Sonntag, November 24

Ella Milch-Sheriff macht das Leben der umtriebigsten Witwe der Kulturgeschichte an der Wiener Volksoper zum deftigen Spektakel.

Franz Werfel ist geil. Der «Franzel liebt das Lecken und Schmecken», er führt die «Zunge tief in nasse Ecken». Und nicht nur die: «Ich bin die Spitze des Speers, dringe vor, wo kein Mann jemals war.» Oskar Kokoschka wiederum verlangt nach der Bestätigung, dass die Komponistenwitwe von keinem jemals so befriedigt wurde wie von ihm: «Sag es!» Und die beiden Künstler sind beileibe nicht die einzigen Männer, die die «grande veuve» (Thomas Mann) erfolgreich begehren: «Einer nach dem anderen / klettern sie hinauf. / Auf die Sahnetorte, / die nach Alkohol duftet.»

Ja, es geht deftig zur Sache in Ella Milch-Sheriffs Oper über Alma Mahler, die am Wochenende an der Wiener Volksoper uraufgeführt wurde. Ido Ricklins «Alma»-Libretto, das Anke Rauthmann aus dem Hebräischen ins Deutsche übertragen hat, scheut sich nicht vor einer reisserischen, boulevardesken Prägung und ergeht sich lustvoll in anzüglichen Sprachbildern. Der Dramaturg der Israeli Opera hat eine grelle Rückschau über das Leben der «Muse der vier Künste» und ihre vielen berühmten Männer verfasst.

Rückwärts in die Vergangenheit

Das fünfteilige Stationentheater beginnt am Tag des Begräbnisses von Almas Lieblingstochter Manon Gropius, am Grinzinger Friedhof im Frühjahr 1935. Dieser ähnelt in der Inszenierung von Ruth Brauer-Kvam einer grauen, leeren Remise (Bühne: Falko Herold). Die Wiener gieren nicht nur nach einer «schönen Leich’», sondern auch nach einem Blick auf die prominente Mutter des verstorbenen «Engels». Doch Alma lässt sich am Friedhof gar nicht erst blicken, sie tröstet sich lieber zu Hause mit Kräuterlikör über den Schicksalsschlag hinweg.

Den ersten Auftritt der alternden Gesellschaftsgrösse inszeniert Brauer-Kvam spektakulär: Im Resonanzrahmen eines Konzertflügels fährt Annette Dasch als 56-jährige Alma den Beschauern ihres Lebens entgegen, umnebelt von Bénédictine-Seligkeit und Schicksalshader. Im Verlauf wird die Remise dann zum Verschiebebahnhof der Zeiten – mit dem Reiseziel Vergangenheit. Im chronologischen Rückwärtsgang führt Ricklin das Publikum zuerst in die Jahre 1918/19, als Alma Mahler mit Walter Gropius verheiratet ist und sich Werfels Zunge erstmals im Schoss der lebenslustigen Witwe vergnügt.

1912 tritt in einem vollgestellten Atelier-Kubus Oskar Kokoschka auf den Dramenplan – und mit ihm jene lebensgrosse Puppe, die der obsessive Liebhaber von Alma angefertigt hat. Die letzten beiden Akte nach der Pause behandeln die Jahre zwischen 1901 und 1911, also das Kennenlernen und die scheiternde Ehe mit Gustav Mahler. Hier beruhigen sich die musikalisch-szenischen Vorgänge etwas. Mahler-Zitate schmeicheln sich in das Ohr der Opernbesucher.

Zuvor hatte Ella Milch-Sheriff mit einer farbigen, abwechslungsreichen und vielstimmigen Klangsprache unterhalten. Ob Walzergrotesken oder Streichquartettseligkeit, blechbläserlastiges Unheil oder Holzbläserschalk: Die 70-jährige israelische Komponistin ist immer nah dran am pointierten Text von Ricklin. Radikale Avantgarde darf man von Milch-Sheriff trotzdem nicht erwarten, aber das wäre für die Volksoper auch keine Option.

Alma, Mater dolorosa

Mit dieser grossen Uraufführung geht deren Direktorin, Lotte de Beer, dennoch ein Wagnis ein, vor dem man sich an der Wiener Staatsoper schon seit einem halben Jahrzehnt scheut: Dort hatte Bogdan Roščićs Vorgänger Dominique Meyer mit Olga Neuwirths «Orlando» 2019 zuletzt Neues gezeigt. Von Vorteil für die Volksoper ist, dass die Figur der Alma Mahler dem hiesigen Publikum in den letzten Jahrzehnten stets präsent war, etwa durch Paulus Mankers Inszenierung von Joshua Sobols Polydrama «Alma – A Show Biz ans Ende», das in und um Wien seit 1996 über 500 Mal gezeigt wurde.

An der Volksoper hat Ruth Brauer-Kvam die neue Oper von Milch-Sheriff zur musicalnahen «Foxy Horror Alma Show» frisiert: Da wird penetriert, dass der alte Konzertflügel ächzt, da werden für Annette Dasch gleich mehrere Eva-Kostüme bereitgehalten – für jede Altersstufe eines. Die zu Lebzeiten der Mutter verstorbenen Kinder werden in einem kleinen Begräbniszug ins Jenseits transportiert: Alma, Mater dolorosa. Die toten Früchte ihres Leibes – Walter Gropius’ Tochter Manon, Franz Werfels Sohn Martin, Gustav Mahlers Tochter Maria sowie das «ungeborene» Kind Kokoschkas – sieht Ricklin als Folgewirkungen jenes Abtötens von Almas eigener Kreativität als Komponistin, die ihr erster Mann Gustav Mahler von ihr verlangte. «Ihr habt mich getötet», ruft Alma ihren Männern zu, bevor sie am Ende ihre Kompositionen den Flammen übergibt.

Aber hier macht es sich Ricklin mit der Betonung der Opferrolle seiner Protagonistin wohl doch zu leicht. Als Gustav Mahler 1911 starb, war Alma 31 Jahre alt und gut situiert. Bis zu ihrem Tod 1964 in New York hätte sie mehr als ein halbes Jahrhundert Zeit gehabt, jene Werke zu schreiben, von denen sie als junge Frau träumte. Doch sie entschied sich, ihren Lebensweg lieber als Ich-AG mit dem Geschäftsmodell Genie-Optimierung fortzuführen – äusserst erfolgreich, wie man weiss. Denn als Sirene war Alma Mahler äusserst wählerisch, sie liess ihre Verführungskünste nur den vielversprechendsten Künstlern angedeihen, von denen sie dann ultimativ «Meisterwerke» forderte.

Eine herbe Heroine

Annette Dasch kann bei der Darstellung der Titelpartie aus dem Vollen schöpfen, und sie tut es auch. Ob als juwelenbehangene, auch antisemitisch geifernde Salonlöwin oder als klytämnestrahaftes Muttermonster, ob als beduselte Verführerin oder jugendliche Schwärmerin: Die Sopranistin zeigt Alma in all ihren schrillen Facetten und gibt ihrer Stimme dabei mitunter die Intensität einer herben Heroine. An ihrer Seite beeindruckt die mit fülligem Mezzo singende Annelie Sophie Müller, die als einzige überlebende Tochter Anna das Leben und Treiben ihrer Mutter als leidgeprüfte Kritikerin begleitet.

Und die Männer? Da gefällt Timothy Fallon, der als Werfel mit seinem quecksilbrigen Tenor in höchste Höhen vorzustossen versteht. Martin Winkler leiht Oskar Kokoschka seinen mächtigen Bariton, Josef Wagner gibt einen elegant-gestrengen Gustav Mahler. Im Graben koordiniert Omer Meir Wellber das turbulente musikalische Geschehen geschickt. Der kurzzeitige Musikdirektor des Hauses und langjährige künstlerische Kompagnon der Komponistin war es, der Milch-Sheriff überreden konnte, die Uraufführung ihrer Alma-Oper nach Wien zu vergeben.

Dass das Werk just an der Volksoper aus der Taufe gehoben wurde, ergibt auch noch auf eine andere Weise einen Sinn: Als Musikdirektor des ehemaligen Kaiser-Jubiläums-Stadttheaters arbeitete hier ab 1904 der Komponist Alexander Zemlinsky, der ehemalige Lehrer einer gewissen Alma Maria Schindler. Nach einem ersten Kuss mit Gustav Klimt war sie mit Zemlinsky in ihren Jugendjahren in einem heftigen Liebesverhältnis entflammt. Der Rest ist ab sofort Operngeschichte.

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