Samstag, Januar 18

Die Schweiz übernimmt 2026 erneut den Vorsitz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Ihre Rolle im Ukraine-Konflikt 2014 stösst inzwischen auch auf Kritik.

Für Didier Burkhalter war es der Höhepunkt seiner Karriere. Als Präsident der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) machte der FDP-Bundesrat 2014 eine gute Figur. Die Schweiz trug in der damaligen Phase des Ukraine-Konflikts zu einer vorübergehenden Deeskalation bei. Burkhalter wurde zum international gelobten Staatsmann, den Medien bereits als Uno-Generalsekretär handelten. Er traf die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Zum Abschluss des Jahres empfing er in Basel für das OSZE-Treffen über 50 Minister – so viele wie noch nie –, darunter «seinen Freund» und amerikanischen Amtskollegen John Kerry.

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Im Jahr 2026 übernimmt die Schweiz zum dritten Mal den Vorsitz der OSZE. Wird nun auch Aussenminister Ignazio Cassis seinen Burkhalter-Moment haben und seine Karriere als Friedensstifter krönen? Schon rein protokollarisch wird es schwierig, 2014 zu wiederholen. Burkhalter hatte Glück: Er war gleichzeitig Bundespräsident, was es ihm erst ermöglichte, auf präsidialer Ebene empfangen zu werden. Cassis muss 2026 wohl Guy Parmelin einbinden, der turnusgemäss Bundespräsident werden dürfte – und dessen Partei (SVP) das OSZE-Engagement wohl ähnlich kritisch sieht wie 2014.

Am schwierigsten Punkt ihrer Geschichte

Vor allem aber ist die Ausgangslage ungleich schwieriger. Mit Russland führt ein OSZE-Mitglied in der Ukraine gegen ein anderes Krieg – die Invasion geht weiter als die Annexion der Krim 2014 und die verdeckten Operationen im Donbass. Die Organisation stehe am wohl schwierigsten Punkt ihrer Geschichte, schrieb auf der Plattform Linkedin unlängst Daniel Möckli. Er war von 2013 bis 2017 Berater von Burkhalter, mit besonderem Fokus auf den OSZE-Vorsitz 2014. Heute leitet er den Think-Tank des Center for Security Studies der ETH Zürich. Die OSZE müsse sich auf eine lange Zerreissprobe einstellen, schreibt er. «Ein russischer Siegfriede würde ihre Existenz infrage stellen.»

Dem Aussendepartement (EDA) ist klar, wie schwierig die Situation ist. Dennoch hoffen Cassis und seine Diplomaten, dass die OSZE wieder eine stärkere Rolle spielen kann. Die Schweiz unterstreiche mit der Übernahme des Vorsitzes, dass gerade in geopolitisch schwierigen Zeiten der Dialog und die Zusammenarbeit essenziell seien, schreibt das EDA. Mehrere Länder hätten die Schweiz für eine Kandidatur angefragt. Auch Russland, das immer wieder kritisiert, die Schweiz sei nicht mehr neutral, war einverstanden.

Zwei Szenarien für die Ukraine

Thomas Greminger ist der Schweizer, der die OSZE am besten kennt. Er war von 2017 bis 2020 Generalsekretär der Organisation und leitet heute das Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik. Die Schweiz müsse sich auf zwei Szenarien vorbereiten, sagt er im Gespräch mit der NZZ.

Im ersten Fall gehe es in der Ukraine und mit der Organisation mehr oder weniger weiter bis anhin. «Dann wird der Vorsitz mühsam, und es liegt wenig drin.» Die OSZE bleibe politisch-diplomatisch weitgehend blockiert. Mit guter Vorbereitung gelinge es bestenfalls, Fragen wie die Finanzierung zu lösen. Die Organisation hat inzwischen zwar wieder eine Führungsequipe, aber immer noch kein Budget. Greminger versuchte als Generalsekretär die schwerfälligen Prozesse zu ändern –und scheiterte. Im Jahr 2020 schaffte er die Wiederwahl nicht.

Im zweiten, erfreulicheren Szenario gibt es im Ukraine-Konflikt bis Ende 2025 Bewegung. Komme es zu einem Waffenstillstand, werde es eine Überwachungsmission brauchen, sagt Greminger. «Dann sind die Chancen intakt, dass die OSZE eine Rolle spielt, nicht allein, aber mit der Uno.» Die Organisation habe in Osteuropa jahrelange Erfahrung. Auf ihren Plattformen könnten wichtige Gespräche geführt werden. Greminger hofft zudem, dass vertrauensbildende Schritte und später auch Massnahmen bei der Rüstungskontrolle wieder möglich sind, wenigstens auf regionaler Ebene.

Die OSZE befasst sich nicht allein mit dem Konflikt in der Ukraine. Doch dieser dürfte auch 2026 im Zentrum stehen. Was kann die Schweiz aus den Erfahrungen von 2014 lernen? Damals engagierte sie sich stark, mit Top-Diplomatinnen wie Heidi Tagliavini, die bis 2015 Sondergesandte der OSZE für die Ukraine war. Burkhalter warnte vor einer Isolation Russlands und glaubte, die Diplomatie sei der Schlüssel zum Erfolg.

Das Risiko besteht, dass die Schweiz und OSZE-Staaten Fehler von 2014 wiederholen. Aus heutiger Sicht diente die Organisation Russland damals offenkundig vor allem als Feigenblatt. Am Ende gelang es nicht, mit der Zwischenlösung von Minsk Putin im Zaun zu halten. Der Waffenstillstand hielt nie. Moskau rüstete seine Stellvertreter-Kräfte im Donbass auf. Russland habe sich nicht als Konfliktpartei gesehen – eine surreale Konstellation, schreibt der frühere Burkhalter-Berater Möckli.

Schlag ins Gesicht der Berner Diplomatie

Möckli zieht rückblickend ein kritisches Fazit, trotz der positiven Bilanz von 2014: «Russlands Vollinvasion der Ukraine 2022 ist auch ein Schlag ins Gesicht der Schweizer Diplomatie.» Über Jahre habe sich diese mit Top-Personal und grossem Aufwand für eine Lösung eingesetzt. Stets habe sie das Credo hochgehalten, dass Sicherheit in Europa nur mit und nicht gegen Russland zu haben sei. «Moskau stellt dies mit seinen eklatanten Völkerrechtsverletzungen und seiner revisionistischen Aussenpolitik fundamental infrage.»

Russland habe mit dem Westen gebrochen. Es strebe eine anerkannte Einflusssphäre auf Kosten der Souveränität von Nachbarstaaten an – und fordere eine neue eurasische Sicherheitsordnung. «Die Helsinki-Prinzipien sind so fundamental verletzt worden, dass nicht mit einer raschen Rückkehr zu einer kooperativen paneuropäischen Sicherheit zu rechnen ist.» In diesen Prinzipien verpflichteten sich die Staaten der damaligen KSZE 1975 unter anderem, ihre Souveränität zu achten und auf Gewalt zu verzichten. Heute aber stünden für viele Staaten Abschreckung und Verteidigungsfähigkeit im Vordergrund, um sich vor Russlands Imperialismus zu schützen, so Möckli.

Thomas Greminger hingegen, der bis 2020 ins Krisenmanagement involviert war, sieht die Rolle der Schweiz bis heute positiver. Er sei nach wie vor stolz, dass Bern damals massgeblich dazu beigetragen habe, die Spannungen zu reduzieren. Die Schweiz habe Spielraum gehabt, weil es im Interesse aller grossen Staaten gewesen sei. «Man zündelte, aber wollte nicht, dass es explodiert.» Die Schweiz sei gut vorbereitet gewesen und habe sich um eine unparteiische Vermittlung bemüht. Der Vorsitz von 2014 sei bei anderen Staaten in bester Erinnerung geblieben.

Ob die Schweiz daran anknüpfen kann, bleibt fraglich. Sie wird die OSZE nicht zu etwas machen können, was sie nicht (mehr) ist, ohne dass es die Gross- und Mittelmächte wollen. Möckli sieht auch positive Signale. Anders als 2014 wollten die USA dieses Mal ein zentraler Akteur sein. Doch bis 2026 kann viel passieren. Zumindest dürfte sich Cassis den Vorsitz nicht entgehen lassen, entgegen wiederholten Spekulationen über einen Rücktritt. Er hat ohnehin stets klargemacht, dass er während der laufenden Legislatur im Amt bleiben will.

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