Mittwoch, Oktober 2

Ein millionenteures Bauvorhaben wirft ein Schlaglicht auf die lange Geschichte der Zürcher Wohnungskämpfe.

Die Bevölkerung wächst, das Baumaterial ist knapp, es herrscht Fachkräftemangel. Besonders Geringverdiener haben Mühe, in der Stadt Zürich eine Wohnung zu finden. Linke prangern «Spekulation» an und verlangen mehr bezahlbare Wohnungen. Bürgerliche begrüssen zwar «die Bekämpfung der Wohnungsnot», warnen aber eindringlich vor zu hohen Kosten.

All das spielt sich nicht heute ab, sondern in den 1940ern. Die Nachkriegszeit ist in Zürich eine Krisenzeit. 600 Familien sind im April 1946 von Obdachlosigkeit bedroht. 1947 sinkt die Anzahl leerer Wohnungen auf 36 – so wenige wie seit fast zwanzig Jahren nicht mehr. Und deutlich weniger als heute: Bei der letzten Zählung im vergangenen Sommer lag die Leerstandsziffer bei 144 Wohnungen.

Und die Stadtregierung? Sie baut wie wild. Mit gigantischen Bauvorhaben versucht sie, des Problems Herr zu werden. Schnellbauten aus vorfabrizierten Elementen. Siedlungen, die rasant aus dem Boden gestampft werden. Immer häufiger auch Verdichtung – das Bauen in die Höhe.

Weniger eng aufeinander, dafür grösser, höher und moderner: Diese Philosophie wird 1947 in der neuen Bau- und Zonenordnung festgeschrieben. Und wenige Siedlungen entsprechen diesem Geist mehr als jene, die in diesem und im Folgejahr auf dem Heiligfeld entsteht, einem Gebiet zwischen dem Friedhof Sihlfeld und dem heutigen Letzigrund-Stadion.

Sogar Max Frisch freut sich

Sechs Häuserzeilen, 124 Familienwohnungen, dazwischen Gärten. Drinnen die neusten technischen Geräte: Waschmaschine, elektrische Herdzeile, Wasserboiler. Erstellt worden sind diese laut einem städtischen Abriss über die Baugeschichte, um den Frauen die Hausarbeit zu erleichtern – und ihnen Zeit für Arbeit ausser Haus zu geben.

Im Zentrum jeder Wohnung stand ein Kachelofen. «Einfach, aber solide» sollte die Bauweise sein. «Sehr schön, wenn auch klein» nennt die Zürcher Denkmalpflege die Grundrisse. Entsprechend moderat waren die Mietzinse.

Diese Gebäude werden nun umfassend saniert, wie die Stadt mitteilt. Die Bäder und Küchen werden komplett ersetzt, die Fassade erneuert, die Einzelöfen mit einer Fernwärme-Heizung ersetzt. 42,5 Millionen Franken lässt sich die Stadt das Unterfangen kosten.

Das Projekt wirft ein Schlaglicht auf eine Pioniersiedlung des kommunalen Wohnungsbaus in der Nachkriegsschweiz. Laut der Zürcher Denkmalpflege steht die Siedlung idealtypisch für die architektonischen und städtebaulichen Grundsätze jener Zeit. Sie steht deshalb unter Schutz.

«Keine andere Schweizer Stadt hat den Wohnungsbau so früh und so wirksam gefördert wie die Stadt Zürich», heisst es im entsprechenden Inventarbericht. Die Stadt habe damit die Entwicklung ihrer Aussenbezirke massgeblich geprägt. «Durch das Zusammenspiel von städtischer Bodenpolitik, Finanzhilfe und planerischen Vorgaben entstanden ausgedehnte Stadtquartiere von beeindruckender gestalterischer Geschlossenheit.»

Die 1948 fertiggestellte Siedlung, die nun erneuert wird, ist denn auch nur das erste von drei grossen Bauprojekten auf dem Heiligfeld. Und blickt man ihre Nachfolgerinnen an, hinkte sie ihrer Zeit in gewisser Hinsicht sogar hinterher.

Nur vier Jahre später, 1952, wurden gleich neben der Siedlung nämlich die ersten Wohnhochhäuser von Zürich gebaut. Bekannt unter dem Namen Heiligfeld III sind die Y-förmigen, 12-geschossigen Gebäude noch heute Ikonen des Zürcher Wohnungsbaus.

Der Architekt und Schriftsteller Max Frisch bemerkte schon 1953, eben aus New York zurückgekehrt: «Mit Freude steht der Heimkehrende vor den ersten zürcherischen Hochhäusern; auch wenn man nicht sagen kann, dass sie ragen, so zeigen sie doch bereits, wie viel Himmel es noch gäbe auch über der Schweiz, wenn wir uns nicht ducken würden.»

Ein findiger Baumeister

Die modernen Siedlungen auf dem Heiligfeld linderten dabei nicht nur die Zürcher Wohnungsnot der 1940er und 1950er Jahre. Sie gaben dem Nachkriegszürich auch einen wichtigen städtebaulichen Impuls. So entschieden sie etwa die seit Jahrzehnten schwelende «Hochhausfrage». Mit ihrer verdichteten, aber gemeinschaftsorientierten Bauweise schienen sie den Beweis anzutreten, dass moderne und sozialverträgliche Architektur sich nicht gegenseitig ausschliessen.

Die gesamte Siedlung, speziell aber die «Hochhäuslein» (Max Frisch) gehen dabei auf das Wirken des findigen Stadtbaumeisters Albert Heinrich Steiner zurück. Von 1943 bis 1957 im Amt, prägte er die intensive Wachstumsphase nach dem Zweiten Weltkrieg.

Er vertrat dabei die Idee einer organischen Stadt, in der Wohnhäuser und Grünflächen zu einem gemeinsamen Ganzen zusammenfanden. Kaum einer habe das neuere Stadtbild von Zürich so massgeblich beeinflusst wie er, schrieb die NZZ 2001 in einer Würdigung.

Im Heiligfeld ist Steiners Vision noch heute Realität. Wohnriegel, Mini-Hochhäuser und die üppigen Grünflächen gehen nahtlos ineinander über. Es wird Fussball gespielt, gepicknickt oder im altmodischen Pavillon am Rand der Anlage ein japanisches Nudelgericht geschlürft.

Was für die Probleme gilt, die am Ursprung dieser Siedlung stehen – Wohnungsnot, Bevölkerungswachstum, Baukrise –, gilt auch für diesen über 70-jährigen Lösungsentwurf: Er lebt weiter.

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