Der Google-Mutterkonzern hat an der Börse zuletzt an Dynamik verloren. Das Risiko regulatorischer Eingriffe und das disruptive Potenzial von KI verunsichern. Doch für die Revolution im Tech-Sektor ist kein anderes Unternehmen besser aufgestellt. Plus: ASML sorgt für einen Schocker.
Noch ist nicht Halloween, doch die Berichtssaison im Tech-Sektor beginnt bereits mit einem Schocker. Der niederländische Halbleiterausrüster ASML enttäuscht mit dem Abschluss zum dritten Quartal, was am Dienstag auch die Börsen in den USA belastet hat.
Der Nasdaq 100 mit den grössten Technologiewerten notierte zu Handelsschluss 1,4% tiefer. Der breit gestreute S&P 500 gab 0,8% nach.
Eigentlich wollte ASML die Zahlen erst heute Mittwochmorgen präsentieren. Aufgrund eines internen Missgeschicks kamen sie aber schon gestern am frühen Abend an die Öffentlichkeit, was gleich in mehrfacher Hinsicht auf die Stimmung schlug.
Die Bestellungen neuer Lithografiesysteme zur Halbleiterproduktion belaufen sich für die Berichtsperiode auf bloss 2,6 Mrd. €, wogegen der Analystenkonsens mit 5,4 Mrd. gerechnet hatte. Deutlich hinter den Erwartungen zurück bleibt ebenfalls der Ausblick auf das nächste Jahr. Neu geht ASML für 2025 nur noch von 30 Mrd. bis 35 Mrd. € Umsatz aus. Am Markt wurden bisher knapp 36 Mrd. € erwartet.
«Während es im Bereich künstliche Intelligenz weiterhin starke Trends und Potenzial nach oben gibt, brauchen andere Marktsegmente länger, um sich zu erholen», sagt CEO Christophe Fouquet in der Medienmitteilung. Diese Entwicklung «wird sich voraussichtlich auch 2025 fortsetzen, was zu einer gewissen Zurückhaltung der Kunden führt.»
Ein Grund für die Warnung vom Konzernsitz in Eindhoven dürfte mit den Budgetkürzungen von Intel zu tun haben. Der einstige Branchenleader steckt in einer existenziellen Krise und baut weniger schnell neue Kapazitäten auf als geplant. ASML erwähnt denn auch speziell «Veränderungen in der Nachfrage» nach Lithographiemaschinen, die mit extrem ultravioletter Strahlung (EUV) arbeiten und zur Produktion der leistungsfähigsten Prozessoren eingesetzt werden, unter anderem von Intel.
Für zusätzliche Irritation sorgen Aussagen zu China. Wie andere Hersteller von Equipment zur Wafer-Fabrikation hat ASML zuletzt wesentlich vom massiven Kapazitätsausbau in der chinesischen Halbleiterindustrie profitiert. Fast die Hälfte der Konzerneinnahmen stammten zuletzt aus der Volksrepublik. Nächstes Jahr soll der Anteil gemäss dem Management auf die historische Norm von rund 20% zurückgehen. Möglicherweise sind dafür neue Exportbeschränkungen mitverantwortlich, die im September von den USA verhängt wurden.
In New York gaben die Aktien von ASML gestern gut 16% nach – der grösste Tagesverlust seit März 2020. Auch die Branchennachbarn Applied Materials (–11%), Lam Research (–11%) und KLA (–15%) erlitten grössere Einbussen. Der PHLX Semiconductor Index sank mehr als 5%. Empfindlich reagierten ebenso typische KI-Aktien wie Nvidia. Nachdem die Titel des Chipdesigners zu Wochenbeginn erstmals seit Mitte Juni ein neues Allzeithoch markiert hatten, fielen sie knapp 5% zurück.
Wir haben uns in dieser Analyse erst vor wenigen Wochen ausführlich mit den Ausrüstern der Halbleiterindustrie beschäftigt. Aktien aus diesem Segment verhalten sich erfahrungsgemäss besonders volatil, doch aus fundamentaler Sicht hat die Branche überaus spannende Perspektiven. Wer langfristig denkt und über die nötigen Nerven verfügt, nutzt solche Rückschläge, um Positionen zu eröffnen oder auszubauen.
Eine der wenigen positiven Ausnahmen im schwachen Gesamtmarkt war gestern Apple. Die Aktien des iPhone-Herstellers tendierten 1,1% höher und kletterten vorübergehend über das Allzeithoch von Mitte Juli. Auch Alphabet konnte sich knapp im Plus halten, die Aktien hinken anderen grossen Tech-Titeln nun aber schon seit einigen Monaten hinterher.
Eine Ursache für die verhaltene Performance des Google-Mutterkonzerns hat mit dem wachsenden regulatorischen Druck zu tun. Im Zusammenhang mit der Dominanz im Markt für Internetsuchen stellen die Wettbewerbshüter nun sogar eine Aufspaltung zur Diskussion.
Aus diesem Grund befasst sich «The Pulse» in der heutigen Ausgabe mit den regulatorischen Risiken für Alphabet und geht der Frage nach, ob sich angesichts der momentanen Kursschwäche möglicherweise eine Gelegenheit für Engagements präsentiert.
Im Visier der US-Justizbehörden
Alphabet gibt die Zahlen zum dritten Quartal am 29. Oktober nach Handelsschluss bekannt. Analysten prognostizieren, dass der Konzern mit Sitz in Mountain View den Umsatz in der Berichtsperiode gegenüber dem Vorjahr rund 12% auf 86,2 Mrd. $ verbessert hat. Beim Gewinn wird eine Zunahme von 16,5% auf 22,9 Mrd. oder 1.84 $ pro Aktie erwartet.
Das Augenmerk richtet sich wie immer auf das Kerngeschäft mit Internetsuchen. Der Konsens rechnet damit, dass sich das Umsatzwachstum aufgrund der anspruchsvolleren Vergleichsbasis aus dem Vorjahr leicht auf 12% abgeschwächt hat und sich im vierten Quartal weiter auf 11% abflachen wird.
Der Profitabilität wird das etwas geringere Expansionstempo allerdings nicht schaden. Dank mehr Disziplin bei den Kosten dürfte sich die operative Marge auf Stufe Ebit gemäss Analystenschätzungen im zweiten Semester weiterhin auf über 30% bewegen. Beim freien Cashflow wird für das Gesamtjahr trotz massiver Investitionen in künstliche Intelligenz mit einer Steigerung von knapp 10% auf 76 Mrd. $ gerechnet. Unter den grössten Konzernen Amerikas verdient nur Apple (109 Mrd. $) mehr und Microsoft etwa gleich viel.
Aus einer Investmentperspektive stellt sich aber auch die Frage, ob das hochprofitable Geschäftsmodell von Alphabet auf mittlere bis lange Sicht Bestand hat. Der Boom im Bereich künstlicher Intelligenz mischt den Tech-Sektor auf. In den USA wie auch in Europa steht Big Tech zudem im Visier der Wettbewerbsbehörden, womit ein weiterer Risikofaktor hinzukommt.
Das gilt speziell für Alphabet. In den USA hat das Justizministerium das Unternehmen bereits im Herbst 2020 wegen Verletzung des Wettbewerbsgesetzes angeklagt. Es ist der grösste Prozess im Tech-Sektor seit dem Schuldspruch gegen Microsoft im Sommer 2001. In einem weiteren Verfahren wird Alphabet ausserdem wegen Verstössen gegen die Wettbewerbsauflagen im Zusammenhang mit Technologie für Onlinewerbung angeklagt.
Um was also geht es genau?
Netzwerkeffekte und Monopole
Eine Suchmaschine ist ein gigantisches, lernfähiges Programm, das menschliches Verhalten nutzt, um das Internet zu kartografieren. Google verwendete dafür zunächst vor allem Links zwischen verschiedenen Webseiten als Signale. Mit der Zeit erhielt das Unternehmen aber noch viel mehr und bessere Informationen aus dem Nutzerverhalten selbst: Welche Suchergebnisse werden zuerst angeklickt, wie wird eine Abfrage danach abgeändert, um bessere Ergebnisse zu finden, und wonach wird vorher und nachher gesucht?
Dasselbe Prinzip gilt für die Werbung. Je mehr Anzeigen Google schaltet, desto besser weiss das Programm darüber Bescheid, welche davon am besten funktionieren respektive angeklickt werden. Je grösser und präziser dieses Wissen, desto mehr sind Werbekunden bereit, für Anzeigen bei bestimmten Suchanfragen zu zahlen.
Anders gesagt: Das Geschäft mit Internetsuchen basiert auf einem Kreislauf, der sich fortwährend selbst verstärkt. Alle nutzen Google, weil das Programm die besten Ergebnisse liefert, und Google liefert die besten Ergebnisse, weil alle das Programm nutzen. Dadurch verdient Google mehr und mehr Geld, das wiederum in die Verbesserung des Programms investiert werden kann, was den Kreislauf weiter verstärkt.
Das bedeutet ebenso, dass ein Eintritt in den Markt für Wettbewerber enorm schwierig ist und zusehends schwieriger wird. Dieses Problem betrifft nicht nur kleine Start-up-Unternehmen, sondern selbst andere grosse Tech-Konzerne, die zwar das Geld für die erforderliche Infrastruktur hätten, aber längst nicht über das gleiche Volumen an Daten verfügen wie Alphabet.
«In technologischer Hinsicht wird diesbezüglich von einem Netzwerkeffekt gesprochen, und in der Wettbewerbstheorie von einem natürlichen Monopol», fasst der Branchenbeobachter Benedict Evans den Sachverhalt zusammen. Was Suchanfragen über Smartphone-Geräte betrifft, bewegt sich der Marktanteil von Google in den USA seit mehr als zehn Jahren um 90% oder darüber.
Ähnlich verhält es sich bei Suchen über Desktop-Computer, wo der Anteil gemäss dem Researchdienst Statcounter rund 80% beträgt. Im internationalen Vergleich sehen diese Werte ähnlich aus.
In den USA richtet sich der Sherman Antitrust Act schon seit 1890 gegen Probleme mit Monopolen und Kartellen. Auf seiner Basis wurde 1911 das Imperium des Ölmagnaten John Rockefeller aufgespalten. Ein Monopol per se ist gemäss dem Gesetz allerdings nicht verboten, sondern nur Massnahmen, um durch Absprachen zwischen Unternehmen ein Monopol zu bilden oder es dafür zu nutzen, andere Wettbewerber fernzuhalten.
In diesem Punkt hat ein Gericht in Washington Google am 5. August schuldig gesprochen. «Google ist ein Monopolist und hat wie ein solcher gehandelt, um sein Monopol aufrechtzuerhalten», hält Richter Amit Mehta im Urteil fest. Vergangene Woche haben die US-Justizbehörden erste Vorschläge präsentiert, um mehr Wettbewerb im Suchgeschäft zu fördern. Dazu zählen auch «strukturelle Massnahmen», sprich eine verordnete Abtrennung von Geschäftsbereichen.
Das US-Justizdepartement wird seine endgültigen Vorschläge nun bis zum 20. November dem Gericht vorlegen. Daraufhin hat Google bis zum 20. Dezember Zeit, selbst Massnahmen vorzuschlagen, um künftig dem Wettbewerbsgesetz zu entsprechen. Ein finaler Gerichtsentscheid ist für August 2025 vorgesehen.
Absprachen und Anreize
Um die möglichen Folgen des Rechtstreits abschätzen zu können, ist ein kurzer Blick auf die Konzernstruktur von Alphabet notwendig. Das Unternehmen ist ein Konglomerat, das im Wesentlichen in drei Bereiche unterteilt ist: Mit annähernd 80% verdient der Konzern den überwiegenden Teil der Einnahmen mit Onlinewerbung. Das Google Advertising genannte Geschäft umfasst Anzeigen bei der Internetsuche und beim Videoportal YouTube sowie Technologiedienste für Werbekunden.
Hinzu kommen weitere Einnahmen im Google-Verbund mit Abo-Diensten wie YouTube-TV, mit dem App-Store Google Play und mit dem Pixel-Smartphone sowie mit anderen Endgeräten. Die beiden anderen Sparten des Konzerns sind der Cloud-Infrastrukturdienst Google Cloud und Other Bets, zu denen vor allem die Unternehmen Waymo (selbstfahrende Autos), Wing (Flugdrohnen) und Calico (Biotechnologie) gehören.
Im Kern des Gerichtsverfahrens geht es um finanzielle Übereinkünfte mit anderen Unternehmen. Der Konzern bezahlt sie dafür, dass Google auf ihren Plattformen in den Voreinstellungen die Standardsuchmaschine ist. Solche Geschäftspartner sind Apple sowie Samsung Electronics und andere Smartphone-Hersteller mit Googles Android-Betriebssystem, Mobilfunkanbieter wie Verizon sowie AT&T und Browser-Anbieter wie Firefox.
De facto handelt es sich dabei um Abmachungen zum Teilen von Einnahmen. In der Branche wird von Traffic Acquisition Costs oder kurz TAC gesprochen. Analysten schätzen, dass sich die Kosten für Alphabet dieses Jahr auf knapp 55 Mrd. $ belaufen werden, denen rund 263 Mrd. $ aus dem Geschäft mit Onlinewerbung gegenüberstehen. Wie in den vergangenen Jahren werden sie sich demnach zwischen 20 und 23% des Umsatzes mit Werbung bewegen.
Die mit Abstand wichtigste Vereinbarung besteht mit Apple. Wie aus Dokumenten des Gerichtsverfahrens hervorgeht, zahlte Google dem iPhone-Konzern 2022 rund 20 Mrd. $ dafür, dass Google als Standardsuchmaschine im Safari-Browser voreingestellt ist. Das entsprach fast 18% des Betriebsgewinns von Apple im betreffenden Jahr.
Generell werden in den USA rund 50% der Suchanfragen von mobilen Geräten mit Google als Standardbrowser durchgeführt, wobei etwas weniger als 30% Apple-Geräte sind. Weitere 20% werden von PC-Geräten mit dem Chrome-Browser von Google ausgeführt. Dazu zählen auch Apple-Computer wie das MacBook.
Die Schlüsselfrage ist nun, welche Massnahmen die Behörden gegen Google verhängen und wie sie sich auf das Suchgeschäft auswirken werden. Doch selbst wenn beispielsweise der Vertrag mit Apple aufgelöst werden muss, ist unklar, ob sich dadurch viel ändern wird. Apple ist keine Partei im Gerichtsverfahren und könnte Google aus Qualitätsgründen als Standard im Browser belassen, weil die Resultate am besten sind.
Für Alphabet wäre dies das beste Szenario, da dann die Traffic Acquisition Costs wegfallen würden. Ganz unwahrscheinlich ist dieses Szenario nicht. Nutzer von Android-Smartphones in Europa beispielsweise müssen bereits seit Anfang 2020 nach einer Entscheidung der Wettbewerbshüter eine Auswahl verschiedener Suchmaschinen auf dem Bildschirm angeboten bekommen. An der Dominanz von Google hat dies jedoch kaum etwas geändert.
Im Gegenteil: «Als kartellrechtliche Abhilfemassnahme hat der Auswahlbildschirm nicht nur keinen Beitrag dazu geleistet, den Suchmarkt wettbewerbsfähiger zu machen, sondern könnte die dominante Stellung von Google sogar verstärken», hielt die Fachpublikation «Search Engine Land» ein Jahr später fest. Bis heute hat sich in Europa an der Marktstruktur so gut wie nichts verändert.
Andere Möglichkeiten wären, den Chrome-Browser und/oder das Android-Betriebssystem von Google als separate Gesellschaften abzuspalten. Das Problem ist jedoch, dass diese Plattformen auf sich gestellt keine Einnahmen erwirtschaften. Ein weiterer Vorschlag wäre, dass Google Nutzerdaten mit Konkurrenten teilen muss, womit sich aber Bedenken zum Schutz der Privatsphäre stellen könnten.
Ein weiterer Aspekt ist, dass Apple und andere Konzerne wegen der TAC-Vereinbarungen aus strategischer Sicht nur wenig Motivation haben, ein eigenes Suchgeschäft aufzubauen. Fallen die Übereinkünfte mit Google weg, könnte sich Apple zum Beispiel vermehrt Gedanken machen, selbst ins Suchgeschäft einzusteigen oder zumindest einen Teil der Suchabfragen über einen eigenen Dienst zu leiten.
Wird künstliche Intelligenz zum Game Changer?
Bis die Wettbewerbsbehörden in den USA tatsächlich konkrete Massnahmen gegen Google umsetzen können, ist das Problem im schnelllebigen Tech-Sektor vielleicht ohnehin nicht mehr relevant.
«Entscheidend ist, dass Google öffentlich die Absicht geäussert hat, gegen das Urteil Berufung einzulegen, was die Auswirkungen auf das Geschäftsmodell um mehrere Quartale und möglicherweise Jahre nach einem endgültigen Beschluss über Massnahmen zur Förderung des Wettbewerbs verzögern würde», meint dazu Scott Devitt, Internet-Analyst beim Broker Wedbush. Das Gleiche gilt für den zweiten Gerichtsprozess zu Googles Technologiediensten für Werbekunden, der noch in einem relativ frühen Stadium ist.
Umso wichtiger werden die Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz sein. Mit der Ankündigung der Zusammenarbeit mit OpenAI, dem Start-up hinter ChatGPT, hat Microsoft im Februar 2023 einen ersten Angriff auf das Suchgeschäft von Google lanciert. Bisher bleiben die Resultate bescheiden, doch andere KI-Plattformen wie Perplexity haben möglicherweise mehr Erfolg. Mit Spannung wird auch der Start von SearchGPT erwartet, einem neuen Suchdienst von OpenAI, der gegenwärtig in der Testphase ist.
Ob sich mit grossen Sprachmodellen im Markt für Internetsuchen wirklich Geld verdienen lässt, bleibt angesichts der häufigen Fehler und Falschinformationen offen. Dieses Problem besteht zwar auch bei Gemini, dem KI-Modell von Google. Sollte der Trend aber tatsächlich in Richtung solcher Chatbots gehen, befindet sich das Unternehmen in einer hervorragenden Ausgangslage und kann die nötigen Investitionen besser stemmen als die meisten Konkurrenten.
Analysten von Bank of America rechnen für 2024 mit Kapitalausgaben von 51 Mrd. $, nach 32 Mrd. im Vorjahr. Nächstes Jahr sollen es 54 Mrd. $ sein, denen ein freier Cashflow von 96 Mrd. gegenübersteht. Investitionen in dieser Grössenordnung sieht man sonst nur bei Microsoft und allenfalls bei Amazon.
Dass Alphabet auch in Sachen Wissen führend ist, zeigte sich vor wenigen Tagen bei der Bekanntgabe der diesjährigen Nobelpreisträger. Ausgezeichnet wurden unter anderem Demis Hassabis, Mitbegründer von Googles KI-Sparte DeepMind, und sein Kollege John Jumper. Auch Geoffrey Hinton, ehemaliger KI-Forscher bei Google, erhielt einen Nobelpreis.
Bei der Präsentation der Quartalszahlen in knapp zwei Wochen wird deshalb Googles neuer Dienst «AI Overview» im Fokus stehen. Es handelt sich um einen durch künstliche Intelligenz erzeugten Überblick für bestimmte Suchanfragen, dem Anzeigen dazugestellt werden. Wer zum Beispiel nach Ideen sucht, wie er Grasflecken aus seiner Jeans entfernen kann, sieht Werbung für Waschmittel.
«AI Overview sollte ein mehrjähriger Treiber für Einnahmen mit Internetsuchen sein», denkt Brian Pitz, Tech-Analyst bei der Grossbank BMO. «Der vor kurzem für Smartphone-Nutzer in den USA eingeführte Dienst sollte das Risiko einer nennenswerten Abschwächung des Umsatzwachstums eliminieren, da er zusätzliche Einnahmen einbringt, während der Kern des Suchgeschäfts stabil bleibt.» Hinzu komme, dass Googles Kosten für KI-basierte Abfragen rasch sinken, was Unsicherheit betreffend einer Kompression der Profitabilität und des freien Cashflows beseitigen sollte.
Was für eine Investition spricht
Wie die Aktien von Alphabet nach der Veröffentlichung der Quartalszahlen reagieren werden, ist schwierig zu sagen. Böse Überraschungen lassen sich nie ausschliessen. Die Enttäuschung nach dem Resultat von ASML gestern Dienstag ist ein aktuelles Beispiel. Auch sind Investitionen in Big Tech nicht jedermanns Sache.
Richtet man den Blick auf die kommenden Monate, ist gut möglich, dass die Unsicherheit im Zusammenhang mit den hängigen Rechtsverfahren vorerst weiterhin etwas auf den Aktien von Alphabet lastet. Die Titel notieren seit der Urteilsverkündung von Anfang August praktisch unverändert, hinken anderen Tech-Aktien aber hinterher. In den letzten zwölf Monaten haben sie knapp 20% gut gemacht, während der Nasdaq 100 rund 34% gewonnen hat.
Den Investment Case für Alphabet haben wir zuletzt Anfang Februar in dieser Analyse ausführlich dargelegt. Das Hauptargument, das für ein Engagement spricht, ist die Bewertung. Basierend auf den Analystenschätzungen für die nächsten zwölf Monate handeln die Titel zum 12,5-Fachen des Ebitda. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis beträgt knapp 21, was unter dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre (24,3) und zehn Jahre (23,7) liegt. Alle anderen Schwergewichte aus dem Tech-Sektor sind teurer – zum Teil sogar erheblich, was höchstens im Fall von Microsoft gerechtfertigt ist.
«Obschon wir angesichts der regulatorischen Belastungen nicht mit einem signifikanten Anstieg der Bewertung rechnen, glauben wir, dass der Aktienkurs mit Hilfe des Gewinnwachstum steigen kann», meint Internetanalyst Justin Post von Bank of America. Sollte sich die Stimmung deutlich eintrüben, ist Alphabet zudem in der Lage, sich aus eigener Kraft bei Investoren in ein besseres Licht zu rücken.
Bestrebungen dieser Art sind bereits im Gang. Am nächsten Dienstag wird Anat Ashkenazi als neue Finanzchefin erstmals über die finanziellen Eckwerte informieren. Es ist gut denkbar, dass Alphabet die Transparenz in der Berichterstattung mit dem Wechsel weiter verbessert. Ashkenazis Vorgängerin, Ruth Porat, konzentriert sich als Chief Investment Officer nun in erster Linie auf die Venture-Sparte Other Bets. Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass sie dabei Kostenkürzungen vornehmen wird und vielleicht sogar die Tochter Waymo für Investoren öffnet.
Sollten die Regulatoren rigoros durchgreifen und Alphabet zu einer Aufspaltung zwingen, wäre das ausserdem nicht unbedingt schlecht. Historisch konnten Aktionäre bei der Aufspaltung von Rockefellers Öl- und Raffineriekonglomerat damals erheblich profitieren. «Unserer Meinung nach ist Alphabet in Einzelteilen mehr wert als zusammen», argumentiert Laura Martin vom Broker Needham. Aus ihrer Sicht steckt vor allem in einer Abtrennung von YouTube Kurspotenzial.
Schliesslich ist kein anderer Konzern im S&P 500 bilanztechnisch besser ausgestattet. Mit 72 Mrd. $ ist die Nettoliquidität sogar grösser als bei Apple (51,7 Mrd. $). Das neue Aktienrückkaufprogramm im Umfang von 70 Mrd. $, das Alphabet im April angekündigt hat, ist problemlos verkraftbar. Zugleich hat der Konzern eine Dividende von 0.20 Cent pro Aktie eingeführt. Mit 0,5% ist die Dividendenrendite zwar nicht berauschend, aber besser als nichts. Und es ist so gut wie sicher, dass die Barausschüttung in Zukunft kontinuierlich steigen wird.
Deep Diving
An dieser Stelle präsentieren wir wie immer einige Links, die einen vertieften Einblick in ein aktuelles Thema geben:
- Der grosse Tech-Boom hat in den vergangenen Jahren zu einer enormen Konzentration an Geld im Silicon Valley geführt. Das macht sich immer stärker bemerkbar, wenn es um politische Einflussnahme geht, speziell hinsichtlich der Regulierung von Kryptowährungen oder künstlicher Intelligenz. Das Lesemagazin «The New Yorker» berichtet in dieser Reportage, wie Elon Musk, Marc Andreessen und andere Geldgeber aus der Venture-Capital-Szene Kaliforniens den Wahlkampf von Donald Trump mit millionenschweren Spenden unterstützen.
- An der Börse ist der Hype um Schlankmacherpräparate wie Wegovy und Mounjaro von Novo Nordisk respektive Eli Lilly etwas abgeflacht. Die Nachfrage ist jedoch ungebrochen, womit auch der Handel im Schwarzmarkt floriert. Der Börsensender «CNBC» befasst sich in einem investigativen Bericht damit, wie Fälschungen und illegale Importe von beliebten Medikamenten durch dubiose Firmen in Umlauf gebracht werden.
- Dass autoritäre Regime wie in China, Nordkorea und Russland Informationen aus dem Internet systematisch zensieren, überwachen oder einschränken, ist hinlänglich bekannt. Weniger oft hört man jedoch davon, dass auch die Regierung Indiens häufig den Zugang zum World Wide Web sperrt. Allein in diesem Jahr haben die Behörden in bestimmten Landesregionen mehr als fünfzig Blackout-Massnahmen verordnet. Wie dieser Hintergrundbericht der Onlinepublikation «Rest of World» aufzeigt, wird das Internet in keinem anderen demokratischen Land so streng zensiert.
Und zum Schluss noch dies: Trumpchella
Der Countdown läuft. Bis zu den US-Wahlen sind es weniger als drei Wochen. Über den Ausgang wird heftig spekuliert. In den Umfragen hat Donald Trump in den vergangenen Tagen weiter Terrain gut gemacht. An den politischen Börsen wird nun darauf gewettet, dass er das Rennen um das Weisse mit knappem Vorsprung gegenüber Kamala Harris gewinnt.
Kalifornien steht auf der Schlussetappe zwar weniger im Fokus. Seit dem Wahlsieg von Bill Clinton im Herbst 1992 hat der mit 39 Mio. Einwohnern bevölkerungsreichste Bundesstaat stets für den Kandidaten der Demokraten gewählt. Im Golden State werden 54 der landesweit insgesamt 538 Elektorenstimmen vergeben. Auch Kamala Harris wird sie am 5. November mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gewinnen.
Was in der Wahlnacht an der Westküste passiert, wird für die nationale Politik in den Vereinigten Staaten dennoch spannend. Der Grund dafür hat mit der künftigen Machtverteilung im Repräsentantenhaus zu tun, wo die Republikaner derzeit mit 220 von total 435 Sitzen eine dünne Mehrheit halten. Fünfzehn der republikanischen Sitze sind hart umkämpft, gleich fünf davon in Kalifornien.
Selbst Donald Trump hat am vergangenen Wochenende deshalb einen kurzen Abstecher in den liberal-progressiv dominierten Bundesstaat gemacht, den er vorzugsweise als gesetzlosen Sündenpfuhl bezeichnet. Für seine Wahlkampfveranstaltung wählte eine Ranch gut zwei Autostunden östlich von Los Angeles im Coachella Valley, das sonst vor allem für ein jährliches Musikfestival und das Golfparadies Palm Springs bekannt ist.
Seine Anhänger kamen in Scharen. Gemessen an absoluten Zahlen leben in Kalifornien mehr republikanische Wähler als in den meisten anderen Bundesstaaten. Wie die «Los Angeles Times» berichtet, standen die Leute stundenlang in der trockenen Hitze der Mojave-Wüste Schlange. «Willkommen in Trumpchella», begrüsste sie Jessica Millan Patterson, die Vorsteherin der Republikanischen Partei Kaliforniens.
Im Wahldistrikt des Coachella Valley wird entschieden, wer einen der fünf umkämpften Sitze in Kalifornien gewinnt. In den urbanen Zentren an der Pazifikküste wie San Francisco, Los Angeles und San Diego wählt die Bevölkerung mit überwiegender Mehrheit demokratisch. In den weniger bevölkerungsreichen Regionen weiter im Landesinneren hingegen gehen üblicherweise mehr Stimmen an die Republikaner.
Trump ist denn auch nicht der einzige hochrangige Politiker, der sich in den vergangenen Tagen im Golden State blicken liess. Mit Mike Johnson, dem Sprecher der Republikaner, und Hakeem Jeffries, dem Anführer der demokratischen Fraktion, waren am Wochenende ebenso die beiden Top-Vertreter ihrer Partei im Repräsentantenhaus gleichzeitig in Kalifornien auf Stimmenfang. Bis zu den Wahlen wird es kaum der letzte Besuch von Prominenz aus Washington gewesen sein.