Der erste Roman eines Faktencheckers über einen Faktenchecker
wirft die Frage auf: Warum ist dieser Beruf, den es doch so braucht,
dermassen in Verruf geraten?
Seine Freundin, die ihn für einen Akademiker verlassen hat, verspottete ihn als «Mister Enzyklopädie». Eine Frau, die er in einer Bar trifft, empfindet ihn als «the bland man», den Farblosen. Eine dritte Frau schliesslich, in die er sich verliebt und die Sylvia heisst, nennt ihn bloss «fact-checker». Mit Bindestrich, ohne Artikel. Er selber, dessen Namen wir im Roman nicht erfahren, schätzt sich richtigerweise als wenig kommunikativ, übermässig kontrollierend und voyeuristisch ein. Er lebt einsam in New York, redet wenig und trinkt zu viel.
Der Faktenchecker ist die Hauptfigur von Austin Kelley, der selber während Jahren in dieser Funktion für den «New Yorker» arbeitete, ein Magazin, das eine ganze Abteilung von Leuten wie ihn beschäftigt. Ein
Faktenchecker, lässt uns der Faktenchecker in seinem Roman «The Fact
Checker» wissen, dekonstruiert jeden Text, den er vorgelegt bekommt, um ihn dann zu rekonstruieren.
Selbst Cartoons und Gedichte werden geprüft
Erst liest er den Artikel durch und unterstreicht alle Informationen mit
verschiedenfarbigen Stiften. Rot für Zitate, Grau für Background, Blau für andere Quellen. Dann macht er sich an die Details. Überprüft, ob alle
Namen richtig geschrieben sind, alle Daten, Zeiten und Orte stimmen und alle Beschreibungen. Auch die Zitate werden auf ihre Richtigkeit hin
autorisiert, obwohl die Autorin oder der Autor das schon gemacht haben sollte. Selbst die Cartoons und Gedichte lässt der «New Yorker» auf ihre
Richtigkeit überprüfen.
Einseitige, manipulative und relevante Fakten ignorierende Berichte kommen manchmal auch im «New Yorker» vor. Aber Austin Kelley gefallen die hohen Ansprüche des Magazins, wie er im
Zoom-Gespräch sagt. Sie hätten eine Menge damit zu tun, «dass es oft sehr lange Texte produziert und trotzdem sicher sein will, dass sie inhaltlich stimmen».
Kelley hat gerne dort gearbeitet, ein Richtigsteller im Dienste der Genauigkeit. Zwar ist Kelley inzwischen zum Autor aufgestiegen, er schreibt unter anderem für die «New York Times», das «Wall Street Journal» und auch für den «New Yorker».
Dennoch glaubt er nicht, dass die Checker den Schreibern gegenüber Ressentiments hegen, obwohl Letztere doch als Einzige im Text genannt werden. Er kenne mehrere ehemalige Kollegen, sagt er, «die das
Faktenchecken dem Schreiben vorziehen, weil sie mehr am Prozess
interessiert sind, der zu einem Artikel führt».
Ungefragter Exkurs zum Liebesleben
Als wir den Faktenchecker in seinem Roman kennenlernen, überprüft er
das Porträt eines CIA-Agenten, der in Afghanistan gefallen ist. Dazu fragt er die Witwe, wie gross der Teppich bei ihnen zu Hause sei und welche Farbe er genau habe. Und ob das Paar wirklich in Chevy Chase, Maryland, gelebt habe. Mit solchen Fragen arbeitet sich der Faktenchecker auf die schmerzhafteste von ihnen vor: Wusste die Witwe schon vor dem Tod ihres Mannes, dass er eine Affäre hatte? «Ich wusste es», sagt die Witwe, auch wenn sie es nicht öffentlich habe zugeben können.
Was der Faktenchecker schon alles überprüfen musste, dafür gibt er im
Roman mehrere Beispiele, die teilweise ins Bizarre kippen. So ruft er den
Basketballspieler Shaquille O’Neal an, um sich zu versichern, wie der das
Tattoo auf seinem Bauch buchstabieren liess, ob teilweise auch in
Grossbuchstaben, ob mit Apostroph oder ohne. Den Schauspieler Tony
Curtis, der in Billy Wilders Komödie «Some Like It Hot» mit Marilyn Monroe auftrat, befragt er dahingehend, ob er seine Katze Marilyn nach der Schauspielerin benannt habe. Und bekommt vom Schauspieler einen ungefragten Exkurs zu seinem Liebesleben erzählt. Die Telefonate mit
O’Neal und Curtis, sagt Kelley im Gespräch, habe er selber für den «New
Yorker» geführt.
Erfunden ist dafür das Checking zu «Mandeville/Green», wie der Text
redaktionsintern genannt wird, nach dem jeweiligen Autor und seinem
Thema. In diesem Fall geht es um den Gemüsemarkt beim Union Square
in Midtown Manhattan. Der Text scheint harmlos, auch wenn der
Faktenchecker weiss, dass dieser Autor, um bei der Botanik zu bleiben,
zum Blumigen neigt.
Saddam Hussein und die präsidialen Lügen
Solche Schreiber werden intern als «oozer» qualifiziert, Herausqueller.
Beim Redigieren beginnt sich der Faktenchecker für eine Frau zu
interessieren, die der Autor ihm gegenüber als «interesting» bezeichnet
und die er mit der Bemerkung zitiert, auf dem Gemüsemarkt spiele sich
«nefarious business» ab, es würden also üble Geschäfte getätigt. Der
Faktenchecker möchte das genauer wissen, sucht den Markt auf, findet
dort die junge Frau, die Sylvia heisst. Er kostet ihre selbst angebauten
Tomaten, beginnt ein Gespräch mit ihr und lässt sich auf eine Weise mit ihr ein, die ihn den Rest des Romans über beschäftigen wird.
Austin Kelley lässt sein Buch im Frühling des Jahres 2004 spielen, also ein Jahr, nachdem amerikanische Truppen den Irak angegriffen haben unter der falschen Prämisse, Saddam Husseins Regime horte atomare Waffen. Schon zu dieser Zeit habe sich das Prinzip der präsidialen Lügen
abgezeichnet, sagt Kelley im Gespräch. Ausserdem habe er es vermeiden
wollen, seinen Roman mit Donald Trump als Präsidenten zu schreiben, weil dessen Umgang mit Fake News die Erzählung dominiert hätte: «Trump, Social Media, die künstliche Intelligenz und das Internet im Allgemeinen haben ein völlig anderes Umfeld für Informationen geschaffen.»
Was seinen ehemaligen Beruf unersetzlich macht in einer Zeit, da die US-Regierung notorisch Lügen verbreitet und Internetmedien wie X oder Facebook es aufgegeben haben, falsche Behauptungen oder
Verschwörungstheorien herauszufiltern. Allein zu Donald Trumps erster grosser Rede im Kongress, bei der er sich während anderthalb Stunden selber lobte, fand die «Washington Post» über zwei Dutzend Aussagen des Präsidenten, die gelogen waren oder von falschen Annahmen ausgingen.
Trumps Botschaft: Die Fakten gehören mir
Trotzdem kommen solche Checks immer zu spät und werden kaum
wahrgenommen. Sie scheinen auch nichts an Trumps Auftritten und seiner Politik zu ändern, im Gegenteil: Immer mehr kommen die Faktenchecker selber unter ideologischen Verdacht, Trump und seine Republikaner werfen ihnen ideologische Verblendung vor.
Wie beurteilt Austin Kelley diese Entwicklung? Dass die Faktenchecker bei aktuellen Themen mit ihren Korrekturen immer zu spät kommen, hält er für eine Folge ihrer Sorgfalt. Und dass sie selber unter den Verdacht der Manipulation von Fakten geraten sind: Das habe weniger mit den Faktencheckern zu tun als vielmehr mit dem politischen Druck, der auf sie einwirke.
Die zweifelhafte Rolle, die aktivistische Faktenchecker in den letzten Jahren bei Themen wie Corona oder Joe Bidens Gesundheitszustand gespielt haben, blendet Kelley aus. Aber dass Donald Trump und seine Anhänger eigenartige Vorstellungen von Fakten haben, trifft zweifellos zu. «Seit der Ära von Donald Trump werden einander widersprechende Fakten als gleichwertig interpretiert», sagt Kelley. «Statt dass man jenen Fakten glaubt, die sich argumentativ beweisen lassen.»
Ein unvergessenes Beispiel für seine Beobachtung war die berühmt
gewordene Aussage von Trumps damaliger Beraterin Kellyanne Conway
im Januar 2017, kurz nach seiner ersten Wahl zum Präsidenten.
Sie präsentierte «alternative facts» zu den präsentierten Fakten der
Gegenseite; es ging damals um die Besucherzahlen bei Trumps
Inauguration, die sichtbar kleiner waren als bei Barack Obama.
Was damals niemand voraussehen konnte: Dass Donald Trump bis heute
nach diesem Prinzip regiert: Die Fakten gehören mir, und alle, die ihnen widersprechen, sind Lügner. Darum braucht der Präsident keinen
Faktenchecker: Er ist ein Faktenmacher.
Austin Kelley: «The Fact Checker». Atlantic Monthly Press, 244 Seiten
(bisher nur auf Englisch)