Ein tragischer Fall aus dem Zürcher Oberland zeigt, wie rigide das Baurecht ist – und wie machtlos sich Betroffene fühlen.
Herr Müller ist schwer krank. Der Mann, der eigentlich anders heisst, hat ein unheilbares Lungenleiden. Nach wenigen Schritten ist Müller jeweils völlig erschöpft. Die Treppenstufen in den zweiten Stock zu seiner Wohnung im Zürcher Oberland schafft er kaum mehr alleine.
Um dennoch mobil zu bleiben, beschliesst der ältere Herr in Absprache mit den anderen Stockwerkeigentümern, einen Treppenlift einbauen zu lassen. Doch er hat die Rechnung ohne das Bauamt seiner Gemeinde gemacht. Denn für die Installation des Lifts benötigt Müller eine Baubewilligung.
Für den schwerkranken Mann beginnt eine Odyssee durch die Behörden. Er muss einen Wust an Formularen ausfüllen, wird von einem Amt zum anderen verwiesen. Unterstützung erhält er von seinem Nachbarn, der ihm das eine oder andere Telefonat abnimmt und bei der Korrespondenz hilft.
Der Nachbar schildert den Fall gegenüber der NZZ. «Es war alles unglaublich kompliziert und zermürbend», sagt er. Die Baubehörden hätten «null Rücksicht» auf Müllers Gesundheitszustand genommen. Und auch nicht darauf, dass er auf einen möglichst raschen Entscheid angewiesen gewesen sei. Der gesunde Menschenverstand habe gefehlt.
Müller bestellt den Treppenlift im Juni 2024. Die Baubewilligung dafür erhält er aber erst Ende November – nach über fünf Monaten Hin und Her. Die Tragik hinter dem Fall: Herr Müller verstarb Ende Oktober 2024. Er erlebte den herbeigesehnten Entscheid des Bauamts nicht mehr.
Die letzten Wochen seines Lebens habe er mehr oder weniger ständig in seiner Wohnung verbringen müssen, erinnert sich sein Nachbar. «Es war ein Elend – und das nur wegen pingeliger bürokratischer Regeln.»
Dazu kamen die Kosten: 1000 Franken wurden für das Prozedere mit Bewilligung und Abnahme des Lifts veranschlagt. «Ein Irrsinn», fasst es der Nachbar zusammen.
Nur zwei Kantone kennen eine Bewilligungspflicht
Was Herr Müller erleben musste, wäre ihm nicht passiert, wenn er in einem anderen Kanton gewohnt hätte. Denn eine Baubewilligung für Treppenlifte verlangen nur die Kantone Zürich und Genf – überall sonst geht es ohne.
Ein Missstand, findet Simon Vlk. Der FDP-Kantonsrat durchforstet das Zürcher Baurecht regelmässig nach rigiden Auflagen und wird immer wieder fündig. Früher setzte er sich im Kantonsparlament schon dafür ein, dass Solaranlagen und Spielplätze unkomplizierter erstellt werden können.
Nun also Treppenlifte. Wie schon bei früheren Vorstössen hat Vlk eine breite Allianz an Mitstreitern zusammengetrommelt – von der SVP bis zur linken AL. In einem Postulat fordert er den Regierungsrat, namentlich den grünen Baudirektor Martin Neukom, dazu auf, Treppenlifte in den Katalog der bewilligungsfreien Bauten und Anlagen aufzunehmen. Das Ziel ist eine Anpassung der Bauverfahrensverordnung.
Der Regierungsrat hat sich bereit erklärt, Vlks Postulat entgegenzunehmen. Er hat nun zwei Jahre Zeit, sich dazu zu äussern. Vlk ist optimistisch, dass die Bewilligungspflicht fällt. «Vierundzwanzig Kantone verzichten schon auf ein Bewilligungsverfahren – es wäre an der Zeit, dass der Kanton Zürich nachzieht», sagt er.
Wie im geschilderten Fall aus dem Zürcher Oberland handle es sich bei den Gesuchstellern um Personen, die kurzfristig und unerwartet zum Einbau eines Treppenlifts gezwungen seien – etwa wegen Unfällen oder Krankheiten. Die Betroffenen seien darauf angewiesen, dass die Realisierung so schnell wie möglich erfolge, begründet Vlk seinen Vorstoss. Montagebetriebe seien in der Lage, einen Lift innerhalb eines Arbeitstages zu installieren. Das Bewilligungsverfahren dauere hingegen mehrere Wochen bis Monate. Das sei eine unnötige Belastung.
Die Bürokratie wuchert
Als «frappant» bezeichnet Vlk die Unterschiede bei den Gebühren in verschiedenen Zürcher Gemeinden. Die Kosten reichten von einigen hundert bis zu tausend Franken. Für viele Gesuchsteller sei das «eine grössere finanzielle Bürde».
Der FDP-Kantonsrat hält eine Baubewilligung für unverhältnismässig. Treppenlifte würden auch so schon stark reguliert. Montagebetriebe, Hersteller und Händler seien verpflichtet, die geltenden Regeln einzuhalten – etwa beim Gesundheitsschutz oder bei den Sicherheitsanforderungen. Eine zusätzliche Hürde brauche es nicht.
Insgesamt werden in der Schweiz jährlich rund 2500 bis 3000 Treppenlifte eingebaut. Im Kanton Zürich dürften es 400 bis 500 sein.
Herr Müllers Nachbarn haben sich dafür entschieden, den Lift trotz Müllers Tods einbauen zu lassen. «Wir sind in einem gewissen Alter – und womöglich plötzlich einmal auf einen solchen Lift angewiesen», sagt der Nachbar. Den bürokratischen Hürdenlauf, den Müller erlebt habe, wolle er sich dann ersparen.
Die Bauvorschriften seien generell viel zu bürokratisch, sagt er. Doch das merke man meist erst, wenn man selbst betroffen sei.