Dienstag, November 26

Die Affäre rund um Sanija Ametis Pistolenschüsse auf ein Marienbild hat ein bemerkenswertes historisches Pendant.

Mit ihren Schüssen auf ein Bild von Jesus und Maria hat die Zürcher GLP-Politikerin Sanija Ameti einen Sturm der Entrüstung entfacht, der in seiner Kraft und seiner raschen Ausbreitung erst im Zeitalter des Internets möglich wurde.

Einzigartig ist die Episode aber nicht. Sie weist bemerkenswerte Parallelen zu einem Fall auf, der sich vor gut vierzig Jahren in der Schweizer Armee zutrug.

Die damalige Geschichte nimmt ihren Anfang im Oktober 1980 im Wiederholungskurs der Festungskompanie II/6. Im Rahmen des Militärdiensts werden die Offiziere wie üblich zu einer Schiessübung aufgeboten. Im Schützenstand wartet auf die Kadermänner und ihre Armeepistolen dann ein ungewöhnliches Ziel.

Jemand hat das «Playmate des Monats» aus der Oktoberausgabe des Männermagazins «Playboy» herausgerissen und auf eine Zielscheibe geklebt. In der Folge kommt es, wie die NZZ später berichten wird, zu «Schiessübungen auf die Geschlechtsmerkmale weiblicher Aktbilder».

Etwas weniger verklausuliert formulierte es damals die «Basler Zeitung». Bei den Übungen, die in dieser Form in der Festungskompanie schon seit mindestens zehn Jahren durchgeführt würden, würden die Brüste und die Vagina der abgebildeten Frauen jeweils mit unterschiedlichen Punktzahlen bewertet.

Laut einer Agenturmeldung, die sich auf Gerichtsdokumente stützte, lief die Übung so ab, dass die Schützen zuerst acht Schüsse auf eine gewöhnliche Scheibe abgeben mussten und dann, als «Glückstreffer», einen letzten Schuss auf das Bild der nackten Frau. Wer am meisten Punkte holte, gewann den Schiesswettbewerb.

Der Bundesrat verurteilt die Schüsse

Ans Tageslicht kam die primitive Schiessübung kurz danach über einen Leserbrief eines beteiligten Soldaten in den «Luzerner Neuesten Nachrichten». Er brachte einen Skandal ins Rollen, der massgeblich von der Organisation für die Sache der Frau (Ofra) befeuert wurde. Die Ofra war eine linke feministische Vereinigung, die mit der damaligen kommunistischen Poch verbandelt war.

Die Ofra verklagte den Kompaniekommandanten. Sie verlangte eine Genugtuungszahlung von 10 000 Franken, was heute rund 19 000 Franken entspricht, wobei das Geld an die «Frauen für den Frieden» gehen sollte. Weiter sollten sich die Offiziere der Festungskompanie öffentlich entschuldigen.

Parallel dazu reichte die Ofra Beschwerde bei der Militärverwaltung ein und forderte eine militärstrafrechtliche Untersuchung.

Während diese beiden Verfahren liefen, wurde die Affäre in der Öffentlichkeit und in der Politik breit diskutiert. Die Basler Poch-Nationalrätin Ruth Mascarin reichte eine Interpellation ein. Darin deutete sie an, dass ein Arzt der Organisator des Schiessens gewesen sei, dieser stehe sogar vor der Beförderung zum Hauptmann.

Der Bundesrat ging auf solche Details wegen der laufenden Untersuchung nicht ein. Die Sache solle aber nicht überbewertet werden, antwortete die Landesregierung, der damals ausschliesslich Männer angehörten. Es handle sich um eine Entgleisung eines Offiziers und um einen Einzelfall. Man dürfe daraus keine falschen Schlüsse in Bezug auf die Armee und deren Kader ziehen.

Der EMD-Chef Georges-André Chevallaz (FDP) hatte die Übung zuvor im Nationalrat als geschmacklos bezeichnet. Er erliess ausserdem eine Weisung an die Truppenkommandanten, in der «das beschämende, die Frauen entwürdigende Vorgehen einzelner Offiziere» scharf verurteilt wurde.

Die Direktion der Militärverwaltung wandte sich mit einem Brief an die Ofra. Darin schrieb sie, dass sie den Vorfall ausserordentlich bedauere – was die Ofra prompt als Schuldeingeständnis wertete.

«Papierene Sexmädchen»

Die NZZ stellte sich mit einem Kommentar auf die Seite der Offiziere. Es sei peinlich, dass die Sache an die Öffentlichkeit geraten sei und nun so breitgetreten werde. Die Zeitung erwähnte, dass es ähnliche Schiessübungen schon früher gegeben habe. Aber das sei kein Grund, der Angelegenheit zu viel Gewicht beizumessen. Der Kompaniekommandant sei ein Pechvogel, weil man nun ausgerechnet ihn herausgepickt habe und an den Pranger stelle.

Ganz anders sah es die Migros-Zeitung «Wir Brückenbauer». Sie stellte die psychologische Ferndiagnose, dass die Kaderleute «offensichtlich vom weiblichen Geschlecht nie ernst genommen worden» seien, verachtet sogar. Nun müssten sie sich «an papierenen Sexmädchen rächen».

Ein gefundenes Fressen war die Story für den «Blick». Zu dieser Zeit waren Sexgeschichten und aufreizende Fotos von unbekleideten Frauen Kernelemente der Schweizer Boulevardzeitung, das Thema passte also bestens. Der «Blick» organisierte das Foto aus dem «Playboy», das den Offizieren als Ziel gedient hatte, und druckte es fast seitenhoch ab.

In Leserbriefen wurde die Tat ebenfalls diskutiert. Eine Person, die nur mit Initialen genannt wurde, argumentierte in der NZZ, die Ofra müsse das Ziel wechseln und ihren Angriff nicht gegen die Offiziere richten, sondern gegen die Verkäufer von Erotikmagazinen – und gegen die Models, die sich schamlos gegen Geld hätten ablichten lassen.

Auch an der Basler Fasnacht im März 1981 wurde die Schiessübung zum Sujet. An den Schnitzelbänken wurden Reime wie dieser vorgetragen:

D Schwyzer Offizier hänns gnosse
und hän uff blutti Wybli gschosse
Jetzt wärde dängg au d Fraue miesse
uff hülleloosi Oberscht schiesse.

Auf dem Rechtsweg hatte es in der Zwischenzeit Bewegung gegeben. Bereits im Januar 1981 hatte es zwischen der Ofra und dem Kompaniekommandanten eine Schlichtungsverhandlung gegeben. Das Verfahren scheiterte jedoch, und die Ofra zog die Angelegenheit an das Berner Obergericht weiter.

Ende November 1981 wurde das militärische Strafverfahren eingestellt. Das Divisionsgericht kam zum Schluss, dass der Straftatbestand der Beschimpfung der Frauen nicht erfüllt sei.

Sechs Wochen später, im Januar 1982, kam es zum Showdown vor Obergericht. Die feministische Zeitschrift «Die Staatsbürgerin» berichtete von der Verhandlung: «Der Gerichtssaal war bis auf den letzten Platz besetzt. Man wurde nur mit einer vorbestellten Platzkarte hereingelassen.» Die Männer seien praktisch geschlossen auf der einen Seite des Saals gesessen, die Frauen auf der anderen.

Der Verteidiger des beschuldigten Kommandanten, eines Zürcher Rechtsanwalts, warf der Ofra laut dem «Blick» vor, linksextreme, militärfeindliche und radikalfeministische Propaganda zu betreiben.

Ausserdem habe die Frauenvereinigung den Vorfall «pornografisch pervertiert». Denn auf dem Poster seien gar nicht die Brüste und Genitalien des Models als Ziele markiert gewesen, sondern dessen Zähne. Das sei zwar geschmacklos, aber harmlos.

Zu einer Verurteilung kam es auch vor Obergericht nicht. Die Berner Oberrichter kritisierten die Tat zwar in der Sache. Die Übung habe nicht nur die Würde der Frauen, sondern der Menschheit überhaupt verletzt. Es handle sich nicht um eine Lappalie.

Das Gericht sprach jedoch der Frauenorganisation die Berechtigung ab, zu klagen. Dies, so die Richter, hätte höchstens das «Playboy»-Model tun können. Die Frau hatte daran aber offenbar nicht das geringste Interesse, sofern sie überhaupt je von der Sache erfahren hatte.

Somit war die Angelegenheit juristisch und medial erledigt.

Inwiefern der Skandal den beteiligten Offizieren geschadet hat, geht aus den damaligen Quellen nicht hervor. Anders ist es bei Sanija Ameti, die ihren Job und wohl auch ihre politische Karriere verloren hat.

Heute sind sowohl die Festungskompanie II/6 wie die Ofra verschwunden. Die eine fiel einer Armeereform zum Opfer, die andere dem Zeitgeist. Das «Playboy»-Imperium gibt es zwar noch, aber es hat sehr viel von seinem Nimbus eingebüsst.

Das «Playboy»-Heft vom Oktober 1980, dessen «Playmate des Monats» den Offizieren als Vorlage für ihre Zielübungen diente, ist antiquarisch für rund 15 Franken noch zu finden. Ohne Einschusslöcher.

Exit mobile version