt die Abwechslung, kein Track gleicht dem andern – und immer wieder werden neue Stile und Rhythmen angetönt: Hier ein wohltemperierter Afrobeat, da eine Amapiano-Anleihe, dort ein paar Breakbeats, ein bisschen Trap, ein bisschen Drill.
DJ Koze ist zwar am Puls der Zeit, aber nicht vom diesem dominiert. Irgendwie schwebt man hier durchs Universum, wird öfter mal von einem schwarzen Loch verschluckt und von psychedelischen Klängen eingelullt. Da passt es, dass der persische Sufi-Mystiker Rumi das Album eröffnen darf: «Jenseits von Richtig und Falsch liegt ein Ort. Dort treffen wir uns», heisst es auf Englisch, ehe ein von Trommeln und Sitarklängen begleitetes Mantra gesummt wird, um sich in acht Minuten in die Hirnrinden zu bohren. Man muss sich diesem Album schon hingeben wollen.
Doch keine Angst! Später gibt es wieder mehr Gefälligkeit – etwa in Gestalt von Markus Acher von The Notwist. Und Damon Albarn trauert auf «Pure Love», von Autotune unterstützt, einer entronnenen Liebe nach. Seine Begleitmusik scheint aus dem heutigen Lagos zu grooven, biegt dann aber irgendwann Richtung Ibiza ab. Die Hamburger Sängerin Sophia Kennedy wiederum singt in «Der Fall» verklärt von ihrem Weg nach unten, und die Österreicherin Soap & Skin steuert eine dystopische, elektrisch aufgeladene Version des Discoklassikers «Vamos a La Playa» bei.
Solitäres Arbeiten
Das sind alles eigenwillige Song-Gebilde, entrückt und nahbar zugleich. Man würde vermuten, dass sie in langen, gemeinsamen Studiosessions entstanden sind. Doch weit gefehlt: «Das klingt jetzt komisch, aber bei mir haben die Gäste gar nichts zu sagen», erklärte DJ Koze kürzlich in einem Musikblog. Die meisten Gesangsaufnahmen liess er sich aus der Ferne zuschicken – und veränderte sie nach Belieben. «Das solitäre Arbeiten ist der beste Modus des Musikmachens. Dann kann das Gehirn durchgaloppieren.»
DJ Koze ist in den letzten fünfzehn Jahren immer subtiler geworden als Produzent. Und während die Stücke vor Detailarbeit funkeln und alles am richtigen Platz ist, stellt sich tatsächlich diese Gelöstheit ein, die diesem Musiker so wichtig ist. Da gibt es einen Swing, wie man ihn selten hört. Wie aber setzt man den Schlusspunkt zu diesem aufgeräumten Album? Mit hallenden Glocken und japanischem Doo-Wop-Gesang. Es klingt so normal und friedlich, als wäre auf der Welt zur Abwechslung alles in Ordnung.