Sonntag, November 24

Der Aufschrei in der Kulturszene ist gross, weil die Zukunft des Senders 3sat ungewiss ist. Ein Selbstversuch zeigt: ein Verlust wäre verkraftbar.

Haben Sie sich heute schon mit Kultur beschäftigt? Es geht nicht um Spielpläne der grossen Opernhäuser oder Bühnen, nicht um Bayreuth oder Weimar, nicht um Kleinkunst oder Comedy. Es geht um 3sat, den schwer umstrittenen deutsch-schweizerisch-österreichischen Fernsehsender, der am 1. Dezember 40 Jahre alt wird. Unwillkürlich kommt einem der Untergang der DDR in den Sinn, die ihren 40. Jahrestag gerade noch so inszenierte, bevor sie implodierte. Das gleiche Schicksal haben verantwortliche Politiker dem Fernsehsender 3sat zugedacht: 40 Jahre seien genug, und dann sei Schluss. Klappe zu, der Letzte macht das Licht aus.

3sat soll zusammengelegt werden mit dem deutsch-französischen Kulturkonstrukt Arte, so wollen es die verantwortlichen Ministerpräsidenten der deutschen Länder. Der Countdown läuft. Dagegen erhebt sich erwartungsgemäss Widerstand, sogenannte Kulturschaffende solidarisieren sich. 3sat sei unentbehrlich, unverwechselbar, das Einsparpotenzial überschaubar. Und: Als Auftraggeber für Produzenten sei 3sat unerlässlich.

Ich habe mir das Programm von 3sat über Wochen angeschaut, sogar eineinhalb Stunden «Alpenpanorama» live konsumiert. Dieses Tele-Stillleben gibt es morgens ab 7 Uhr 30 wochentags. Nebelverhangene Täler, schneebedeckte Wälder, sonnendurchflutete Berge, weit und breit nur Natur. Gehört der deutsche Wald, gehören diese Berge zur Kultur? Oder zur Natur? Caspar David Friedrich, der gefeierte Romantiker, hätte wahrscheinlich befunden: Natur ist Kultur. Wie auch immer: Das Angebot von 3sat ist randvoll mit Quisquilien, es ist ein Mischmasch aus «Slowenien-Magazin», «Mit Herz am Herd», «Bayerisch Kanada» (da geht es um den Schwarzen Regen, einen Fluss im Alpenvorland) bis hin zur Kriminalkomödie «Schwarzach 23 – Und der Schädel des Saatans».

Ein Sender für Krethi und Plethi

Kraut und Rüben, bunt gemischt, Publikumserheiterung und Belehrungsfernsehen wechseln munter ab. Eine Struktur ist nicht erkennbar. Da kann es dann passieren, dass von 14 Uhr 45 bis 18 Uhr 30, also fast vier Stunden lang, «Nordfrankreich von oben», «Südfrankreich von oben», «Portugal von oben», «New York von oben» und «Rio von oben» gezeigt werden. Und das Gleiche in der folgenden Nacht von 1 Uhr 50 bis 5 Uhr 30 komplett noch einmal. Man fragt sich: Welche Probleme haben Menschen, die sich so etwas stundenlang anschauen? Was für ein Typ Zuschauer verbirgt sich dahinter? Weil: Um 7 Uhr 30, also zwei Stunden später, beginnt schon wieder das legendäre «Alpenpanorama». In den folgenden Tagen, zum Beispiel am 23. und 24. Oktober, dann schwere Kost: «Am Abgrund – Kampf um Rohstoffe» (vier Folgen in drei Stunden). Ein relevantes Thema, unbestritten, aber was haben Rohstoffe mit Kultur zu tun? Etwa so viel wie die Nordkurve von Schalke 04 mit den Ruhrfestspielen.

Summa summarum, 3sat ist ein Sender für alles und nichts, Krethi und Plethi, für Mutti und Papi, im Programm fehlt nur der «Sandmann». Marktanteil 1,4 Prozent, in der Deutschschweiz 1,0 Prozent, in Österreich 1,4 Prozent.

Die Politik hat für 3sat einen Zusammenschluss mit Arte (Marktanteil in Deutschland 1,2 Prozent) zugedacht. Arte ist als deutsch-französisches Kulturkonstrukt programmähnlich, aber nicht gleich. Arte ist internationaler, erwachsener, anspruchsvoller, von der Programmstruktur her durchdacht. Auch bei Arte gibt es Reiseberichte und Tipps für Gourmets, aber Arte wendet sich an den mündigen Zuschauer, 3sat hingegen wendet sich an alle. Dieser Sender hat irgendwann seine Zielgruppe aus dem Fokus verloren, sofern er je eine hatte. Zudem: Er ist deutlich defizitär, schlecht in schwierigen Zeiten. Auch das spricht für eine kritische Betrachtung.

Wenn vor diesem Hintergrund eine Natalie Müller-Elmau, 3sat-Chefin und Direktorin beim ZDF, behauptet, 3sat und Arte seien bisher so aufgestellt, dass sie sich ergänzten und nicht etwa konkurrenzierten, dann ist das dreist oder anmassend, auf jeden Fall Mumpitz. Aber auch kennzeichnend für das unveränderte Selbstverständnis: wie man sich sieht und den Gebühren zahlenden Zuschauer wahrnimmt. Dessen Geld nimmt man gern, «pecunia non olet», doch wie man das Geld verwendet, geht am besten niemanden etwas an.

So weit, so schlecht.

Ein paar versteckte Preziosen

Und dennoch: Es gibt auch Argumente pro 3sat. Im Programm verbergen sich Leckerli, manchmal sogar Preziosen. Als da wären das Wissenschaftsmagazin «nano», von Fall zu Fall sogar die «Kulturzeit» und manchmal, in seltenen Fällen, «Scobel», ein Philosophieformat für die Nische, in der sich dieser Herr Scobel bekömmlich eingerichtet hat. Die Interviewgäste bewegen sich regelmässig zwischen Herrn Professor Willi Wichtig und Frau Moraltheologin Dr. Annemarie Habmichlieb. Geistige Schwergewichte wie Rüdiger Safranski, Peter Sloterdijk oder Richard David Precht spielen dort erwartungsgemäss keine Rolle.

Dann aber, um 22 Uhr, beginnt (leider nicht jeden Tag) «ZIB 2» die Nachrichtensendung des ORF, im günstigen Fall mit Anchorman Armin Wolf. Bei diesem handelt es sich um den wichtigsten News-Moderator im deutschsprachigen Fernsehen (dass auch er gendert, sei ihm in diesem Zusammenhang nachgesehen). Wolf repräsentiert die mittlerweile rare Spezies neugieriger Journalisten, die nicht nur Fragen ablesen, sondern eine eigene Interviewtechnik beherrschen. Ihm nahe kommt neuerdings Christian Sievers, «heute»-Moderator beim ZDF (auch «heute» wird ja, wie die «Tagesschau», von 3sat ausgestrahlt). Beide stehen nicht für Haltungsfernsehen, sondern: Sie wollen es immer ganz genau wissen. Chapeau!

Es gibt wie aufgezeigt also Gründe, 3sat abzuschalten, und es gibt Argumente, den Sender zu erhalten. Darüber hätte man gerne einmal eine informative, unvoreingenommene, ergebnisoffene Sendung zum Beispiel bei 3sat gesehen. Zwei Stunden Diskussionen statt «Rio von oben».

Für die Idee, 3sat mit Arte zu fusionieren, also abzuschaffen, kann man argumentieren. Allerdings: Bevor 3sat abgewickelt wird, gibt es zuhauf andere Möglichkeiten, beim öffentlichrechtlichen Rundfunk zu sparen. Wozu braucht man, zum Beispiel, Radio Bremen oder den Saarländischen Rundfunk? Am besten fusioniert man sie mit dem NDR (Bremen) und dem SWR (Saarbrücken). Die Intendanten in Bremen und Saarbrücken könnten zu Chefs von Landesrundfunkhäusern mutieren (mehr Bedeutung haben sie auch heute schon nicht), und bei der Überschaubarkeit der Sendegebiete reicht der ÖPNV anstelle des Chauffeurs samt Dienstwagen. Diese beiden Kostgänger des öffentlichrechtlichen Systems einzusparen, bringt deutlich mehr als das Ende von 3sat. Und das Publikum würde es garantiert als Geste des öffentlichrechtlichen Fernsehens begreifen, sich selbst einmal zu hinterfragen.

Wozu braucht es ZDF und ARD?

Allerdings drängt sich dann gleich die nächste Frage auf: Wozu brauchen wir das ZDF? Wieso reicht für Grossbritannien eine (hochangesehene) BBC, und wieso braucht Deutschland zwei öffentlichrechtliche Systeme? Es wäre schön, von Norbert Himmler, dem ZDF-Intendanten, darauf eine schlüssige Antwort zu erhalten. Wieso kommt die BBC mit fünf Milliarden Euro pro Jahr aus, während ARD und ZDF neun Milliarden beanspruchen? Ist der Engländer dümmer als der Deutsche, weil er nur ein System hat? Weiss er weniger von der Welt? Ist er undemokratischer? Und warum schauen viele Deutsche (wie ich) bei Weltereignissen (zum Beispiel US-Wahlen) CNN oder BBC und nicht ARD oder ZDF? Warum wohl? Weil sie fundiertere Analysen erwarten. Mehr Journalismus, weniger Haltung.

Was können ARD und ZDF zu ihrer Verteidigung vorbringen? Uns, ARD und ZDF, gab’s schon immer, und wir haben ja einen Medienstaatsvertrag. «Pacta sunt servanda.» Richtig, aber Verträge kann man ändern. Oder auflösen.

Georg Christoph Lichtenberg, der Gelehrte, konnte von 3sat nichts wissen, aber vor etwa 250 Jahren formulierte er einen sehr klugen Gedanken, der auf den Fall 3sat gut passt: «Ich weiss nicht, ob es besser werden wird, wenn es anders wird. Aber so viel kann ich sagen: Es muss anders werden, wenn es gut werden soll.» Schade, dass Armin Wolf ihn dazu nicht mehr befragen kann.

Hans-Hermann Tiedje, früher Chefredakteur von «Bild» und Berater von Bundeskanzler Helmut Kohl, ist Ankeraktionär der Kommunikationsagentur WMP EuroCom in Berlin.

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