Mittwoch, Januar 29

Die Chefin des zweitgrössten Schweizer Stromproduzenten erklärt, warum die Schweiz ein Stromabkommen mit der EU benötigt – und weshalb weder Gaskraftwerke noch AKW die Lösung sind.

Im Winter gibt es in Europa immer wieder Phasen, in denen der Strom knapp zu werden droht, weil die Solar- und die Windkraftanlagen praktisch nichts produzieren. Diese sogenannten Dunkelflauten werden von Kritikern immer wieder als Argument gegen den Ausbau der erneuerbaren Energien gebraucht. Zu Recht?

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Die Stromproduktion und der Stromverbrauch sind nie gleich. Damit es keinen Blackout gibt, müssen sie im Gleichgewicht gehalten werden. Und dafür braucht es immer ein Back-up, damit das System am Laufen gehalten werden kann. Wir kennen ein ähnliches Phänomen wie die Dunkelflaute bei der Kernenergie: Jedes Kernkraftwerk geht jährlich mindestens vier bis sechs Wochen in die Revision. Ausserdem können Kern- oder auch andere Kraftwerke ungeplant ausfallen. Das zeigt: Alle Technologien brauchen ein Back-up.

Und wie genau sieht dieses Back-up aus?

Für die Schweiz heisst ein entscheidender Teil dieses Back-ups Europa. Geht ein Kernkraftwerk in die Wartung oder fällt es aus, können wir dank unseren vielen Stromleitungen auf Europas Produktion zugreifen. Und deshalb ist ein Stromabkommen mit der EU so wichtig. Ohne Vertrag mit der EU droht dieser Zugriff wegzufallen oder zumindest deutlich schwieriger zu werden.

Was wären die Folgen für die Schweiz?

Sie könnte in schwierigen Situationen nicht mehr im gleichen Umfang wie bisher Energie importieren. Die gleiche Einschränkung droht beim Export: Wir können genau in den Zeiten nicht mehr liefern, in denen andere Länder gerne von unseren Reserven profitieren würden. Das gefährdet die gesamte Versorgungssicherheit.

Hat Europa in Zeiten der Knappheit künftig überhaupt genug Strom, damit wir importieren können?

Es geht nicht primär um grosse Jahreslieferungen. Sondern insbesondere um sogenannte Regelenergie, die beispielsweise innert dreissig Sekunden importiert oder geliefert werden muss, um das Stromnetz stabil zu halten. Dieser Ausgleich erfolgt über das gesamte europäische Stromnetz. Dessen schiere Grösse hält die Kosten tief. Ohne Vertrag mit Europa wird der Markt sehr klein, und es wird für unser Land extrem teuer, unser Stromnetz isoliert auszugleichen.

Wie teuer?

Gemäss den jüngsten Szenarien des Schweizer Elektrizitäts-Branchenverbandes wären es 2050 im gesamten System jährlich 500 bis 700 Millionen Franken. Wir sehen heute schon, dass die vorgehaltene Regelenergie wegen unpräziser Prognosen in der Schweiz oft nicht mehr ausreicht, um den Ausgleich zu schaffen. Dann muss die Schweiz auf Europa zurückgreifen. In der Schweiz gibt es zu wenige Anbieter von flexibler Energie, und deshalb ergibt eine volle Integration volkswirtschaftlich Sinn. Sonst steigen die Preise weiter, und das ist sicher nicht im Interesse der Wirtschaft.

Der Schweiz stehen auch noch andere Optionen offen. Das Land könnte zügig Gaskraftwerke bauen.

Denken Sie doch einmal zurück ans Krisenjahr 2022. Die Frage war da nicht, ob die Schweiz Gaskraftwerke hat. Sondern ob es überhaupt Gas gibt. Die Verfügbarkeit aufgrund geopolitischer Abhängigkeiten dürfen wir nicht ignorieren.

Der Bundesrat will das in der Schweiz geltende Kernenergieverbot wieder aufheben. Wäre das eine Lösung?

Ich habe nichts dagegen, die Kernenergie in der Schweiz wieder zuzulassen. Doch das löst die Probleme der nächsten fünfzehn bis zwanzig Jahre nicht. Wir müssen jetzt die Realisierung der vorhandenen Projekte zum Ausbau der Energieproduktion in der Schweiz vorantreiben und uns für das Stromabkommen einsetzen. Gleichzeitig prüfen wir den Langzeitbetrieb der bestehenden Kernkraftwerke. Ob wir dann Kernenergie zubauen können und welche Technologie wir nutzen wollen – dieser Frage müssen wir uns dann später stellen.

Antje Kanngiesser ist seit 2021 CEO der Alpiq. Das Unternehmen ist einer der grössten Stromproduzenten der Schweiz.

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