Mittwoch, März 19

Nach wie vor geht die Bundeswehr bei Wettkämpfen der internationalen Militärsportorganisation CISM mit der russischen und der weissrussischen Armee an den Start. Wie kann das sein?

Das Foto zeigt eine Gruppe uniformierter Soldaten aus aller Welt in einem Stadion. Vor ihnen steht ein hellblaues Banner, auf dem «3. CISM-Militär-Weltmeisterschaft im Bogenschiessen Bangladesh 2024» gedruckt ist. In den hinteren Reihen ganz aussen stehen vier deutsche Soldaten in offiziellem grauem und blauem Dienstanzug und, direkt hinter und neben ihnen, acht russische Soldaten in der grünen Uniform, die von Bildern der Putin-Generalität bekannt sind. Es wirkt, als sei das ganz normal, als stünden hier Gleichgesinnte.

Das Foto wurde Ende Februar in Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesh, aufgenommen. In diesem Zeitraum fanden dort die Militär-Weltmeisterschaften im Bogenschiessen statt, einer von Dutzenden Wettbewerben, die der internationale Militärsportverband CISM (Conseil international du sport militaire) jährlich ausrichtet. Bis zum Februar 2022 beteiligten sich nahezu alle Nato- und EU-Staaten an diesen Veranstaltungen.

Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine sind es deutlich weniger. Deutschland gehört immer noch dazu. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Berlin nahm die Bundeswehr zwischen dem 24. Februar 2022 und dem 4. Juni 2024 mit gut 450 Athleten an 21 CISM-Wettbewerben teil, an mindestens drei davon gemeinsam mit russischen und weissrussischen Soldaten. Das ist schon allein deshalb fragwürdig, weil das Internationale Olympische Komitee (IOK) und andere Sportverbände entschieden haben, Athleten der beiden Länder wegen des Kriegs in der Ukraine nur unter neutraler Flagge starten zu lassen, und dies auch nur, wenn sie den Krieg nicht unterstützen und keine Verbindungen zum Militär haben.

Ausgerechnet im Militärweltsportverband CISM gibt es diese Sanktionen nicht. Der Verband wurde 1948 mit dem Ziel gegründet, Beziehungen zwischen Streitkräften zu knüpfen, Motto: «Freundschaft durch Sport». Statt im Krieg, heisst es, sollten sich Soldaten beim sportlichen Kräftemessen treffen. Heute gehören dem CISM rund 140 Länder an, auch Russland, Weissrussland und die Ukraine.

Ein russischer General im Präsidium

An den Wettbewerben dürfen nur Soldaten teilnehmen. Deutschland ist seit 1960 Mitglied und hat seitdem in jedem Jahr mindestens eine Weltmeisterschaft für den CISM ausgerichtet. Im Jahr 2022, als Russland die Ukraine überfiel, hatte der deutsche Oberst Dirk Schwede die CISM-Präsidentschaft übernommen. Heute ist er Vizepräsident und sitzt unter anderem mit dem russischen Generalmajor Oleg Botsman im Präsidium der Organisation. Botsman ist der verantwortliche General für die körperliche Fitness der Soldaten in der russischen Armee.

Schwedes Mantra lautet, der Sport bringe Menschen zusammen. Doch gilt das auch für Militär in Kriegszeiten und für Soldaten, deren Kameraden in der Ukraine Frauen vergewaltigen, Städte bombardieren und Kinder entführen? Die NZZ hätte mit Schwede gern über seine Tätigkeit im CISM gesprochen. Doch eine entsprechende Anfrage liess er unbeantwortet.

Allerdings hat der litauische Sender LRT im Mai dieses Jahres einen Beitrag veröffentlicht, in dem Schwede zu Wort kommt. Der Versuch, Russland von den Wettbewerben auszuschliessen, so wird er zitiert, habe im CISM keine Erfolgsaussicht. Nach dem Überfall der Putin-Truppen sei im Verband diskutiert worden, russischen Soldaten die Teilnahme an den Wettbewerben zu verbieten. Dies sei aber verworfen worden, weil es von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen sei.

Nicht nur der «globale Süden», so zitiert der litauische Sender den deutschen Oberst, sondern auch europäische Länder wie Serbien und Ungarn hätten die Sanktionen gegen Russland nicht unterstützt. Es sei absehbar gewesen, dass die erforderliche Dreiviertelmehrheit nicht zustande gekommen wäre. Eine gescheiterte Abstimmung aber hätte die Position Russlands im CISM nur noch weiter gestärkt, soll Schwede geäussert haben. Das habe er verhindern wollen.

Bizarres deutsches Verhalten

Gleichwohl stellen sich Fragen über das Engagement der Bundeswehr in einem Sportverband, in dem ein völkerrechtswidriger Angriff eines Mitgliedslandes auf ein anderes offenkundig keine Folgen hat. Es mutet geradezu bizarr an, wie die deutschen Streitkräfte diese Tatsache ausblenden. Am 18. Mai 2023 etwa veröffentlichten sie auf ihrer Website einen Artikel mit der Überschrift «Die Bundeswehr hat eine Auszeichnung für ihr Engagement im Militärsport erhalten». Darin heisst es, die deutsche CISM-Delegation sei mit der «Solidarity Trophy» «für ihr Engagement im Jahr 2022 für weniger privilegierte Mitgliedsnationen» ausgezeichnet worden. Die Auszeichnung sei im Rahmen der 78. Generalversammlung des Verbands am 26. April 2023 in Brüssel überreicht worden.

In dem gesamten Text findet sich kein Satz darüber, dass die Generalversammlung nicht in Brüssel, sondern in Moskau stattfand. Die meisten Mitgliedsländer hatten sich in der russischen Hauptstadt zu dem Kongress eingefunden. Für das Gros der Nato- und EU-Staaten aber war eine Teilnahme in Moskau nicht infrage gekommen. Aus diesem Grund hielt der CISM zum ersten Mal eine Generalversammlung an zwei Orten gleichzeitig ab. Der litauische Sender LRT zitiert Dirk Schwede dazu mit dem Satz, dies sei die einzige Möglichkeit für Europa gewesen, seine Stimme im CISM zu wahren. Die Frage ist, warum die Bundeswehr in ihrer Berichterstattung darüber kein Wort verliert.

Vielleicht, weil es sich bei Deutschlands internationalem Militärsport-Engagement in diesem Punkt um einen unappetitlichen Vorgang handelt. So jedenfalls sagt es Philip Krämer, Verteidigungspolitiker der Grünen im Bundestag. Er sehe die Teilnahme deutscher Soldaten an Wettbewerben gemeinsam mit russischen und weissrussischen Soldaten als problematisch an, äussert er. Sie lasse den Schluss zu, dass eine Normalisierung des deutschen Verhältnisses zu Putins Russland stattfinde. Dem müsse vehement entgegengewirkt werden, so Krämer. Er wolle nun im Verteidigungsausschuss dafür sorgen, dass das deutsche CISM-Engagement kritisch hinterfragt und gegebenenfalls suspendiert werde.

Auch der Verteidigungsfachmann der Liberalen, Alexander Müller, sagt, von «Freundschaft durch Sport» könne keine Rede sein, wenn russische Soldaten, die untrennbar mit der Invasion in der Ukraine verbunden seien, weiterhin an internationalen Wettkämpfen teilnehmen dürften. Er begrüsse die Entscheidung anderer Länder, etwa Litauens, den CISM zu boykottieren. Dies sollte auch Deutschland tun, wenn russische Soldaten teilnähmen.

Politiker fordern Boykott des CISM

Der Grünen-Politiker Krämer findet es «höchst dubios, was Deutschland derzeit im CISM tut». In offiziellen Verlautbarungen spricht die Bundeswehr davon, mit ihrem Engagement in dem Verband auch «zur internationalen Sportentwicklung in weniger privilegierten Mitgliedsnationen beitragen» zu wollen. Dazu unterstützt sie afrikanische Länder wie zuletzt Tansania mit Trainern und Geld, damit sie ihre Sportsoldaten zu den Wettkämpfen schicken können.

Doch es sind genau solche Länder, die im CISM eine Suspendierung russischer Soldaten von den Wettkämpfen verhindern. In Tansania fand vor kurzem die 79. Generalversammlung statt. Die CISM-Statuten erlauben es zwar nicht, ein Mitgliedsland auszuladen. Doch Tansania hätte russischen und weissrussischen Soldaten das Einreisevisum verweigern können, so wie es westliche Länder tun. In Dar es Salaam aber, der Hauptstadt von Tansania, waren wieder russische Soldaten dabei, wie Fotos auf der Website der Versammlung zeigen. Auch der deutsche CISM-Vizepräsident Dirk Schwede ist wieder dabei gewesen.

Man kann zudem fragen, wie sinnvoll die Mitgliedschaft in einem Militärverband ist, der vor kurzem ein Land wie Myanmar aufgenommen hat. Myanmar ist eine Militärdiktatur, die derzeit gegen die eigenen Bürger Krieg führt. Die Bundeswehr aber betont die sportlichen Aspekte ihrer Mitgliedschaft in dem Verband, als ob es die politischen nicht gäbe.

CISM eine «nichtpolitische Institution»?

Während demokratische Staaten wie Dänemark, Estland, Lettland und Litauen die Wettbewerbe mit russischen oder weissrussischen Soldaten boykottieren, steht das deutsche Verteidigungsministerium auf dem Standpunkt, dass «sich das CISM in seinen Grundzügen als eine nichtpolitische Institution versteht». «In der Abwägung überwiegt das Interesse, durch eine unveränderte Teilnahme an Wettkämpfen im Rahmen des CISM die westlichen und europäischen Werte in dieser Organisation zu stärken», teilte ein Ministeriumssprecher auf Anfrage mit.

Ausgeschlossen sei lediglich eine Teilnahme an Wettbewerben und sonstigen Massnahmen, die auf dem Staatsgebiet von Weissrussland oder Russland ausgerichtet werden. Kontakte zu weissrussischen und russischen Sportlern würden strikt vermieden. Dennoch entstehen immer wieder Fotos wie das bei den Militär-Weltmeisterschaften in Dhaka oder etwa das von Dirk Schwede, der in Tansania mit russischen Offizieren ins Gespräch vertieft ist. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums werden deutsche Soldaten in diesem Jahr an weiteren fünf CISM-Wettkämpfen teilnehmen.

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