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Von Audrey Hepburn und Sophia Loren über Konrad Adenauer bis hin zu Jimmy Carter: Auf dem Berg am Vierwaldstättersee hat sich bereits in den 1950er und 1960er Jahren die Elite versammelt. Ein Blick ins Bildarchiv.

Es gab eine Zeit, da war die Schweiz Refugium für kriegsgebeutelte, aber gutbetuchte Menschen aus der ganzen Welt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden viele Hotels aus der Belle Époque geschlossen, ihre Räumlichkeiten in Wohnungen umfunktioniert, oder sie wurden abgerissen. Nur wenige Hotels schafften es aus eigener Kraft, zu überleben, mehr noch: sich zu erholen.

Ein Resort auf dem Bürgenberg im Kanton Nidwalden, besser bekannt als Bürgenstock, gehörte zur zweiten Kategorie. Ab Mitte der 1920er Jahre war es im Besitz einer gewissen Familie Frey aus Luzern. Die Kriegsjahre und die Zeit danach nutzten sie, um das Resort einer umfassenden Renovation zu unterziehen. Denn: Wer es sich leisten konnte, begann nun wieder zu reisen.

Der neue Hoteldirektor und Erbe, Fritz Frey, liess sich für die Ausbauarbeiten von seinen Reisen in die USA inspirieren. Sein Vater hatte die Kunst auf den Bürgenstock gebracht, Fritz Frey brachte Hollywood. Er lud seine prominenten Bekanntschaften ein, Ferien in seinem Hotel zu machen. Und sie kamen.

So war Sophia Loren in den 1950er Jahren zunächst Stammgast auf dem Bürgenstock, schliesslich wohnte sie mit ihrem Mann, dem Filmproduzenten Carlo Ponti, gar über Jahre in einem Haus, das zum Resort gehört.

Ihr Aufenthalt in der Schweiz hatte aber nicht nur romantische Gründe. Ponti hatte sich von seiner ersten Frau in Mexiko scheiden lassen – allerdings waren Scheidungen im damaligen Italien nicht anerkannt. Somit wurde Ponti in seiner Heimat der Bigamie bezichtigt. Das Paar musste gemeinsam im Ausland leben und pendelte zwischen Los Angeles und dem Bürgenstock.

«Italien hat Carlo und mich verstossen, als wären wir Verbrecher», wird Loren später in ihrer Biografie «Yesterday, Today, Tomorrow: My Life» schreiben. Sie habe jedes Mal an die ihr verwehrte Traumhochzeit gedacht, wenn sie an der Kapelle auf dem Bürgenstock vorbeigegangen sei.

Audrey Hepburn gründet auf dem Bürgenstock eine Familie

In Lorens unmittelbarer Nachbarschaft wohnte eine weitere Hollywood-Ikone: Auch Audrey Hepburn zog in den 1950er Jahren auf den Bürgenberg. Ihr erster Besuch ereignete sich jedoch eher zufällig, wie Jo Müller, der spätere Hoteldirektor, erzählt. Laut ihm liess sich Hepburn eigentlich vom Zürcher Flughafen nach Gstaad chauffieren.

Gesundheitlich leicht angeschlagen, fragte sie den Fahrer nach einem Zwischenstopp an einem schönen Ort. Dieser schlug ihr einen Umweg über den Bürgenstock vor. Dort angekommen, gefiel es Hepburn so gut, dass sie sich entschied zu bleiben.

Am 24. September 1954 gaben sich Audrey Hepburn und der Schauspieler Mel Ferrer in der gotischen Kapelle auf dem Bürgenstock das Jawort. Für Ferrer war es die vierte, für Hepburn die erste Ehe. (Übrigens werden sich 1980 am selben Ort auch ein gewisser Kurt Felix und Paola Del Medico das Jawort geben.)

Sowohl das Balmain-Kleid von Hepburn als auch der Ort der Trauung inspirierten zahlreiche weitere Brautpaare jener Zeit.

Der gemeinsame Sohn von Audrey Hepburn und Ferrer kam 1960 in der Schweiz zur Welt. Sean Hepburn Ferrer wird später erzählen, seine Mutter habe in der Schweiz die schönsten Jahre ihres Lebens verbracht.

Zahlreiche Aufnahmen einer anscheinend glücklichen Hepburn unterstreichen diese Aussage. Sie stammen aus dem Archiv des Hotelbesitzers Fritz Frey. «Die meisten Fotos wurden von Fotografen aufgenommen, die von den Hoteliers engagiert wurden. Das war in jener Zeit üblich», sagt die Historikerin und Archivarin Evelyne Lüthi-Graf. Im Archiv des «Bürgenstocks» dürften zahlreiche Bilder vom Fotografen Hans Gerber stammen.

Hepburn und Ferrer wohnten über neun Jahre in der Villa Bethania, einem Landhaus in unmittelbarer Nähe des Resorts. Sie ist heute in Privatbesitz.

Als Hepburn auf dem Bürgenstock lebte, befand sie sich auf dem Höhepunkt ihrer Karriere: 1954, im Jahr ihrer Hochzeit, erschien der Film «Sabrina», 1961, ein Jahr nach der Geburt ihres Sohnes, folgte «Breakfast at Tiffany’s».

Audrey Hepburn 1954 in der Bürgenstock-Standseilbahn (rechts) und beim Tee im Resort.

Die beiden Filmdiven Sophia Loren und Audrey Hepburn lebten zur gleichen Zeit auf dem Bürgenberg. Dennoch ist nicht bekannt, wie nahe sich die beiden zu jener Zeit standen. Es gibt nur wenige Aufnahmen, die sie gemeinsam zeigen. Loren wird in ihrer Biografie Hepburn und Ferrer Jahre später als «sehr angenehme Freunde» bezeichnen, «die sich niemals aufdrängten». Man sei sich oft auf Spaziergängen begegnet.

Sophia Loren berichtet in ihrer Biografie von einem Abendessen bei Hepburn an Weihnachten 1957. Die Vorspeise sei serviert worden – oder zumindest was Loren dafür hielt: «Ein Blättchen Salat, darüber frisch gehobelter Käse, garniert mit einem Häubchen Himbeerkompott. Auf dem Teller daneben knuspriges Gebäck. (. . .) Als die Teller abgeräumt wurden, erhob sich Audrey und sagte mit ihrem elfenhaft zarten und perfekten Lächeln: ‹Ich bin so satt!›» Loren sei anschliessend nach Hause gegangen und habe sich ein belegtes Brötchen gemacht.

Hepburn und Ferrer lebten bis 1963 auf dem Bürgenstock. Die Schweiz, die Hepburn so sehr liebte, verliess sie aber auch später nicht: Sie zog mit ihrer Familie nach Tolochenaz am Genfersee. Die kalten Winter auf dem Bürgenstock haben ihr zu schaffen gemacht, wie ihr Sohn später erzählen wird. Fünf Jahre später wurde die Ehe mit Mel Ferrer geschieden.

Wie der Bürgenstock zum Treffpunkt der Mächtigen wird

Die Faszination des Bürgenstocks liegt auch an jener Attraktion, die ihn selbst von weit her unverkennbar macht: dem Hammetschwand-Lift, der die Besucher entlang des Felsens auf den Berg transportiert. 1905 wurde er von den beiden «Bürgenstock»-Gründern, Josef Bucher und Franz Josef Bucher-Durrer, erbaut. Der Legende nach liessen sie sich dabei von der Ästhetik des Eiffelturms inspirieren. Bis heute gilt er als höchster Aussenlift Europas.

Wie aber kommt es überhaupt, dass sich die Reichen und Mächtigen in der Zeit zwischen den 1950er und 1970er Jahren so gerne auf den Bürgenstock zurückziehen?

Einer der Hauptgründe dürfte der damalige Hotelbesitzer sein: Fritz Frey, der das Resort von seinem Vater geerbt hat und seine illustren Bekanntschaften um sich scharte. Auch Sean Connery steigt während der Dreharbeiten zum James-Bond-Film «Goldfinger» mit der ganzen Crew für eine Nacht im «Palace Hotel» auf dem Bürgenberg ab.

Der Bürgenstock konnte zwar auch von Tagesgästen besucht werden, jedoch wurde stets auf exklusive Bereiche mit gehobenem Ambiente Wert gelegt. «Ich bin nicht dafür, dass die Touristen da hinkommen, wo Kaviar gegessen wird. Das ist einfach nicht gut», sagte der Hoteldirektor Frey 1963 einem «Spiegel»-Journalisten. Er liess eigens eine zweite Strasse auf den Bürgenstock erbauen, so dass die «Tageskunden», wie er sie nannte, den vornehmen Hotelgästen bei der Auffahrt nicht begegnen würden.

Letztlich dürfte aber auch die geografische Lage eine wichtige Rolle gespielt haben, weshalb sich insbesondere Politiker gerne auf dem Bürgenberg aufgehalten haben: Er ist näher bei Zürich als St. Moritz oder Gstaad. Das Resort ist zudem neben der Standseilbahn nur über zwei Strassen erreichbar. Der Berg kann also innert kürzester Zeit abgeriegelt werden.

«Ein perfekter Ort, um geschlossene Konferenzen mit hohen Sicherheitsanforderungen durchzuführen», sagt die Historikerin Evelyne Lüthi-Graf. Als eines der ersten Resorts in der Schweiz setzte der «Bürgenstock» auf internationale Kongresse und Konferenzen.

Drei Bilderberg-Konferenzen werden im Hotel abgehalten

Nach dem Krieg, 1950, versammelte sich die neugebildete Regierung der Bundesrepublik Deutschland auf dem Bürgenstock. Theodor Heuss, der erste Bundespräsident, sowie Konrad Adenauer, der erste Bundeskanzler, besprachen ihre Geschäfte mit Blick auf den Vierwaldstättersee. Kanzler Adenauer verbrachte zwei Sommer in Folge mehrere Monate im Resort und leitete seine Amtsgeschäfte in dieser Zeit aus dem Hotel.

Auch der indische Premierminister Nehru Jawaharlal Pandit stieg mehrmals im Luxushotel ab. Er verbrachte erstmals 1951 mit seiner Tochter, Indira Gandhi, Ferien im Innerschweizer Resort. 1953 trifft er sich hier unter anderem mit seinen europäischen Botschaftern und mit Österreichs Aussenminister Karl Gruber.

Noch mehr Aufsehen erregten aber die sagenumwobenen Bilderberg-Konferenzen, die dreimal auf dem Bürgenstock stattfanden. 1960, 1981 und 1995 trafen sich Exponenten aus Politik und Wirtschaft diskret auf dem Berg über dem Vierwaldstättersee. Auch der spätere Präsident der Vereinigten Staaten Jimmy Carter reiste zur Konferenz 1960 an. Weil die Bilderberg-Treffen jeweils nur einem exklusiven Kreis vorbehalten sind und alles Besprochene streng geheim bleibt, ranken sich zahlreiche Verschwörungserzählungen um jene Konferenzen.

1977 sollte Carter erneut in die Schweiz reisen, diesmal nach Genf, um den syrischen Präsidenten, Hafez al-Asad, zu treffen. Was damals niemand wusste: Im Rahmen des Treffens stieg al-Asad mit seiner ganzen Entourage für eine Nacht im «Bürgenstock» ab – in der Villa Daniel, jenem Haus, in dem einst Sophia Loren gewohnt hatte.

Die zweite Bilderberg-Konferenz auf dem Bürgenstock, 1981, organisierte Jo Müller. Angefangen als Kassier 1970, hatte er sich inzwischen zum Hoteldirektor hochgearbeitet. Als solcher begrüsste er jeden einzelnen der 80 Teilnehmer beim Eingang. Es war jene Zeit, in der Deutschland von RAF-Anschlägen erschüttert wurde. Die Konferenz fand unter höchsten Sicherheitsauflagen statt, 250 Sicherheitsbeamte wurden dafür aufgeboten.

Unter den Gästen befanden sich der Banker David Rockefeller und der Lebensmittelunternehmer Henry J. Heinz II. «Das war sehr spannend!», erinnert sich Müller heute. «Der amerikanische Vizepräsident, Walter Mondale, reiste mit drei Helikoptern von Zürich an – und man durfte natürlich nicht wissen, in welchem er sass.»

Bürgenstock wird wieder zum Schauplatz der Weltpolitik

Letztmals wurde der Berg am Vierwaldstättersee 2004 zum Schauplatz von Weltpolitik: Der Uno-Generalsekretär Kofi Annan lud Griechenland, die Türkei und die zypriotischen Konfliktparteien auf den Bürgenstock ein, um über die Wiedervereinigung Zyperns zu verhandeln – ohne Erfolg.

Die Konferenz war ein letztes Aufbäumen des einst so schillernden Resorts, zumindest vorerst. Die goldene Ära hatte bereits in den 1970er Jahren geendet, und der günstige Massentourismus forderte seinen Tribut. Der «Bürgenstock» war zu jenem Zeitpunkt stark sanierungsbedürftig, doch eine Renovation des Resorts war kaum bezahlbar. 1996 verkaufte die Hotelierfamilie Frey das Resort.

2007 scheint sich das Blatt zu wenden. Eine katarische Hotelkette kauft das «Bürgenstock Resort» und investiert 550 Millionen Franken in den neuen Hotelkomplex. 2017 öffnet er seine Tore. Ob sich die Investition jemals rechnen wird, ist ungewiss, selbst wenn das Resort nach eigenen Angaben nun profitabel geführt wird.

Seither will es nicht recht gelingen, die Mächtigen der Welt wieder auf den Berg am Vierwaldstättersee zu locken. 2021 ist der Bürgenstock für das Weltwirtschaftsforum (WEF) im Gespräch. Es ist die Zeit der Pandemie, die Konferenz wurde bereits verschoben. Auf dem Bürgenstock, so heisst es, könnten die Teilnehmer besser unter sich bleiben. Der Entscheid schien bereits gefallen. Dann sagt der WEF-Präsident Klaus Schwab die Austragung in der Innerschweiz doch noch ab und verkündet stattdessen Singapur als Gastgeber. Auch dieser Versuch sollte scheitern.

Der Bürgenstock als Schauplatz der Weltpolitik scheint nichts als eine historische Anekdote. Bis jetzt: Im April gibt der Bundesrat bekannt, dass die Schweiz einen Friedensgipfel zum Krieg in der Ukraine austragen wird, und zwar auf dem Bürgenstock. Botschafter Gabriel Lüchinger erklärt noch an der Pressekonferenz: Es gebe nicht viele Standorte in der Schweiz, in denen sie «so viele Leute unterbringen und auch sichern können».

Am kommenden Wochenende werden Vertreter aus 80 Nationen auf den Berg am Vierwaldstättersee reisen. Auch die amerikanische Vizepräsidentin Kamala Harris, der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski und der französische Staatschef Emmanuel Macron haben ihre Teilnahme angekündigt. Die Aussichten auf ein Friedensabkommen sind gering. Und doch wird der Bürgenstock erstmals seit Jahrzehnten zu seinen Wurzeln zurückkehren: als Rückzugsort der Reichen und Mächtigen.

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